Sozialkarte vorm Aus? Premier will Projekt beenden, Partei Top 09 daran festhalten
Seit einigen Monaten ist sie ein heiß diskutiertes Thema: die so genannte sKarta. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich eine elektronische Sozialkarte, die für alle Empfänger von staatlichen Transferleistungen obligatorisch werden sollte – also für Arbeitslose, Rentner, Sozialhilfeempfänger, Behinderte, aber auch Eltern in Erziehungszeit. Doch diese S-Karte steht schwer in der Kritik. Das Amt für Datenschutz, der Ombudsmann, die politische Opposition, aber auch die kleinste Regierungspartei Lidem halten die sKarta für eine Fehlgeburt. Bei der Regierungssitzung am Mittwoch soll nun eine endgültige Entscheidung fallen. Selbst Premier Petr Nečas will das Projekt mittlerweile beenden. Nur noch der Koalitionspartner Top 09 wehrt sich, diese Partei hat auch das Arbeits- und Sozialministerium inne.
Und auch die Ausgabe der Karten lief weiter. Mittlerweile haben bereits 268.000 Empfänger von Transferleistungen des Staates die Karte erhalten. Das ist etwa ein Fünftel der gesamten Zahlungsempfänger. Doch das staatliche Datenschutzamt versetzte dem Projekt Ende Januar einen empfindlichen Schlag. Es rügte den Umgang mit personenbezogenen Informationen. Der Staat müsste diese eigentlich schützen, durch die S-Karte gelangen sie jedoch an die Sparkasse. Igor Němec, Vorsitzender des Datenschutzamtes:
„Das Amt hat festgestellt, dass personenbezogene Daten unberechtigterweise an ein Privatunternehmen weitergegeben wurden und werden. Unberechtigt bedeutet: ohne gesetzliche Grundlage, das heißt ohne Zustimmung des Parlaments. Das Datenschutzamt hat deswegen angeordnet, dass dieser Fehler bis zum 30. Juni dieses Jahres behoben werden muss. Bis zu diesem Datum muss sich das Arbeits- und Sozialministerium auch grundsätzlich mit der Problematik befassen. Ich denke, das Ressort hat zwei Möglichkeiten: Es kann entweder das Projekt S-Karte komplett einstellen oder einen Gesetzesvorschlag ins Parlament einbringen, bei dem die Abgeordneten der Übergabe von personenbezogenen Daten an ein Privatunternehmen im geforderten Umfang zustimmen. Das bedeutet, die Parlamentarier beurteilen den Zweck und die Notwendigkeit eines solchen Schrittes.“ Auf der Karte befinden sich die Daten der Klienten in einem Chip, wie bei einer Bankkarte. Bei körperlich Behinderten enthält der Chip zudem alle Informationen über den Grad der gesundheitlichen Einschränkung. Die Karte dient ihnen dann als Behindertenausweis, aber auch Arbeitslose legen sie zur Identifikation auf dem Arbeitsamt vor. Zudem kann man mit der Sozial-Karte an jedem beliebigen Bankautomaten Geld abheben.Es sind also viele Informationen, die im Chip gespeichert sind. Beim Arbeits- und Sozialministerium war man der Meinung, dass eine einfache Verordnung reiche, um die Übergabe der Daten zu ermöglichen. Nach dem Befund des Datenschutzamtes zeigte sich die neue Ministerin Müllerová aber wenig geschockt und ließ ihre Sprecherin ausrichten, sie denke nicht an eine Beendigung des Projektes S-Karte:
„Das Arbeits- und Sozialministerium hat bereits Vorschläge für Gesetzesänderungen erarbeitet und Ministerin Müllerová wird darüber mit Premier Nečas verhandeln.“Doch die Kritik riss nicht ab. Anfang Februar übergaben 51 Senatoren der Opposition eine Beschwerde an das tschechische Verfassungsgericht in Brno / Brünn. Die Parlamentarier wollen, dass das Kartenprojekt komplett gekippt wird. Vorsitzender des Senats ist der Sozialdemokrat Milan Štěch. Er nannte die beiden aus seiner Sicht wichtigsten Beschwerdepunkte:
„Wir denken, dass das Arbeits- und Sozialministerium nicht ermächtigt war, mit der Sparkasse zu verhandeln und einen Vertrag zu schließen. Die Sparkasse hat ein einzigartiges Monopol erhalten, um die Zahlung von mehreren Hundert Milliarden Kronen abzuwickeln. Wir glauben, dass die Sparkasse sehr davon profitieren wird und damit die Gewichte auf dem Markt entscheidend verschoben werden. Zudem sollte es für die Bürger möglichst einfach sein, an die ihnen per Gesetz zustehenden Transferleistungen des Staates zu gelangen. Neben den ohnehin schlechten Personalausweisen wird hier ein weiteres Dokument eingeführt, das aber nicht nur vom Staat herausgegeben wird, sondern auch von einer Privatfirma. Diese Privatfirma hat dann Zugang zu personenbezogenen Daten, ähnlich wie eine staatliche Behörde.“
