Spiel mir das Lied vom Tod: Der tschechische Film kämpft ums Überleben
Spiel mir das Lied vom Tod: Der tschechische Film kämpft ums Überleben In Karlsbad wird am Freitag das 41. Internationale Filmfestival eröffnet. Neben vielen ausländischen werden dabei auch zahlreiche tschechische Filme zu sehen sein. Doch während auf dem roten Teppich Stars und Sternchen lächelnd in die Fernsehkameras winken, tobt hinter den Kulissen ein erbitterter Kampf: Die tschechische Filmbranche ist in Aufruhr, seitdem im Mai die neue Fassung des Gesetzes über die Kinematografie gescheitert ist. Keine Woche ist seither vergangen, ohne dass sich Politiker und Filmemacher einen heftigen Schlagabtausch geliefert hätten. Worum es bei dem Streit geht und wie es um die Zukunft des tschechischen Films bestellt ist, hat Anneke Hudalla recherchiert.
"In Tschechien gibt es eine lange Filmtradition, seit in den dreißiger Jahren die Barrandov-Studios gegründet wurden. In den sechziger Jahren waren dann die Filme der sogenannten tschechoslowakischen Welle sehr erfolgreich. das hat alles dazu geführt, dass die Filmindustrie hier sehr gut ausgebildet ist. Das ist eigentlich ein Vorteil. Aber die Filmförderung, die die Produktion des tschechischen Films eigentlich unterstützen sollte, ist hier, verglichen mit anderen Ländern, lächerlich klein."
Zwar gibt es seit 1993 einen Fonds, aus dem Regisseure und Produzenten Fördergelder für ihre Filmprojekte beantragen können. Doch mit zwei bis drei Millionen Euro pro Jahr ist dieser Fonds alles andere als großzügig ausgestattet - zumal sich jedes Jahr etwa 200 Filmschaffende um dieses Geld bewerben. Nur sechs Prozent der Produktionskosten eines Films werden in Tschechien mit Fördergeldern gedeckt - in Deutschland sind es durchschnittlich fünfzig Prozent. Was diese bescheidene Förderung für den tschechischen Film bedeutet, ist bereits deutlich zu erkennen, meint die Filmproduzentin Katerina Cerna:"Im Hinblick auf den Erfolg des tschechischen Kinos ist unübersehbar, dass wir im Moment nicht gerade eine Blütezeit erleben. Bei den großen internationalen Festivals wie etwa in Cannes oder in Berlin haben es tschechische Filme schon lange nicht mehr in den Wettbewerb geschafft. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, unter welchen Bedingungen die Filmbranche arbeiten muss, wie viel Geld da ist und welche Möglichkeiten die Regisseure und Drehbuchautoren haben. Wenn heute ein junger Regisseur die Filmhochschule abschließt, dann muss er, um einen Film zu drehen, vor allem Geld auftreiben, er muss umsonst arbeiten - und natürlich hat er während der Dreharbeiten auch keine Zeit, einem anderen Job nachzugehen."
Wie kommt mehr Geld in den Filmförderfonds - so lautete also die Frage, als das Kultusministerium 1998 begann, das Gesetz über die Kinematografie zu überarbeiten. Acht Jahre und unendliche Diskussionen später waren die Filmbranche und das Ministerium bei einer Lösung angekommen, die in den meisten europäischen Ländern schon lange gang und gäbe ist: Die Kinobetreiber, die Video-Verleiher und das Fernsehen sollten einen kleinen Prozentsatz ihrer Einnahmen aus dem Film- und Reklamegeschäft in den Fonds einzahlen. Das hätte die Mittel für die Filmförderung auf einen Schlag vervierfacht. Zu viel, befand Präsident Klaus, als er im Mai sein Veto gegen das Gesetz einlegte. Und warf zugleich eine Frage auf, die seither im Zentrum der Auseinandersetzung um die Filmförderung steht. Diese Frage lautet: Ist die Herstellung eines Films ein rein privates Geschäft wie etwa die Herstellung von Fahrradreifen? Oder handelt es sich beim Film um ein öffentliches Kulturgut, das die Gesellschaft mitfinanzieren sollte? Katerina Cerna, die Filmproduzentin, hat darauf eine eindeutige Antwort:"Ich denke schon, dass nicht alle Filme unglaublich anspruchsvoll sind, aber es gibt auch Filme, die durchaus ein öffentliches Gut sind - weil sie etwas über unsere Nation erzählen, über unsere Mentalität, über den Zustand unserer Gesellschaft. Derartiges war, ist und wird in jedem Staat immer ein Teil der Kultur sein. Und deshalb denke ich, dass der Film auch ein öffentliches Gut ist und als solches betrachtet werden sollte."
