Sorben und Tschechen – wie zwei Verwandte, die einander nicht vergessen wollen
Sorben und Tschechen sind nicht nur durch ihren slawischen Ursprung miteinander verbunden. Häufig haben sich auch freundschaftliche oder sogar familiäre Beziehungen ergeben. Die vielen Möglichkeiten in der heutigen globalisierten Welt führen aber dazu, dass sich mittlerweile die beiden Völker wieder weiter voneinander entfernen. Dagegen stemmt sich ein Projekt der tschechischen Regierung. Sie unterstützt den Tschechischunterricht bei den Lausitzer Sorben. Das Ziel ist, die Menschen aus den beiden benachbarten Ländern durch die Sprache wieder stärker zueinanderzuführen.
Die Sorben sind ein westslawisches Volk, das keinen eigenen Staat hat. Ihre Heimat – die Lausitz – liegt in Sachsen und Brandenburg. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Sorben eine von vier nationalen Minderheiten offiziell anerkannt.
Wie viele Sorben es gibt, ist nicht ganz klar. Denn als deutsche Staatsbürger müssen sie ihre nationale Zugehörigkeit nirgendwo angeben. Geschätzt wird, dass es noch 20.000 aktiv Sorbisch sprechende Menschen gibt beziehungsweise 60.000 Sorben nach subjektivem Zugehörigkeitsgefühl.
Die sorbische Sprache ist eine Mischung aus Polnisch, Deutsch und Tschechisch. Im Bundesland Brandenburg leben die Niedersorben, manchmal auch Wenden genannt. In Sachsen, nahe der Grenze zu Tschechien, die Obersorben. Und gerade in das kulturelle Zentrum der Obersorben, nach Bautzen / Budyšín, entsendet Tschechien Lehrer für den Tschechischunterricht.
„Meine Motivation war, einmal als Tschechischlehrer im Ausland zu arbeiten. Normalerweise würde man denken, dass das nur in Tschechien geht. Aber schon 2012 war ich in einem tschechischen Dorf in der Ukraine. Da habe ich bereits die Erfahrung gemacht, dass auch Menschen im Ausland aus historischen Gründen eine Beziehung zur tschechischen Sprache und Kultur haben“, sagt der Tschechischlehrer Jan Breindel, der aktuell in Deutschland unterrichtet.
Das Förderprogramm „Unterstützung des tschechischen Kulturerbe im Ausland“, in dessen Rahmen Breindel zu den Sorben geschickt wurde, wird vom Zentrum für internationale Bildungskooperation in Prag (Dům zahraniční spolupráce) betreut. Finanziert ist es gemeinsam vom tschechischen Bildungs- und Außenministerium. Breindel ist nun schon der dritte Lehrer aus Tschechien, der in Bautzen unterrichtet.
Vereine und grammatische Besonderheiten
Sorben lernen unter anderem Tschechisch, weil sie sich Vereinen im Nachbarland angeschlossen haben. Aber Breindel nennt noch einen weiteren Grund:
„Die Sorben haben nämlich das Problem, dass beispielsweise im Laden der Verkäufer mit ihnen weiter Deutsch oder Englisch redet, selbst wenn sie ‚Dobrý den‘ sagen. Die Motivation ist also: Wir wollen in Tschechien die Landessprache sprechen. Die Sorben denken: Es ist schade, dass wir eine slawische Sprache sprechen, die dem Tschechischen so ähnlich ist, und trotzdem sprechen wir mit Tschechen Deutsch oder Englisch.“
Tschechisch erleichtert laut Breindl zudem den Schülern den Zugang zum Sorbischen. So würden ihnen durch das Tschechischlernen einige Probleme der Rechtschreibung klarer, meint der Lehrer.
Jan Breindel unterrichtet an mehreren Grundschulen in Bautzen und Umgebung. Daneben bietet er Tschechischkurse auch für Erwachsene an. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer ist im Rentenalter.