Das Verfassungsgericht hat über die Beschwerde der Senatoren noch nicht entschieden. Dass aber der Vertrag mit der Sparkasse problematisch sein könnte, hat man mittlerweile auch beim Ministerium begriffen. So ergibt sich aus der Übereinkunft zum Beispiel, dass alle Empfänger von Transferleistungen eigentlich bei der Sparkasse ein Konto haben müssten. Ministerin Müllerová verhandelte deswegen mit dem Generaldirektor der Sparkasse über Änderungen. Ergebnis: Zwar sollen die Transferleistungen des Staates weiter über die Sparkasse abgewickelt werden, aber die Empfänger können sich das Geld dann kostenfrei auch auf ein Konto bei einer anderen Bank schicken lassen. Weiter festhalten will Müllerová indes an der S-Karte als Sozialausweis. Am 22. März bestätigte sie dies gegenüber den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Zugleich betonte sie, dass auch die Nutzung der Bezahlfunktion weiter Sinn habe:„Das Arbeits- und Sozialministerium wird die Karte als Identifikationsnachweis verwenden. Jede Karte hat eine eigene Nummer, die nicht mit der Geburtsnummer identisch ist, und mit dieser Nummer arbeiten dann auch alle anderen Behörden. Die Menschen sollten sich aber auch klarmachen, welchen Vorteil die Bezahlfunktion der Karte bringt. Das Geld, das man auf die S-Karte erhält, kann nicht gepfändet werden. Diese Sicherheit besteht bei keinem anderen Konto. Das werden viele Menschen wohl auch verstehen.“Bei Müllerovás Partnern in der Regierungskoalition ist das Verständnis indes immer geringer geworden. Kurz vor Ostern setzte sich Premier Petr Nečas mit der Arbeits- und Sozialministerin zusammen. Nach vier Monaten Dauerkritik erstaunte dann kaum, dass Nečas nun die Reißleine zog:
„Ich habe aufgrund einer genauen Analyse Ministerin Müllerová empfohlen, das Projekt zu beenden. Es liegt aber an ihr, welchen Plan sie dem Kabinett vorlegen will. Der politische und sachliche Aufwand, der mit der Karte verbunden ist, die Widersprüche im Vertrag des Staates mit der tschechischen Sparkasse, die notwendigen Gesetzesänderungen, die sich aus der Stellungnahme des Amtes für Datenschutz ergeben – all dies hat eine unangenehme Lage geschaffen. In dieser Situation ist die ‚am wenigsten schlechte Lösung’, um die finanziellen und politischen Kosten zu minimalisieren, von diesem Projekt zurückzutreten.“ Damit hat der Premierminister aber die mitregierende Partei Top 09 gegen sich aufgebracht, vergangene Woche ist daraus ein handfester Koalitionsstreit geworden. Denn die Top 09 steht geschlossen hinter Ludmila Müllerová, und die will weiterhin die S-Karte. Finanzminister Miroslav Kalousek, Top-09-Vizevorsitzender:„Die S-Karten sind eine gute Idee. Vielleicht sind die Bedingungen am Anfang etwas arg restriktiv formuliert worden und es ist besser, diese zu lockern. Aber den Gedanken zu zerstören ist einfach eine Dummheit.“
Kalousek ging sogar noch weiter und griff Premier Nečas persönlich an. Dieser wolle mit der Einstellung der S-Karte nur seine eigene Haut retten, angesichts der schlechten Umfragewerte von dessen Demokratischer Bürgerpartei (ODS). Auch Außenminister Karel Schwarzenberg gab Ministerin Müllerová Rückendeckung. Er wies darauf hin, dass ein Ausstieg aus dem Vertrag mit der Sparkasse für den Staat teuer werden könnte. Beziffern konnten dies aber bisher weder er, noch die Ministerin.Außerdem ist nicht nur beim Premier die Stimmung umgeschlagen, sondern auch allgemein in seiner Partei ODS. Eine Umfrage des Tschechischen Fernsehens hat ergeben, dass nur noch die fünf Minister der Top 09 für die S-Karte sind. Alle bürgerdemokratischen Kabinettsmitglieder und auch die drei der Partei Lidem tendieren eher zu einer Einstellung des Projekts. Die Entscheidung soll noch diese Woche fallen: bei der Kabinettssitzung am Mittwoch.