In der Kanzlei von Präsident Klaus ist man da völlig anderer Auffassung. Der Film sei genau denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen wie jedes andere Industrieprodukt, meint Ladislav Jakl, der Sprecher des Präsidenten:
"Ich denke, der Film sollte vom Kinopublikum finanziert werden. Und die Filmproduzenten müssen sich bemühen, solche Filme herzustellen, die die Leute auch interessieren. Die Produzenten können nicht einfach Filme zur eigenen Unterhaltung drehen und dann die Hand aufhalten, damit der Staat ihnen diese Selbstunterhaltung auch noch mit dem Geld anderer Leute vergütet."
Dass eine Filmbranche, die sich ausschließlich an Kassenerfolg und Massengeschmack orientiert, bald nur noch Action, Sex und Crime produziert, will Ladislav Jakl nicht gelten lassen.
"Ich masse mir nicht an, ein größeres Urteilsvermögen zu haben als die Leute, die ins Kino gehen. Diese Leute haben auch ihren Geschmack und ihre Vorstellungen. So, wie der Film entstanden ist, gehört er eben zur Massenkultur, und wenn jemand bewusst für ein sehr kleines Zielpublikum produziert, dann muss er damit rechnen, dabei draufzuzahlen - oder die Zielgruppe muss eben so interessant sein, dass sich das auf irgendeine Weise auszahlt."
Freie Marktwirtschaft über alles - so ließe sich die Haltung der Präsidentenkanzlei also charakterisieren. Doch paradoxerweise führt genau diese Einstellung dazu, dass die tschechische Filmwirtschaft immer stärker in Bedrängnis gerät - und das nicht nur im Hinblick auf die einheimische Filmproduktion. Ein zweites Problem, mit dem die tschechische Filmbranche zu kämpfen hat, besteht nämlich darin, dass immer weniger ausländische Filmproduktionen in Tschechien produziert werden. Noch vor wenigen Jahren galt Prag etwa den Amerikanern als idealer Dreh- und Produktionsort: Vor den wunderschönen, etwas heruntergekommenen Fassaden der Stadt ließen sich Historienfilme ebenso gut nachstellen wie Filme aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die modernen Studios in Barrandov und hoch qualifizierte Toningenieure, Cutter oder Kameraleute boten zusätzliche Argumente für den Drehort Tschechien. Inzwischen entscheidet sich Hollywood jedoch immer häufiger dafür, Filme in Ungarn oder Rumänien zu produzieren. Denn dort erhalten Filmproduzenten einen Teil ihrer Investitionen in Form von Steuererleichterungen zurück. Unter Verweis auf die freie Marktwirtschaft lehnt die tschechische Politik derartige Steuererleichterungen bislang hingegen ab - und das hat fatale Konsequenzen, meint Jana Cernik vom tschechischen Filmzentrum:"Die ausländischen Filmfirmen, die hierher kommen, um Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, machen etwa neunzig Prozent am Umsatz der tschechischen Filmindustrie aus. Das heißt, wenn diese Firmen nicht mehr hierher kommen, weil es in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien billiger ist, dann geht es auch mit dem tschechischen Film abwärts, das lässt sich gar nicht voneinander trennen. Und wenn sich der Staat hier nicht zu einem Signal entschließt, wie eben etwa zu solchen Steuererleichterungen, dann wird es keinen Grund mehr geben, warum englische oder amerikanische Firmen ihre Filme hier produzieren sollten."
Besonders rosig sieht die Zukunft des tschechischen Films derzeit also nicht aus. Ohne eine größere Filmförderung und ohne Steueranreize für ausländische Produktionen könnten Filme wie der 1996 mit einem Oscar prämierte "Kolja" schon bald unwiederbringliche Vergangenheit sein. Deshalb wird die Branche das Filmfestival in Karlsbad dieses Jahr auch nicht nur dazu nutzen, sich selbst zu feiern. Wie jedes Jahr wird Präsident Klaus am Wochenende nach Karlsbad kommen, um sich am internationalen Flair, dem Trubel und natürlich den neuen Filmen zu erfreuen. Bei seinem Besuch wird er sich auch auf einige harte Diskussionen einstellen müssen.