Beno Bělk ist einer der Sprachschüler. Gegenüber Radio Prag International beschreibt er, wie eine normale Tschechischstunde abläuft:
„Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Grammatik oder auf einem neuen Wortschatz, sondern auf der Konversation. Jeder versucht so gut wie möglich, Tschechisch zu sprechen. Herr Breindl hilft uns dann mit Wörtern, die einem möglicherweise fehlen. Er macht das jedoch nicht aufdringlich als Korrektur, sondern nebenbei. Und damit ist die Barriere, Tschechisch zu sprechen, nicht so hoch. Es ist eine angenehme neunzigminütige Unterhaltung.“
Im Unterricht nutzt Breindel unter anderem böhmische und mährische Volkslieder. Sie sind auch seinen Sprachschülern bekannt, und mit ihrer Hilfe lassen sich Sprachphänomene sowie kulturelle Spezifika zeigen. Natürlich gibt es auch Lehrbücher, doch Jan Breindel merkt dazu an:
„Alle Lehrbücher und Lehrmaterialien sind für Studierende gestaltet und für diejenige, die in größeren Städten leben. Es gibt nicht so viele Themen aus dem Landleben. Meine Sprachschüler interessieren sich jedoch eher für die Natur und ihren Garten. Das heißt, ich muss sehr flexibel sein und die Materialien bearbeiten oder selbst gestalten.“
Aber wie ist es in Tschechien? Haben Tschechen auch Interesse, eine solche verwandte slawische Sprache zu lernen?
Seit dem Wintersemester 2019 bietet die Prager Karlsuniversität nach längerer Pause auch wieder einen Sorbischkurs an. Anfänglich war das Interesse relativ hoch, es kamen knapp 30 Studierende, mittlerweile ist die Begeisterung aber wieder abgeflaut. Im Kurs, den die Sprachwissenschaftlerin Katja Brankačkec leitet, sind nur noch etwa fünf bis zehn Teilnehmer eingeschrieben. Brankačkec, die selbst sorbische Wurzeln hat, räumt ein, dass nicht alle ursprünglich Interessierten das freiwillige Fach durchziehen. Es blieben wirklich nur die Interessierten, sagt die Dozentin. Sie freut sich allerdings, neben den Studierenden weitere Interessenten im Seminarraum zu haben. Auswählen kann man aktuell zwischen einem Kurs für Anfänger und einem für Fortgeschrittene.
Ähnliche Schreibweise, andere Aussprache
Wie schon anfangs erwähnt, ist das Sorbische mit dem Tschechischen verwandt. Beide sind slawische Sprachen und haben einen Grundwortschatz urslawischen Ursprungs. Auf den ersten Blick scheint es sowohl für tschechische als auch für sorbische Muttersprachler einfach zu sein, die jeweils andere Sprache zu lernen. Beide Lehrer, Breindel und Brankačkec, sind sich jedoch einig: Es bestehen einige Unterschiede zwischen beiden Sprachen, und ohne Lerneifer kommt man in der Sprachpraxis meist nicht weit. Katja Brankačkec:
„Aus Erfahrung weiß ich, dass Tschechen nicht viel verstehen, wenn Obersorben so sprechen, wie sie es Zuhause gewohnt sind. Bei einem Lesetext verstehen sie jedoch eine ganze Menge, weil die Rechtschreibung sehr konservativ, also historisch ist. Die geschriebenen Wörter sind sich sehr ähnlich. Das sorbische Wort für Kopf lautet ,hłowaʽ. Ausgesprochen erkennen Tschechen nicht so leicht, worum es geht. Geschrieben aber erkennen sie die Ähnlichkeit mit dem tschechischen Wort ,hlavaʽ.“
Dabei wurden aus der Zeit der nationalen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert und davor einige Wörter aus dem Tschechischen ins Sorbische übernommen. Dazu gehört etwa der Begriff für das Theater: „dźiwadło“.
„Das ist ein lustiges Lehnwort für mich, weil „źiwaś se“ auf Sorbisch nicht schauen heißt, sondern sich wundern. Und trotzdem haben wir das Wort „dźiwadło“ übernommen“, so Katja Brankačkec.
