Staatsauszeichnungen: Orden des Weißen Löwen hat beständige Tradition

Коллекция Чехословацких орденов Белого льва, Армейский музей Жижков, Фото: Эва Туречкова, Чешское радио - Радио Прага

Am 28. Oktober 1918 wurde die erste selbständige Republik der Tschechoslowakei gegründet. Seitdem wird dieser Tag hierzulande als Staatsfeiertag begangen. Seit der politischen Wende nimmt der jeweilige Präsident des Landes den Tag zugleich zum Anlass, um staatliche Auszeichnungen zu vergeben. Vor 1989 war diese Tradition jedoch nicht so ausgeprägt. Wieso nicht, und welche Ehrungen zu welchen Anlässen von 1918 bis in die Gegenwart vollzogen wurden, das weiß Vladimír Jašek. Er ist Hobby-Experte auf diesem Gebiet. Jašek hat vor gut zehn Jahren eine eigene Webseite zu den Auszeichnungen angelegt, und er besitzt eine repräsentative Sammlung der bedeutendsten Staatsorden.

Vladimír Jašek  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Herr Jašek, die Tschechoslowakei wurde 1918 gegründet. Wie ist es dazu gekommen, an jedem Jahrestag nach der Gründung Auszeichnungen zu vergeben. Welche Gründe gab es dafür? Wer hat das veranlasst? Wer und was sollte damit geehrt werden?

„Sie werden überrascht sein, aber diese Tradition gab es zu Beginn nicht. Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 wurden sofort die alten Auszeichnungen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aufgehoben. Doch damit entstand auch ein Problem: Die junge Republik hatte noch keine eigenen Orden. Zunächst wurden das Militärkreuz und einige Medaillen für die Soldaten geschaffen. Ansonsten aber gab es nichts, und daraus entstand ein diplomatisches Problem. Ein Beispiel: Wenn ein ausländischer Staatsmann nach Prag zu Besuch kam, war es üblich, dass dem tschechoslowakischen Präsidenten von ihm ein Orden seines Landes verliehen werden sollte. Das aber konnte man hierzulande nicht erwidern, denn man hatte nichts dergleichen. Deshalb wurde 1922 der Orden des Weißen Löwen geschaffen. Das aber war schon alles. Dies wurde dann auch wieder zum Problem im Zweiten Weltkrieg, als viele Tschechoslowaken als Soldaten in Frankreich oder als Piloten bei der britischen Royal Air Force gegen Hitler-Deutschland kämpften. Um ihre Leistungen zu würdigen, schuf die tschechoslowakische Regierung im Exil 1940 erneut das Militärkreuz und einige andere Medaillen. Es war also nicht so wie heute, dass verdienstvolle Bürger zum Jahrestag der Republikgründung auf die Prager Burg kommen, um vom Präsidenten geehrt zu werden. Das gab es bis 1945 überhaupt nicht.“

Orden der französischen Ehrenlegion  (Foto: Ned T. Johnston,  U.S. Air Force,  Public Domain)
Wie viele Auszeichnungen gab es eigentlich insgesamt in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik? Was war die höchste Ehrung? Und: Wer wurde am häufigsten geehrt beziehungsweise war damals die bedeutendste Persönlichkeit?

„Neben den militärischen Plaketten gab es, wie gesagt, nur noch den Orden des Weißen Löwen. Er war die wichtigste und höchste Auszeichnung. Er wurde nach dem Vorbild des Ordens der französischen Ehrenlegion erschaffen. Der Orden wurde in fünf Klassen verliehen, und das sowohl in der zivilen wie auch der militärischen Division. Dazu gab es eine goldene und eine silberne Medaille. Bei Empfängen lief es meist folgendermaßen ab: Den höchsten Orden erster Klasse erhielten die Staatsoberhäupter, die zweite Klasse die Botschafter, während die dritte und vierte Klasse an Offiziere des Militärs vergeben wurde. Für die Staatsoberhäupter wurde im Jahr 1924 noch eine Spezialanfertigung geschaffen, das war die Kette. Wenn man in das Archiv der Präsidialkanzlei schaut, stellt man fest, dass dieser Orden vor dem Krieg zum Beispiel an den französischen Präsidenten, den König von Rumänien, den König von Jugoslawien oder an die Staatsoberhäupter verbündeter Länder wie Litauen und Estland verliehen wurde. In kommunistischer Zeit nach dem Krieg erhielten diesen Orden dann zumeist an die Vorsitzenden des Nationalausschusses der Sowjetunion oder die Staatsoberhäupter der sozialistischen Staaten. Hinzu kamen erstrangige Staatsmänner aus Volksrepubliken in Afrika oder beispielsweise auch Palästinenserführer Jassir Arafat. Könige aber sind in jener Zeit fast nicht mehr vertreten.“

