Stadtmuseum zeigt Herbst 89 in den Prager Straßen

Foto: Martina Schneibergová

Plakate, Flugblätter, Fotografien, Filmaufnahmen sowie Alltagsgegenstände aus den 1980er Jahren: Sie dokumentieren die ersten Tage der Samtenen Revolution in der tschechischen Hauptstadt. Und sie sind unter dem Titel „Der November 1989 in den Prager Straßen“ im Stadtmuseum zu sehen.

Foto: Martina Schneibergová

Der Ausbruch der Samtenen Revolution vor 30 Jahren, wie ihn die Bewohner der tschechischen Hauptstadt erlebt haben. Dies ist das Hauptthema der Ausstellung, die vor kurzem im Prager Stadtmuseum eröffnet wurde. Am 17. November 1989 gingen Studierende in Prag auf die Straße. Der damalige Protest habe sich an Ereignisse von 1939 angelehnt, erzählt Tomáš Dvořák. Er hat die Ausstellung zusammengestellt.

Tomáš Dvořák  (Foto: Martina Schneibergová)
„Am 28. Oktober 1939 demonstrierten die Prager gegen die nationalsozialistische Besetzung ihres Landes. Bei den Protesten kam der Arbeiter Jan Sedláček ums Leben, und der Student Jan Opletal wurde tödlich verletzt. Er starb nach einigen Tagen im Krankenhaus. Opletals Begräbnis verwandelte sich in einen Protest gegen die deutschen Okkupanten. Als Vergeltung ließen die Nationalsozialisten am 17. November alle Hochschulen im ‚Protektorat Böhmen und Mähren‘ schließen, viele Studenten wurden ins KZ verschleppt, neun Studentenführer wurden hingerichtet. Zwei Jahre später wurde der 17. November in London zum Weltstudententag ausgerufen.“

Das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei missbrauchte später jedoch den Weltstudententag. Die Vertreter westlicher Länder verließen schon 1946 den Internationalen Studentenbund, der seit 1946 seinen Sitz in Prag hatte. Der Bund hatte eine rein propagandistische Rolle und wurde von den kommunistischen Geheimdiensten beherrscht. Hierzulande wurde jedoch nicht vergessen, was am 17. November 1939 passiert war. Der Historiker:

„Bei der Demonstration am 17. November 1989 hieß es, dass man nicht nur an die Ereignisse vor 50 Jahren erinnern sollte, sondern sich auch um die Gegenwart und Zukunft kümmern müsste. Von diesem Gedanken wurden die jungen Menschen bei ihrem Protestmarsch getragen.“

Die Studentendemonstration wurde dann zum Startschuss für die Samtene Revolution, die den politischen Wandel einläutete.

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Achtung, der Putz fällt ab!

Foto: Martina Schneibergová
Der Eingang in die Ausstellung ist durch ein nachgestelltes Gerüst überdacht. Vor 30 Jahren gehörten die zahlreichen Holzgerüste im historischen Stadtkern zum Prager Stadtbild.

„Wir wollen damit den Besuchern die Atmosphäre der damaligen Zeit näherbringen. Ich habe in unserem Archiv in einer zeitgenössischen Zeitung ein Feuilleton gefunden, in dem der Weg zum Sitz der Prager Baubetriebe beschrieben wurde. Dieser befand sich in der Nähe des Altstädter Rings. In dem Feuilleton hieß es, auch bei Regen brauche man vom Wenzelsplatz bis dorthin keinen Regenschirm, da man die ganze Zeit unter Gerüsten gehe. Gerüste mit der Warnung: ,Achtung, der Putz fällt ab!‘ waren wirklich ein Phänomen der Zeit.“

Jüngere Ausstellungsbesucher werden sicher die schwarz-weißen Werbespots aus dem Tschechoslowakischen Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre interessant finden.

„Beachtenswert ist die unglaubliche Länge dieser Werbespots, die heute unvorstellbar ist. Wir haben uns um eine Auswahl verschiedener Reklamesendungen bemüht, die wir interessant finden. Beworben werden unter anderem alkoholische Getränke oder auch Versicherungen. Wir haben diese Möchtegern-Idealwelt der Reklame den Fotografien von den Demonstrationen im Januar 1989 gegenüberstellt. Auf den Bildern sind Menschen zu sehen, die von den Angehörigen der Staatssicherheit weggeschleppt werden. Auf einem Foto ist eine aktive Polizistin zu sehen, die den anderen Beamten zeigt, wen sie verhaften sollen.“

Von der Polizei eingeschlossen

Die entscheidende Demonstration vom 17. November 1989 ist mit mehreren großformatigen Fotos dokumentiert. Sie zeigen, wie Polizisten den Marsch der Demonstranten in Richtung Wenzelsplatz bereits in der Nationalstraße stoppen. Von hinten schließen weitere Polizeitruppen, begleitet von Panzerwagen, die Studierenden ein.