Dieser damalige Einfluss des Tschechischen auf das Sorbische beweist enge Kontakte zwischen Tschechen und Sorben in der Vergangenheit. Im 18. und 19. Jahrhundert gingen viele sorbische katholische Priester zum Studieren nach Prag. Sie nahmen von den tschechischen Intellektuellen und Aktivisten viele Impulse mit in die Lausitz für ihre eigene, sorbische nationale Wiedergeburt.
Heute ist der Einfluss der tschechischen Sprache auf das Sorbische ziemlich gering. Wesentlich stärker ist es mittlerweile vom Deutschen geprägt. Das liegt daran, dass bereits die vierte Generation zweisprachig aufwächst. Brankačkec zufolge hat das Sorbische daher auch immer noch zwei Vergangenheitsformen. Außer dem Perfekt, der einzigen Vergangenheitsform im Tschechischen, gibt es noch das Präteritum, das im Tschechischen wie in den meisten weiteren slawischen Sprachen heute verschwunden ist – anders als im Deutschen.
Freunde und Beziehungen
„Wir haben Freunde in Mähren und in Prag, aber auch anderswo in Tschechien. Wir hören ab und zu den Tschechischen Rundfunk, wir gehen in Prag in die Oper. Uns interessiert auch, was sich politisch in Tschechien tut – angefangen hat das mit Ereignissen 1968. Und Tschechisch ist schön, einfach schön“, so die Sorbin Theresie Schön, die mit 1968 auf die Reformbewegung „Prager Frühling“ und ihre tragische Niederschlagung durch die Sowjets anspielt.
„Seit Kindheitstagen bin ich eng mit Tschechien beziehungsweise mit der ehemaligen Tschechoslowakei verbunden. Schon als Jugendlicher bin ich ganz allein mit dem Moped nach Olomouc gefahren. Das hat sich die ganzen Jahre gehalten. Ich hatte auch Verwandtschaft in Tschechien und in der Slowakei. Ich denke, ich war schon in jeder Ecke Tschechiens. Das Land ist mir einfach sympathisch. Bis zur politischen Wende von 1989 war für Sorben oder überhaupt für die Einwohner der Lausitz Tschechien das wohl beste und populärste Reiseziel. Sorben haben viele freundschaftliche Beziehungen zu Tschechen. Ich singe in einem Chor, und dieser Chor hat seit 1985 sehr enge Kontakte nach Baška bei Frýdek-Místek. Auch viele Sportvereine pflegen Partnerschaften in Tschechien. Diese Verbindungen bestehen zwar immer noch, sind aber nicht mehr so eng. Die Welt ist für uns größer geworden und genauso für die Tschechen. Trotzdem ist Tschechien für uns ein befreundetes und bekanntes Land“, so der Sorbe Beno Bělk über seine Beziehungen zum Nachbarland.
Tatsächlich wurde 1919 bei der Versailler Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg sogar ernsthaft über einen Vereinigung der sorbischen Lausitz mit der Tschechoslowakei diskutiert. In seinem Memorandum „Independent Bohemia“ an den britischen Außenminister Grey schrieb der spätere Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk, dass der entstehende tschechoslowakische Staat am besten die Identität der sorbischen Minderheit „innerhalb des deutschen Meeres“ gewährleisten könne. Die Alliierten sprachen sich damals jedoch gegen diese Idee aus, allen voran die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Gedanken wiederbelebt, doch die Sowjetunion lässt ihn schon 1945 ein für alle Mal unter den Tisch fallen.
Trotz der Bemühungen Deutschlands, die sorbische Sprache und Kultur zu pflegen, stirbt Sorbisch langsam aus. Die Sprache wird von der Unesco als bedroht eingestuft. Ohnehin kehren viele Sorben mittlerweile der Lausitz den Rücken zu, weil sie anderswo bessere Arbeitsmöglichkeiten finden. Dadurch verlieren sie aber häufig die Bindung an die sorbische Kultur und Sprache.
Eine hoffentlich positive Aussicht zum Schluss: Die tschechische Regierung hat 2020 bereits das Tschechischlehrer-Programm für die Sorben um weitere vier Jahre verlängert. Auf diese Weise wird Prag also diese slawische Minderheit in Deutschland sowie bilaterale deutsch-sorbische Beziehungen noch mindestens bis 2025 unterstützen.