SIEMENS in Tschechien
Mehr als 300 Millionen Euro hat der Siemenskonzern seit Anfang der 90er Jahre in Tschechien investiert. Heute gehört er zu den größten Arbeitgebern des Landes. Knapp 11 000 Menschen sind hier in Unternehmen der Siemens-Gruppe beschäftigt. Und ihre Zahl dürfte weiter steigen. Sybille Korte zu den vielfältigen Aktivitäten von Siemens in Tschechien.
25 Firmen gehören heute in der Tschechischen Republik zur Siemens-Gruppe, deren Mutterkonzern seinen Sitz in München hat. Der Umsatz der tschechischen Tochtergesellschaften erreichte im Geschäftsjahr 2003 rund 920 Millionen Euro. In der Prager Unternehmenszentrale wird gerne betont, dass Siemens Tschechien bereits lange verbunden ist. Siemens-Sprecher Petr Sedlacek:
"Siemens hat in Tschechien eine lange Tradition: Die ersten Büros wurden im Jahre 1890 in Prag und Brünn eröffnet, das ist schon mehr als 110 Jahre her. Siemens hat sich im Bereich Beleuchtung engagiert in Prag und in Brünn, da war es eine Geschäftsvertretung."
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat Siemens das Prager Ständetheater elektrifiziert, ein Kraftwerk in Brünn gebaut und eine Straßenbahnlinie in Olomouc. Vor dem Zweiten Weltkrieg, 1938, zählte Siemens in der damaligen Tschechoslowakei 2000 Mitarbeiter, zwei Fabriken in Prag und eine im mährischen Mohelnice. Nach Ende des Krieges und der deutschen Besatzung wurden die Siemensbetriebe in der Tschechoslowakei verstaatlicht. Doch bereits ab Ende der 60er Jahre unterhielt der deutsche Konzern wieder Geschäftskontakte. 1990 dann, nach der Samtenen Revolution, engagierte sich Siemens schon früh besonders stark in der Telekommunikation. Firmensprecher Petr Sedlacek:
"Wir haben uns am Aufbau des Mobilfunknetzes beteiligt. Wir haben fast das ganze Mobilfunknetz für 'Oskar' gebaut, das ist einer der Operatoren. Und wir waren auch sehr stark bei der Digitalisierung des Festnetzes für Cesky Telecom. Da haben wir uns viel dran beteiligt. Und natürlich auch im Bereich Handys, da sind wir sehr erfolgreich in der Tschechischen Republik."
Handys sind in Tschechien zu einer Art Aushängeschild von Siemens geworden. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK konnte Siemens den Marktanteil bei Handys im Sommer vergangenen Jahres um sechs Punkte auf 36 Prozent steigern. Damit belegt das Unternehmen Platz zwei nach Nokia. Siemens arbeitet heute in Tschechien mit allen drei Telefonnetzbetreibern zusammen. Zugleich richtet das Unternehmen Telefon- und Computeranlagen für Firmen ein, Universitäten und Behörden. Auch die Fluggesellschaft Czech Airlines hat ihr neues Kommunikationszentrum von Siemens liefern lassen. Doch die Telekommunikation ist nur eines der zahlreichen Arbeitsfelder von Siemens in Tschechien. Dazu Siemens-Sprecher Petr Sedlacek:
"Wir haben jetzt neue Züge für die Prager U-Bahn geliefert. Das ist ein sehr moderner Aluminiumbau. Der eine Zug ist 40 Tonnen leichter als die alten. Das ist für die Schienen sehr freundlich. Die Züge sind sehr zuverlässige und bieten unvergleichbaren Komfort an. Wir bauen Züge, endlich nach 40 Jahren werden in Prag Dank Siemens wieder Personenzüge gebaut. Wir arbeiten für Kunden in Österreich, in der Schweiz, in Deutschland und bald wird da auch ein Auftrag für Frankreich gebaut."
Im Jahr 2001 hat Siemens den ehemaligen Schienfahrzeugbaubetrieb CKD Dopravni systemy in Prag übernommen. Die neuen Aluminiumwagen für die Prager Metro rollten bereits aus diesem Werk. Siemens modernisiert aber auch den Wagenbestand der tschechischen Eisenbahn. Im September erteilte Ceske Drahy einen neuen Auftrag zur Lieferung von Reisezugwagen und Ersatzteilen, Gesamtwert: gut 43 Millionen Euro.
