Sieben Tage lang - „Der Halbmond über Prag“

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Laut Statistik leben in Tschechien 10.000 bis 12.000 Muslime, davon mehr als die Hälfte in Prag. Die Mehrheit von ihnen stammt aus arabischen Ländern. Die tschechische Mehrheitsgesellschaft weiß im Allgemeinen sehr wenig über diese Menschen, sieht man einmal von den zahlreicher gewordenen gastronomischen Einrichtungen ab, die orientalische Gerichte anbieten. Um diesen bescheidenen Rahmen zu erweitern, wurde in Prag ein neues Festival der orientalischen Kultur gegründet.

In der vergangenen Woche leuchtete „Der Halbmond über Prag“ sieben Tage lang, und zwar virtuell im Rahmen des gleichnamigen Festivals der orientalischen Kultur. Brauchen wir überhaupt ein neues Festival in Prag, wenn schon ziemlich viele das ganze Jahr hindurch über die Bühne gehen? Die Festivaldirektorin Lucie Němečková zögert keine einzige Sekunde, wenn sie darauf angesprochen wird:

„Dieses Festival ist das allererste seiner Art hierzulande. Damit möchten wir etwas Positives, was in der betreffenden Region entsteht, auf die virtuelle Waagschale legen. In den Medien wird man ständig mit den Gefahren des Terrorismus und anderen negativ besetzten Themen konfrontiert. Die Realität präsentiert sich aber nicht so schwarzweiß, auch wenn man natürlich die Gefahren nicht unterschätzen darf. Doch nicht alle dort sind Terroristen.“ Nach Meinung von Lucie Němečková ist es an der Zeit, die Wissenslücken endlich zu füllen.

„Wenn man sich die Lehrpläne der Schulen ansieht, findet man fast keine Informationen über alte Dichter des Morgenlandes, geschweige denn über die heutigen. In den Editionsplänen der Verlage findet man ebenso kaum Buchtitel aus der Region. Tschechische Theaterspielen keine Stücke zum Beispiel von Autoren aus den so genannten Maghrebländern, obwohl sie sehr interessant sind.“

Das Prager Festival könnte man also als eine Alternative zu den „löchrigen“ Lehr-, Verlags- und Theaterplänen verstehen, meint dessen Initiatorin Lucie Němečková. Der Hauptorganisator des Festivals ist die 2006 gegründete Bürgerinitiative Komba, die sich schon um die Aktion „Schöpferisches Afrika“ als Veranstalter verdient gemacht hat. Dieses Festival ging im diesjährigen März ebenfalls unter der Regie von Lucie Němečková über die Bühne. Sein auf die orientalische Kultur ausgerichtetes Pendant mit dem Titel „Der Halbmond über Prag“ konnte aber auch an etwas Konkretes anknüpfen. Nabil el Fahil vom Palästinensischen Klub in Prag zählt eine ganze Reihe von Veranstaltungen auf:

„Schon früher wurden in Prag ´Tage der arabischen Kultur´ veranstaltet. Es gab auch Ausstellungen arabischer bildender Künstler, ein Festival arabischer Filme, Kulturprogramme mit arabischer Musik und Tänzen. In der Nationalbibliothek wurden arabische Bücher präsentiert. Als Begleitprogramm fanden hier auch Seminare und Vorträge statt zum Anteil der arabisch-islamischen Zivilisation an der Entwicklung des Weltkulturerbes.“

Von der Bedeutung eines Festivals, das einen Querschnitt durch verschiedene Bereiche der orientalischen Kultur anbietet, ist auch die Mitbegründerin der Tschechisch-Arabischen Gesellschaft, Milena Cajthamlová, überzeugt:

„Jede Aktion, die den Bewohnern von Prag und überhaupt den Tschechen einen Einblick in die arabische Kultur vermittelt, ist gut. Viele Menschen bei uns leben mit falschen Vorstellungen über das Leben der arabischen Welt.“

Unter dem Motto „Der Halbmond über Prag“ stand ein Stück von Mohammad Kassini auf dem Festivalprogramm. Angeblich das allererste Stück eines arabischen Autors in Tschechien. Einstudiert wurde es von der jungen Regisseurin Lucie Málková im Theater St. Germain beim Prager Rockcafé.