Exilregierung in London
Wie sah es während der deutschen Besatzung aus, also während des Protektorats Böhmen und Mähren? Wurde da die Tradition der Ehrungen unterbrochen, oder hat die tschechoslowakische Regierung im Exil sie in irgendeiner Weise weitergeführt?

„Während des Zweiten Weltkriegs hat die Exilregierung eigentlich nur militärische Orden an tapfere Soldaten vergeben. Bekannt sind zum Beispiel die Fotos, die in Frankreich gemacht wurden und den tschechoslowakischen Exilpräsidenten zeigen, wie er die Verdienstmedaillen an seine im Krieg kämpfenden Landsleute überreicht. Je eine solche Medaille bekamen unter anderem die Fallschirmjäger, die am Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich beteiligt waren und überlebt hatten. Ansonsten aber gab es kaum Zeit und Gelegenheiten, solche Ehrungen vorzunehmen, denn es herrschte Krieg.“

Sozialistische Auszeichnungen  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die große Zeit der Orden und der Auszeichnungen kam dann unter den Kommunisten. Nach sowjetischem Vorbild behängte man sich dabei gegenseitig „mit Lametta“, wie es im Volksmund hieß. Wie wurde die Tradition nach dem Krieg konkret durch die Kommunisten fortgesetzt? Waren diese Ehrungen auch Propagandamittel?

„Absolut. Nach dem Vorbild der Staatsmacht in Moskau wurde in den 1950er Jahren de facto fast die gesamte Struktur der sowjetischen Auszeichnungen übernommen. Der Top-Titel war der Orden ‚Held der Tschechoslowakei‘ beziehungsweise später der Orden ‚Held der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik‘. Und für zivile Verdienste wurde der Orden ‚Held der sozialistischen Arbeit‘ verliehen. Zudem wurden spezielle Orden für weitere zivile und militärische Verdienste geschaffen. Es gibt dabei ganz interessante Geschichten. Zum Beispiel zum Titel des Helden. Er war auch in der Sowjetunion die höchste Auszeichnung. Doch während dieser Orden in Moskau wegen des Kriegs in acht- bis zehntausend Fällen verliehen wurde, ist er in der Tschechoslowakei zwischen 1960 und 1989 nur 31 Mal vergeben worden. Davon blieb in etwa die Hälfte in der Tschechoslowakei, die andere Hälfte aber ging in die Sowjetunion. Dazu nur ein Beispiel: 1978 war der tschechoslowakische Kosmonaut Vladimír Remek der erste Europäer im Weltraum, der nicht aus der Sowjetunion kam. Nach seiner Rückkehr auf die Erde wurde er in Prag als ‚Held der ČSSR‘ ausgezeichnet. Diesen Titel haben aber ebenso die drei sowjetischen Besatzungsmitglieder erhalten, die mit ihm in der Raumstation Saljut 6 zusammen waren.“

Rudolf Slánský  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Gab es in der Geschichte der staatlichen Auszeichnungen auch Besonderheiten oder Kuriositäten?