Neben Waggons baut Siemens in Tschechien auch Turbinen und Motoren, unter anderem im Motorenwerk in Mohelnice bei Omolouc. Dieses Werk gehörte schon bis 1945 zu Siemens. Nach der Wende 1989 hat Siemens es zurückgekauft.
Dass Siemens schon früher hier war, hat den Neuanfang in den 90er Jahren natürlich erleichtert. Aber das starke Engagement des Konzerns erklärt sich nicht allein aus der geschichtlichen Verwurzelung, erläutert Siemenssprecher Petr Sedlacek.
"Das ist ja auch Dank der Tradition, die da ist. Nicht nur Dank der Siemens-Tradition, sondern auch Dank der Tradition der tschechischen Industrie, weil viele Leute da sind, die perfekte Kenntnisse haben. Dank der technischen Kenntnisse gibt es nicht nur Produktionswerke. Wir haben auch Forschungsabteilungen und da wird viel entwickelt. Es ist nicht nur einfache Produktion, sondern auch die Entwicklung, die dahinter steht."
Dieses Kapital an Fachkräften will Siemens in Zukunft stärker nutzen. Für das Prager Werk in Zlicin sollen zum Beispiel in diesem Jahr mehr Konstrukteure angeworben werden. So wird ein Kompetenzzentrum für Schienenfahrzeuge entstehen, das für ganz Mittel- und Osteuropa zuständig sein soll. Andere Zentren dieser Art sind in Planung.
Siemens ist noch in sehr vielen anderen Bereichen der tschechischen Wirtschaft zu finden. Einer davon ist die Autoindustrie. Bei Skoda zum Beispiel verwirklichte Siemens mehrere Projekte für eine Lackiererei. Bei Automatisierungsprozessen konnte Siemens den Marktanteil inzwischen sogar auf 50 Prozent erhöhen. Die Aufzählung der Aktivitäten von Siemens ließe sich noch lange forsetzen: Systemsteuerung und Prozessautomatisierung für die Industrie, Lieferung von Hochspannungsschaltern für die Stromnetze oder Medizintechnik für die Krankenhäuser. Dieses wirtschaftliche Engagement verbindet Siemens mit gesellschaftlichem Engagement, betont Petr Sedlacek.
"Wir glauben, dass jede Firma auch ein Corporate Citizen sein sollte, ein guter Bürger. Wir machen viel für die Universitäten. Wir haben dafür einen Siemens-Preis. Das ist ein Preis für Doktoranden, Studenten und auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universitäten. Wir sind sehr aktiv im Bereich der Kooperation zwischen Industrie und Universitäten. Da gibt es ein Forum der Industrie und Universitäten. Und natürlich unterstützt Siemens auch viele karitative Projekte in Tschechien. Dabei geht es wirklich um viel Geld."
Mit dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union wird sich für Siemens kaum etwas ändern, schätzt Sedlacek. Vielleicht wird es Erleichterungen bei den Arbeitserlaubnissen und einigen administrativen Fragen geben, hofft er. Auf die Frage, welche Verbesserungen sich Siemens von tschechischer Seite noch wünschen würde, antwortet der Unternehmenssprecher eher vorsichtig:
"Wir könnten uns vorstellen, dass die Regeln für öffentliche Ausschreiben ein bisschen effektiver und durchsichtiger werden. Aber wir sehen keine großen Mängel. Es kann ein bisschen transparenter werden, das glauben wir. Das ist auch für den Staat gut. Das ist nicht für Siemens gut, das ist für alle gut."
Dass Siemens sich in Zukunft noch stärker in Tschechien engagieren wird, gilt als sicher. Im Zuge der Osterweiterung der Europäischen Union wird der Konzern Software-Entwicklung, Fertigung und Buchhaltungsfunktionen in den Beitrittsländern aufbauen. Das sagte Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer vor kurzem der Financial Times Deutschland. Eines der Projekte sieht vor, ausgewählte Backoffice-Funktionen für Europa nach Tschechien auszulagern. Damit liegt Siemens im Trend. Während Tschechien früher vor allem als Produktionsstandort und Absatzmarkt interessierte, verlagern internationale Gruppen zunehmend auch Verwaltungsfunktionen hierher.