„Er hat Arabistik studiert und hat diesen Titel für uns übersetzt. Wir wollten schon eine Zeit lang Titel aus der außereuropäischen Dramatik bringen und hatten auch einige Stücke französisch schreibender Afrikaner einstudiert. Tošovský ist unser Dramaturg, und so habe ich auf ihn gedrängt, ein arabisches Theaterstück zu finden. Er wollte zunächst nicht und behauptete, die arabische Dramatik sei zu pathetisch und mittelalterlich. Dann aber tauchte ‚Das Heilige Land’ auf. Dieses Stück lässt sich gut spielen.“

Im dem Stück des in Paris lebenden Autors algerischer Abstammung, Mohammad Kassini, spielen fünf Menschen, vier davon sind die Mitglieder einer Familie, und noch eine unsichtbare Katze namens Jesus. Lucie Málková:

„Das Stück beleuchtet einen Ausschnitt aus dem Leben einer Familie. Sie leben unter einem Dach in einer nicht genannten Stadt, belagert von einer Okkupationsarmee. Ringsum tobt der Krieg und den Akteuren geht es im Prinzip nur um nacktes Überleben. Sie haben sich mittlerweile an den Krieg gewöhnt, so dass sie auch von den unüberhörbaren Raketen in der Nähe ihres Hauses nicht aus dem Konzept gebracht werden. Bewegung ins Geschehen bringt erst der Sohn der Familie, ein Hochschulstudent. Unter dem Eindruck der Kriegshölle fasst er die Entscheidung, Terrorist zu werden und sich für das tiefempfundene Unrecht zu rächen. Weil er aber nicht genügend Weitblick besitzt und emotional labil ist, kommt es zur Katastrophe. Er setzt ein Geschehen in Gang, das für alle Familienmitglieder mit einer Tragödie endet.“

Es besteht also kein Zweifel: es geht um ein aktuelles Geschehen im Nahen Osten. Wo lagen für Sie als Regisseurin die Akzente beim Einstudieren des Stückes „Das Heilige Land“?

„Der Autor selbst bezeichnet sein Stück als humanistisch. Seine Botschaft ist eindeutig: Der Krieg ist da und man muss ihn überleben. Am Beispiel der fünf Protagonisten zeigt er fünf Positionen, die man gegenüber dem Krieg. einnehmen kann. Zum Beispiel mithilfe von Zynismus, Religion oder Fanatismus. Die Wahl bleibt dem Zuschauer.“

Die Katharsis ist im Stück nicht beinhaltet, die muss sich der Zuschauer selbst erarbeiten.

„Die Handlung selbst kann man in der Tat in Palästina situieren. Nur zwei Wochen vor Beginn der Proben zu diesem Stück kam es dort zu Bombenangriffen, es war also alles noch sehr frisch. Nichts desto trotz kann man es in jedem beliebigen Land situieren, das zum Kriegsschauplatz geworden ist. Sei es der Balkan, Nordirland, das ist egal. Das Stück ist universal.“

Seine Premiere hatte das Stück im März dieses Jahres. Es steht also schon einige Monate auf dem Spielplan der Bühne St. Germain im Prager Rockcafé. Mit welcher Resonanz?

„Für mich als frischgebackene Regisseurin wie auch für die neue Theaterbühne im Rockcafé ist es ein Stück, das eine ziemlich große Resonanz gefunden hat. Was das Publikum anbelangt, geht es um ein ´kammerartig´ und nicht massenhaft besuchtes Stück. Es kommen aber jedes Mal genug Leute, einige sogar wiederholt. Außerdem sind auch im Großen und Ganzen positive Kritiken und Rezensionen erschienen – sowohl in der Tagespresse, als auch in Kulturmagazinen oder Fachzeitschriften. Anders gesagt, das Stück wurde sehr präzise reflektiert.“

Glauben Sie anhand Ihrer Erfahrung mit diesem Stück, dass unsere Kultur hierzulande für weitere ähnliche Impulse aus der orientalischen Welt offen sein sollte?

„Ganz bestimmt. Ich glaube, die Dramatik wartet bei uns noch auf ihre Entdeckung. Aber im gewissen Sinne auch die Kultur des Nahen Ostens und der gesamten Kultur des Orients. Mit der Inszenierung von „Das Heilige Land“ haben wir versucht, die schwarz-weiße Sichtweise à la ´jeder Muslim ist ein Terrorist´ etwas zu relativieren oder sogar zu verdrängen. Das ist eine der zentralen Botschaften des Stücks. Ich persönlich vertrete die Meinung, dass der Islam eine legitime Religion wie jede andere ist. Aus meiner Sicht sollte sie in Europa dasselbe Gewicht haben wie im Nahen Osten. Daher sollte sie nicht als Problem gelten. Ebenso sollte es auch kein Problem sein, wenn sich Moslems bei uns eine Moschee bauen wollen. Für welche Religion sich ein Mensch entscheidet, wie und wo er sie praktizieren wird, ist doch die Frage seiner Freiheit und seiner Meinung.“

Beim ersten Festival der orientalischen Kultur in Prag gab es sozusagen viele Schnupperproben aus verschiedensten Bereichen der Kunst der für die meisten Tschechen exotischen Welt des Orients. Der erste Versuch, der tschechischen Öffentlichkeit interessante Informationen aus dem Orient zu vermitteln, ist offenbar gelungen. Und das ist auch der Grund, schon jetzt den zweiten Jahrgang des Festivals vorzubereiten.