Warten auf Václav Klaus: Prag wird letzte Hürde für EU-Reformvertrag
Ein Inselstaat hat entschieden, nun ist Tschechien eine Insel im Meer der EU-Staaten. Nachdem am Freitag die Iren dem Vertrag von Lissabon in einem Referendum zugestimmt haben, steht Tschechien nun ziemlich alleine da. Oder besser gesagt Präsident Václav Klaus, der europaweit bekannt ist für seine Abneigung gegenüber dem EU-Reformvertrag. Tschechien muss zwar noch eine Stellungnahme des Verfassungsgerichts abwarten, doch auch danach ist keineswegs sicher, ob das Staatsoberhaupt zur Feder greift und den Vertrag unterschreibt. Die Debatten in Tschechien sind entsprechend stürmisch.
Auf der Internetseite der tschechischen Strana Svobodných Občanů, der Partei der Freien Bürger, gibt es ein Spiel namens „Helft Irland“ zum Download. Über eine typisch irische Landschaft fliegen zu typisch irischer Musik Politiker, die Ja gesagt haben zum Lissabonner Vertrag. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, aber auch ein paar bekannte Gesichter aus Tschechien. Die Aufgabe lautet: Politiker Abschießen. Man zielt durch ein Fadenkreuz und drückt ab. Von blutrünstigeren Ballerspielen unterscheidet sich das Spiel der tschechischen Kleinpartei lediglich dadurch, dass man nicht mit Gewehrkugeln schießt, sondern mit einer Kopie des Lissabonner Vertrags.
Chef der Partei der Freien Bürger ist Petr Mach, langjähriger Direktor des Zentrums für Wirtschaft und Politik, das 1998 von einem weiteren prominenten EU-Skeptiker gegründet wurde – dem heutigen Staatspräsidenten Václav Klaus. Dessen Sekretär Ladislav Jakl, gleichzeitig Chef der politischen Abteilung der Präsidentschaftskanzlei, hat sich vor der Europawahl sogar als Wähler der Partei der Freien Bürger geoutet.
Nach dem Ja der Iren zum Lissabonner Vertrag blickt nun ganz Europa auf Jakls Chef, auf Václav Klaus. Wird er den Vertrag, der bereits von beiden tschechischen Parlamentskammern abgesegnet wurde, nun mit seiner Unterschrift ratifizieren oder nicht? Selbst wenn er wollte – im Moment könnte er gar nicht, erklärt Sekretär Jakl, und verweist auf die laufende Klage beim tschechischen Verfassungsgericht:
„Der Ball liegt jetzt beim Verfassungsgericht. Wir werden sehen, ob dieses seine Arbeit genauso verantwortungsbewusst wahrnimmt wie das deutsche Verfassungsgericht, das die Angelegenheit zehn Monate lang eingehend geprüft und dann eine fast 300 Seiten lange Urteilsbegründung vorgelegt hat, oder ob die tschechischen Verfassungsrichter das jetzt einfach hinschludern und vom Tisch haben wollen, weil sie Angst vor dem immer stärkeren Druck aus dem Ausland haben.“
Verfassungsgericht hin oder her: Am Samstag zog eine Schar von etwa 150 Lissabon-Gegnern zur Prager Burg, dem Amtssitz des tschechischen Präsidenten, um Václav Klaus auf seinem Nein-Kurs zu unterstützen. Wieder mit von der Partie: Petr Mach, Chef der Partei der Freien Bürger. Sollte Lissabon letztlich doch in Kraft treten, dann habe er einen Plan B, so Mach: den Austritt Tschechiens aus der Europäischen Union. Welchen Handlungsspielraum hat Václav Klaus nun in dieser aufgeheizten Stimmung? Dazu der Politologe Robert Schuster vom Prager Institut für internationale Beziehungen:„Er kann praktisch nur verlieren. Wenn er nicht unterschreibt und seinen Prinzipien treu bleibt, dann ist er natürlich der Buhmann Europas, derjenige, der den Lissabonner Vertrag zum Scheitern brachte. Wenn er aber unterschreibt, dann ist er wiederum bei denen unten durch, die nun am Wochenende auf der Prager Burg demonstriert haben und ihn aufgefordert haben, diesen ‚Verrat an den Interessen des Landes’ nicht zu unterschreiben. Das heißt, er hat sich in eine ziemlich schlechte Situation hineinmanövriert.“
Andererseits: Klaus und die tschechischen EU-Skeptiker haben es nicht eilig. Die aktuelle Verfassungsbeschwerde etwa wurde erst vergangene Woche von einer Gruppe konservativer Senatoren eingereicht, nachdem das Verfassungsgericht im vergangenen November schon einmal grünes Licht für Lissabon gegeben hatte. Weitere Beschwerden könnten folgen, meint Robert Schuster vom Institut für Internationale Beziehungen und verweist dabei auf die jüngsten Aussagen des Senators und Lissabon-Gegners Jarloslav Kubera:
„Dieser hat ganz offen gesagt: Selbst wenn das Verfassungsgericht sagen sollte, der Lissabonner Vertrag ist im Einklang mit der tschechischen Verfassung, kann uns niemand daran hindern, dass wir unsere Klage erweitern und sie dann noch einmal einbringen. Und wenn das Verfassungsgericht auch diese Klage wieder abschmettert und den Vertrag für verfassungskonform erklärt, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, dass der Präsident selbst eine ähnliche Klage einbringt. Das deutet auf eine gewisse Obstruktionsstrategie hin, die wahrscheinlich zur Aufgabe haben soll, die Sache so lange hinauszuzögern, bis David Cameron in Großbritannien die Unterhauswahlen gewinnt und dort ein Referendum zum Lissabonner Vertrag ansetzt – mit der Erwartung, dass die Briten den Vertrag ablehnen und die Sache damit gestorben ist.“Hintergrund: Solange nicht alle Staaten den Lissabonner Vertrag ratifiziert haben, können die einzelnen Mitgliedsländer ihre Zustimmung wieder zurückziehen. David Cameron, der Chef der britischen Konservativen, hat Václav Klaus im Juli sogar einen Brief geschrieben, in dem er ein künftiges Referendum zum Vertrag ausdrücklich in Erwägung zieht. Entsprechende Gerüchte bestätigte die tschechische Präsidentschaftskanzlei erst vergangene Woche.
Eine derartige Hinhaltetaktik birgt für Tschechien aber auch Gefahren – etwa bei der Besetzung der Europäischen Kommission. Darauf verwies der tschechische Sozialdemokrat Libor Rouček, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und entschiedener Befürworter des Lissabonner Vertrags, bereits im Juli gegenüber Radio Prag:
„Es droht, dass die Tschechische Republik sozusagen den Schwarzen Peter bekommt. Dann hat das Land natürlich auch weniger Chancen, einen guten Posten bei der Besetzung der Kommission zu bekommen.“Es könnte sogar sein, dass Tschechien überhaupt keinen Kommissar bekommt, sollte der Lissabonner Vertrag scheitern und weiterhin der Vertrag von Nizza in Kraft bleiben. Dieser sieht nämlich vor, dass es künftig weniger Kommissare als Mitgliedsländer gibt. Libor Rouček:
„Auch diese Möglichkeit steht offen. Meiner Meinung nach droht die Situation, dass die Tschechische Republik bestraft wird, wenn sie die Ratifizierung immer wieder verzögert.“
Der Druck auf Tschechien wird in den nächsten Wochen also sicher nicht kleiner werden. Das Verfassungsgericht hat zwar angekündigt, die Akte Lissabon ganz oben auf seine Agenda zu setzen, doch Termin für die Entscheidung gibt es keinen.