Solar Orbiter: Mit Technik aus Tschechien zur Sonne

Foto: ČTK / ESA / ATG medialab, NASA / SDO / P. Testa (CfA) via AP

Anfang dieser Woche ist der Solar Orbiter der Esa und Nasa in Richtung Sonne gestartet. Die Sonde soll neue Erkenntnisse über den Mittelpunkt unseres Sonnensystems zur Erde schicken. Mit an Bord sind auch Geräte aus Tschechien. Es ist die bisher größte Beteiligung tschechischer Wissenschaftler und Firmen an einem Projekt der europäischen Weltraumagentur.

Foto: ČTK / ESA / ATG medialab,  NASA / SDO / P. Testa  (CfA) via AP

Foto: ČTK / Jared Frankle / NASA via AP
Am Montag machte sich der Solar Orbiter der Esa und Nasa von Florida aus auf den Weg in Richtung Sonne. In einigen Jahren wird die Sonde den Stern in 42 Millionen Kilometern Entfernung umkreisen, das ist näher als der Planet Merkur. Mit insgesamt zehn Geräten sollen sämtliche Aspekte der Sonne untersucht werden – vom Magnetfeld bis zu den dortigen Stürmen. Vier der Messinstrumente tragen eine tschechische Handschrift. Darunter ist der digitale Wellen-Analysator, der am Institut für atmosphärische Physik der tschechischen Akademie der Wissenschaften entwickelt wurde. Jan Souček hat das Projekt geleitet:

„Das ist eine Leiterplatte mit vielen weiteren Bestandteilen. Den größten Teil macht der Computer aus. Der integrierte Schaltkreis beinhaltet den Prozessor, der auf wunderbaren 25 Megahertz läuft. Dazu kommen noch 16 Megabyte Speicher. Der Rest ist der analoge Teil des Instruments, der die Informationen aus den Sensoren empfängt. Diese bestehen aus drei sechs Meter langen Antennen mit Röhrchen, die das Magnetfeld messen. Die Platte empfängt die digitalen Messdaten, die dann von der Software verarbeitet werden.“

Der Wellen-Analysator hat seine Arbeit bereits kurz nach dem Start aufgenommen. Damit könne die Sonne von verschiedenen Entfernungen aus untersucht werden, erläutert Souček. Doch was genau soll das Gerät beobachten?

Foto: ESA
„Elektromagnetische Wellen, von denen es zwei Arten gibt. Zunächst einmal sind es die Plasmawellen in niedrigen Frequenzen, die unmittelbar mit dem Sonnenwind zusammenhängen. Das ist der Strom von geladenen Teilchen, die die ganze Heliosphäre erfüllen. Dann gibt es die Radiowellen, die direkt aus der Sonne kommen. Diese entstehen bei Eruptionen in der Corona und auf der Sonnenoberfläche.“

Um die extremen Bedingungen bei der Reise zur Sonne macht sich Souček übrigens keine Sorgen. Immerhin ist die Sonde Temperaturen von minus 170 bis weit über 500 Grad Celsius ausgesetzt. Laut dem Weltraum-Physiker befindet sich die empfindliche Technik innerhalb der Schutzhülle der Sonde, die fast alles aushält. Höchstens die Antennen könnten unter Hitze, Strahlung sowie Geschwindigkeit leiden und sich massiv verbiegen, so Souček.

Billiger, aber genauso hochwertig

Ondřej Šváb  (Foto: Archiv von Ondřej Šváb)
Tschechische Wissenschaftler und Techniker arbeiten seit Projektstart mit am Solar Orbiter. Es ist die bisher größte Beteiligung seit dem Esa-Beitritt des Landes im Jahr 2008. Die Weltraumagentur gab 2011 grünes Licht für die Reise der Forschungssonde zur Sonne, wobei tschechische Stellen sofort mit der Lobbyarbeit begannen für ihre Entwicklungen. Den Verlauf der Arbeiten hat Ondřej Šváb genau verfolgt, er ist Weltraumbeauftragter beim zuständigen Verkehrsministerium:

„Es ist natürlich ein Riesenerfolg, dass die Sonde nach vielen Jahren Arbeit nun losfliegt und auf dem Weg zu ihrer Umlaufbahn ist. Sie wird in 42 Millionen Kilometern Entfernung um die Sonne fliegen und wissenschaftliche Daten sammeln. Das ist ein großer Erfolg für die tschechische Industrie und Forschung.“

Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Koronograf, der Teil des Teleskops Metis ist. Petr Heinzel hat das Projekt von Seiten der Akademie der Wissenschaften betreut:

Petr Heinzel  (Foto: Pavel Hrdlička,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
„Ich bin für den Koronograf zuständig, der so eine Art Fernrohr ist zur Beobachtung der Corona. Obwohl wir etwas später zu dem Projekt gestoßen sind, ist es uns gelungen, die Herstellung des wichtigsten optischen Bestandteils für Tschechien auszuhandeln – und zwar die Spiegel. Sie stammen aus Turnov, wo sich das Toptec befindet, es ist das Spitzen-Labor für Physik der Akademie der Wissenschaften. Mit der Technik dort wurden die Spiegel entworfen und hergestellt, sie sind nun einer der wichtigsten Bestandteile der Sonde.“

Der Grund, warum Toptec als Forschungszentrum aus Turnov / Turnau die Spiegel für den Koronograf liefern konnte, waren vor allem die Kosten. Die Tschechen stellen die Bauteile nämlich viel billiger her als die Konkurrenten in den anderen Esa-Ländern. Dabei seien aber keine Abstriche bei der Qualität zu erwarten, versichert Petr Heinzel:

„Bei Toptec ist alles streng überprüft und direkt in der Hand der Esa. Die Agentur hat enorme technische Kapazitäten und beobachtet ganz genau, wie ein Bauteil oder Gerät entsteht. Es war ja unmittelbar die Esa, die einen Vertrag mit dem optischen Labor in Turnov abgeschlossen hat. Und sie kontrollierte auch den Entstehungsprozess der Spiegel.“

Solar Orbiter  (Foto: UCL Mathematical & Physical Sciences,  Flickr,  CC BY 2.0)
Doch nicht nur tschechische Forschungseinrichtungen, sondern auch Unternehmen haben ihr Know-how zum Solar Orbiter beigesteuert. Weitere Bestandteile lieferten unter anderem die tschechischen Unternehmen esc Aerospace, Vakuum Praha, Maxmechanik, Startech und Atos Convergence Creators.

Mehr Geld, aber zu viel Bürokratie

Der Solar Orbiter ist derzeit das prestigeträchtigste und teuerste Raumfahrt-Projekt der Esa, an dem sich Tschechien beteiligt. Immerhin kostet das gesamte Projekt stolze 1,5 Milliarden Euro. Der tschechische Beitrag liegt bei rund 6,5 Millionen Euro.

Für Prag ist das auf keinen Fall zu teuer, denn seit dem Esa-Beitritt hat Tschechien insgesamt 350 Weltraum-Vorhaben gefördert. Zudem hat die Regierung erst kürzlich ihren Esa-Beitrag auf nunmehr 59 Millionen Euro im Jahr erhöht. Damit sind nicht nur die Pflichtprojekte gesichert, sondern auch freiwillige Beteiligungen. Worum es genau geht, weiß der Weltraumbeauftragte beim Verkehrsministerium, Ondřej Šváb:

„Dabei geht es um die Erdbeobachtung sowie die Satelliten-Navigation und Telekommunikation. Außerdem beteiligen wir uns an Experimenten zur Mikrogravitation und der Entwicklung von Geräten und Trägerraketen. Wir machen also bei einer ganzen Reihe von Aktivitäten mit. Es handelt sich dabei jedoch nicht um konkrete Projekte, denn die müssten von der Esa erst einmal ausgeschrieben werden. Durch unsere Mitarbeit erhalten wir aber einen Überblick, woran alles gearbeitet werden soll.“

