Stiftung Charta 77 ehrt demokratische Sudetendeutsche mit kollektiver Auszeichnung

Frantisek Kriegel
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Für Zivilcourage und Standhaftigkeit vor der Gewalt vergibt die tschechische Stiftung Charta 77 alljährlich den Frantisek-Kriegel-Preis. Am Mittwoch wurde der aktuelle Jahrgang der Auszeichnung in der Spiegelkapelle des Prager Klementinums übergeben. Mit der Auswahl des Preisträgers setzte die Stiftung in den Feiern zum 60. Jahrestag des Kriegsendes einen eigenen Akzent: Ausgezeichnet wurden alle jene tschechoslowakischen Deutschen, die sich für die demokratische Tschechoslowakei und gegen den Nationalsozialismus eingesetzt haben. Thomas Kirschner war vor Ort.

Seit 1987 vergibt die Stiftung Charta 77, die sich für Menschenrechte und die Ausweitung der Bürgergesellschaft einsetzt, den Frantisek-Kriegel-Preis - anfangs noch aus dem schwedischen Exil. Die Auszeichnung erinnert an den einzigen Vertreter der tschechoslowakischen Regierung, der sich nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen 1968 geweigert hatte, die sowjetischen Forderungen zu unterzeichnen. Für ihre Standhaftigkeit gegenüber der Gewalt im Geiste Frantisek Kriegels wurden in diesem Jahr kollektiv die demokratisch gesinnten tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher Nationalität ausgezeichnet, die sich dem Nationalsozialismus entgegengestellt hatten. 60 Jahre nach Kriegsende sieht der Vorsitzende der Stiftung, der Atomphysiker Frantisek Janouch dies als überfällige Geste:

"Bislang wurde noch nirgendwo die pro-demokratische Haltung von einigen der tschechoslowakischen Deutschen anerkannt. Sie waren in der Minderheit, aber umso wichtiger ist es, dass es sie gab. 60 Jahre nach dem Krieg kommt diese Auszeichnung spät - aber besser spät als nie." Stellvertretend für alle demokratischen Deutschen in den böhmischen Ländern wird der Preis an die mittlerweile über 80-jährige in Berlin lebende Tochter des deutschböhmischen Parlamentariers Otto Halke übergeben, der von 1926 bis 1935 der tschechoslowakischen Nationalversammlung angehörte und entschiedener Gegner des Nationalsozialismus war. Der Vorschlag dazu kam von der Publizistin Alena Wagnerova:

"Ich traf im Zusammenhang mit einem Projekt, an dem ich arbeite, die Tochter von Otto Halke, und sie zeigte mir zwei Bleistifte, mit denen ihr Vater Masaryk in der Nationalversammlung 1934 zum Präsidenten gewählt hat. Und als ich sie gefragt habe, warum ihr Vater in dem Koffer, mit dem er nach Deutschland ging, diese Erinnerungen an die tschechoslowakische Staatlichkeit mitgenommen hat, sagte sie: Aber es war doch auch unser Staat! Und das hat mich als Tschechin sehr bewegt, weil ich das bislang noch von keinem unserer tschechoslowakischen deutschen Mitbürger gehört hatte."

Die Laudatio hielt der Vizepräsident des Tschechischen Senates und ehemalige Dissident Petr Pithart. Er glaubt, dass die Preisverleihung auch als Signal an die Politik wirkt, sich mit diesem Teil der tschechisch-deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.

"Dafür sind Nicht-Regierungsorganisationen wie die Stiftung Charta 77 ja da: als Wegbereiter, um Themen zu öffnen. Und ich glaube, dass diese Preisverleihung auch bei der Regierung wahrgenommen wird. Es ist sicher kein Zufall, dass heute auch der Stellvertretende Außenminister hier war."