„Es gab viele. Zum Beispiel gleich zu Beginn der kommunistischen Ära im Jahr 1951. In jenem Jahr wurde gerade eine Struktur für die zivilen Auszeichnungen gebildet. An der Spitze dieser Ehrungen stand der ‚Orden des Sozialismus‘. Das sollte der höchste tschechoslowakische Orden für außerordentliche Verdienste beim Aufbau des Sozialismus sein. Er wurde jedoch nur einmal verliehen, und zwar an den Kommunisten Rudolf Slánský. Das war im Juli 1951. Das war eine peinliche Geschichte, denn Slánský stand schon bald im Fadenkreuz der Presse. Nur drei Monate später wurde er festgenommen und ein Jahr darauf hingerichtet – und das als Nummer zwei des damaligen Regimes! Der Titel aber war de facto mit seinem Namen verbunden, das heißt: Der höchste Orden war an einen „Verräter“ verliehen worden. Es gab folglich viele kritische Stimmen, die fragten: Wie konntet Ihr nur einem Verräter diese Auszeichnung zuerkennen? Daraufhin wurde diese Ehrung aufgehoben und stattdessen 1953 der Orden zum Aufbau des Sozialismus herausgebracht. Formell existierte die rechtlich-juristische Vorschrift für den ursprünglichen Orden zwar bis 1959, doch er wurde nicht mehr vergeben. Somit wurde er zu einem der seltensten Orden der Tschechoslowakei: Er wurde nur einmal verliehen, an Rudolf Slánský, und zu Beginn noch einmal übergeben – an den ersten kommunistischen Präsidenten Klement Gottwald. Denn der Gesetzgebung nach gehörten alle tschechoslowakischen Orden auch dem jeweiligen Staatsoberhaupt. Nachdem Gottwald gestorben war und Antonín Zápotocký ihn im Amt folgte, erhielt auch er alle Orden. Doch im Protokoll der Medaillenübergabe ist der ‚Orden des Sozialismus‘ nicht mehr aufgeführt, obwohl er rechtlich noch existierte.“

Orden des Weißen Löwen  (Foto: Public Domain)
Nach der Wende wurde die Tradition der staatlichen Ehrungen wieder neu aufgegriffen. Wie ordnen Sie diese Epoche ein?

„Es war einfach so: Die neue Regierung hat einen Strich gemacht. Denn in den 40 Jahren des Kommunismus waren übermäßig viele Auszeichnungen entstanden. 1990 wurde ein neues Gesetz über die Ehrungen der Tschechoslowakischen Föderativen Republik verabschiedet. Dazu wurden ein paar Orden vergeben. Aber schon drei Jahre darauf musste wieder ein neues Gesetz für die Tschechische Republik her. Das Einzige, was nach all diesen Änderungen geblieben ist, ist der Orden des Weißen Löwen. Er hat heute eine andere grafische Gestaltung. Sie ist meiner Meinung nach nicht so schön wie damals. Ansonsten wurde eine ganz neue Struktur entwickelt. Wir haben jetzt einen Orden für Zivilverdienste sowie eine Reihe von Medaillen. Aber es sind nicht mehr so viele Auszeichnungen wie früher, man verfährt eher minimalistisch. Mit dem Neubeginn wurde die ganz alte Tradition aufgehoben. Neu ist zudem, dass der Orden des Weißen Löwen jetzt auch an Tschechen verliehen werden kann. Früher war dies nur Ausländern vorbehalten.“

Orden des Weißen Löwen  (Foto: Eva Turečková)
Der Orden des Weißen Löwen gilt aber immer noch als höchste staatliche Auszeichnung. Hat er diesen traditionellen Wert, weil er der erste Orden war, der verliehen wurde? Worin liegt seine ideelle Bedeutung?

„Die ursprüngliche Variante des Weißen Löwen war einer der schönsten Orden, die es bisher hierzulande gegeben hat. Die Tschechische Republik knüpft dabei an die alte Tradition des Ordens an, die bis ins Jahr 1922 zurückreicht. Und dass er jetzt auch an Bürger des eignen Landes vergeben wird, gehört zur Symbolik der heutigen Republik. Während des Kommunismus gab es auch ihn in zwei Varianten – der einen vor 1960 und danach in einer geänderten Version mit einem anderen Staatswappen. Dazu wurde er modifiziert von fünf auf drei Klassen. Insgesamt aber hat er seine einzigartige Kontinuität beibehalten.“

Tschechische Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg  (Foto: Public Domain)
Wer hat Ihrer Meinung nach den Orden des Weißen Löwen unter den bisherigen Trägern am meisten verdient?

„Die Verleihung des Ordens an Präsidenten muss man als eine formell-höfliche Auszeichnung einstufen. Was ich persönlich am meisten schätze, das waren die Verleihungen des Weißen Löwen an die Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere an jene, die im Westen gekämpft haben, nach dem Krieg zurückgekommen sind, dann aber hierzulande in die Arbeitslager geschickt wurden. Und denen praktisch nach 60 Jahren zu sagen, als sie schon im hohen Alter waren, ´Jungs, ihr habt damals einen guten Job gemacht. Vielen Dank.´, das war für mich schon beeindruckend. Das waren die besten Verleihungen für mich.“