Foto: Martina Schneibergová
„Es gab damals keine Möglichkeit mehr zur Flucht. Im Laubengang vor dem Gebäude der damaligen Sprachenschule wurden die Studenten brutal zusammengeschlagen. Der Eingriff der Polizei ist sehr gut auf jenen Aufnahmen zu sehen, die von oben gemacht wurden. Die Polizisten der Spezialtruppen trugen weiße Helme, darum sind sie gut zu erkennen. Die Bilder vermitteln den Eindruck, dass die Aktion im Voraus geplant war. Das heißt, man hatte den Beschluss gefasst, die Studierenden zusammenzuschlagen.“

Nicht nur Fotografien und Filmaufnahmen sind in der Ausstellung zu sehen. Ein ganzer Raum ist wie ein Studentenzimmer aus den 1980er Jahren gestaltet. Dazu gehören auch ein Fernsehgerät und ein Radioempfänger.

Foto: Martina Schneibergová
„Wir wollen den Widerspruch zwischen der offiziellen Berichterstattung des Tschechoslowakischen Fernsehens am 17. November verdeutlichen und den Nachrichten, die von Radio Free Europe gesendet wurden. Dazu haben wir Aufnahmen aus dem Archiv des Senders genutzt. Eine wichtige Rolle spielten damals auch die Programme von ‚Voice of America‘, die hierzulande viel gehört wurden. Möbel und weitere Gegenstände, die teilweise aus dem Haushalt unserer Kollegen stammen, sollen die damalige Atmosphäre vermitteln.“

Aus den Sammlungen des Stadtmuseums stammen wiederum zahlreiche Plakate und Flugblätter. Viele davon sind einzigartige Originalstücke, die in den Novembertagen 1989 spontan entstanden sind.

„Die Leute haben Filzstifte oder Malerfarben genutzt. Interessant ist ein Plakat, das vom Graphikdesigner dieser Ausstellung, Jiří Sušanka, stammt. Er arbeitete damals nach dem Abschluss seines Studiums in einer Druckerei. Dort produzierte er viele Hundert von diesen Plakaten für die Studenten.“

Orte der Revolution

Der Boden im zentralen Ausstellungssaal ist mit einem vergrößerten Stadtplan von Prag bedeckt. Auf dem Plan sind wichtige Orte gekennzeichnet, an denen sich die Samtene Revolution abgespielt hat.

Foto: Martina Schneibergová
„Dazu gehören unter anderem das Theater Činoherní klub, das Gebäude Špalíček auf dem Jungmann-Platz oder das Theater Disk. Wir zeigen hier eine Serie von Fotos, die der Übersetzer und spätere Prager Oberbürgermeister Jaroslav Kořán am 19. November in Činoherní klub geschossen hat. Dort wurde das Bürgerforum gegründet. Einige der Fotos erinnern an Bilder von einer Theaterinszenierung. Dies ist aber kein Wunder, denn die Studierenden der Theaterakademie gehörten zu den Initiatoren der Proteste.“

Im nächsten runden Raum wird der Besucher zu einem der Demonstranten, die sich am 25. und 26. November 1989 auf der Letná-Anhöhe versammelt haben.

„Dort haben viele Hunderttausend Menschen demonstriert. In manchen Quellen wird sogar von einer Million Teilnehmern gesprochen. Wir haben eine interessante, sehr breite Aufnahme aus unseren Sammlungen vergrößert. Das Bild entstand aus sieben oder acht Fotos, die zusammengeklebt wurden. Die großen Demonstrationen vom November dokumentieren wir auch mit Film- und Tonaufnahmen. Und man kann selbst noch durch Sammlungen weiterer Fotos blättern. Wir versuchen, die Besucher in die Atmosphäre der Novembertage miteinzubeziehen. Aber wir wollten daraus kein belehrenden Museumstext machen.“


Die Ausstellung mit dem Titel „November 1989 in den Prager Straßen“ ist im Prager Stadtmuseum zu sehen, und zwar noch bis 26. April kommenden Jahres. Die Schau ist zweisprachig: tschechisch und englisch. Das Museum ist täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Im Park vor dem Museum ist zudem eine weitere Ausstellung installiert, mit dem Titel „Prag 1989 – der Weg zur Freiheit“.

Foto: Martina Schneibergová