Dabei können tschechische Institutionen entweder auf Esa-Ausschreibungen reagieren oder aber ihre Entwicklungen der Weltraumagentur zum Kauf anbieten. Eine besondere Rolle spielt das Prodex-Programm des Bildungsministeriums. Petr Heinzel erläutert, worum es geht:

„Bei Prodex handelt es sich um Geld, mit dem der tschechische Staat bestimmte Forschungsprojekte fördert. Die Mittel sind in erster Linie für Vorhaben der Esa bestimmt. Sollte sich aber eine interessante Kooperation mit beispielsweise Frankreich, Russland, China oder den USA anbieten, kann man ebenso auf diese Finanzen zurückgreifen. Die Esa muss so etwas formal zwar erst genehmigen, in der Regel ist das aber kein Problem.“

Hemmschuh für Unternehmen

Vladimír Daniel  (Foto: Alexandra Baranowa)
Es gibt jedoch einen Haken. Die Projekte des Programms werden vom Verkehrsministerium oder auch beispielsweise vom Wirtschaftsministerium koordiniert. Die Entscheidungsgewalt hat letztlich aber das Bildungsministerium, das aber ausschließlich Forschungsprojekte fördern will. Die praktische Entwicklung von Technik bleibt da auf der Strecke. Ein Beispiel ist der tschechische Satellit VZLUSat-1 vom Aeronautischen Forschungs- und Prüfungsinstitut (VZLÚ) in Prag. Die nötigen 30 Millionen Kronen (1,2 Millionen Euro) habe man sich deshalb anderweitig beschaffen müssen, kritisiert der Konstrukteur Vladimír Daniel:

„Das Geld kam von der tschechischen Technologie-Agentur. Diese nutzt ein kombiniertes Finanzierungssystem. Ein Teil der Mittel kommt von den Unternehmen, der andere vom Staat, und in diesem Fall hat auch unser Institut etwas beigesteuert. Prodex ist nur für Forschungsprojekte bestimmt, was bedeutet, dass wir wirklich Wissenschaft betreiben müssten. Wir machen aber Technologieentwicklung und arbeiten mit der Industrie zusammen. Wir wären also darauf angewiesen, mit irgendeiner Akademie oder Universität zu kooperieren, die dann über Prodex einen Förderantrag bei der Esa stellen müsste.“

Und das ist ein bürokratischer Spießrutenlauf, bei dem vor allem Unternehmen kaum eine Chance haben. Gerade die sind aber bei der praktischen Entwicklung von Technik den Bildungseinrichtungen weit voraus. So ging es unter anderem der Firma Skyfoxlabs. Diese musste ihren GPS-Empfänger an andere Staaten und deren Weltraumorganisationen verkaufen, bevor sie irgendwann einen eigenen Satelliten ins All schießen lassen konnte. Laut dem Chef der Beratungs-Organisation Czech Space Office, Jan Kolář, zeugt das von einer mangelnden Risikobereitschaft des Staates, die im Endeffekt aber den Fortschritt bremst:

Jan Kolář  (Foto: Adam Kebrt,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Der jetzige Standpunkt Tschechiens ist nur in begrenztem Maße vertretbar. Wenn wir in die unerforschten Weiten des Weltalls vordringen wollen, dann kann Folgendes nicht unser Maßstab sein: dass jede investierte Krone Gewinn bringt. Unsere Werte sollten einerseits der Drang nach Erkenntnis sein, andererseits eine Erhöhung unserer Glaubwürdigkeit. Denn wir sollten zeigen, zu was wir in der Lage sind. Außerdem können sich die Menschen weiterbilden, die an einschlägigen Projekten mitarbeiten. Damit potenzieren sie ihren Wert auf dem Markt.“

Petr Heinzel von der Akademie der Wissenschaften fordert wiederum noch mehr Geld für intergalaktische Vorhaben. Denn nur so könnte Tschechien bald auch ein Projekt der Esa leiten. Vielleicht geht dieser Wunsch schon bald in Erfüllung. Denn im Gespräch ist die Gründung einer eigenen tschechischen Raumfahrtagentur.