Streifzug durch die Architektur: Prager Metro
Die Prager Metro gilt als eines der ikonischen Bauprojekte der 1960er und 1970er Jahre. Die ersten Pläne gab es jedoch schon viel früher. Und heute weiß kaum einer, was sich sonst so im Untergrund der tschechischen Hauptstadt verbirgt.
Nach nicht einmal zehn Jahren Bauzeit war es so weit: im Mai 1974 setzte sich der erste Zug zwischen den Stationen Sokolovská, heute heißt sie Florenc, und Kačerov in Bewegung. Damit war die Linie C der Prager Metro eröffnet und der erste Teil eines der größten Infrastrukturprojekte der Hauptstadt abgeschlossen. Erste Pläne für eine Untergrundbahn in der Moldaustadt gab es aber schon viel früher. Mehr weiß der Kunsthistoriker Zedněk Lukeš, er hat sich eingehend mit der Metro beschäftigt:
„Die erste Idee für eine U-Bahn in Prag kam wahrscheinlich vom Unternehmer Ladislav Rott. Schon 1898 reichte er einen entsprechenden Vorschlag beim Prager Stadtrat ein, Prag sollte so dem Vorbild Londons oder New Yorks folgen. Man ließ die Idee aber fallen, bis sie vom Brünner Ingenieur Vladimír List und dem Prager Architekten Bohumil Belada wieder hervorgeholt wurde. Ab 1926 arbeiteten die beiden intensiv an einem Konzept für die Prager Metro und schlugen schon eine ähnliche Streckenführung vor, wie es sie auch heute gibt. List und Belada waren ihrer Zeit einfach voraus.“
Zu einer Realisierung kam es aber nie, auch wenn zahlreiche Architekten an jeweils eigenen Plänen arbeiteten. Diese waren teils sehr gewagt und wichen von beispielsweise der Budapester Földallatti ab, der ersten U-Bahn auf dem Kontinent und einem Prachtstück der Sezession. Der Kunsthistoriker Lukeš gibt einen Überblick:
„Zu Zeiten der ersten Tschechoslowakischen Republik gab es nur einige Machbarkeitsstudien. Interessant ist aber, dass man schon damals mit einer Brücke über das Nusle-Tal gerechnet hat, die ja erst viel später realisiert wurde. Es gab da einen Vorschlag vom Architekten Bohumír Kozák aus dem Jahr 1938. Dieser sah eine Station in einem der Brückenköpfe vor, die komplett verglast sein sollte – heute kennen wir sie als Station Vyšehrad. Die Passagiere sollten von diesem erhöhten Punkt aus einen Blick auf die Stadt haben. Das war schon damals eine schöne Idee.“
Ein vielseitiges Jahrhundertprojekt
Zur Station Vyšehrad später aber mehr. Zum Spatenstich konnte man sich jedoch lange nicht aufraffen. Dazwischen kamen zwei Weltkriege, der Wandel zum Kommunismus und ab und an auch der Unwillen der Stadtoberen. Im Jahr 1966 war es dann doch soweit. Kunsthistoriker Lukeš weist aber darauf hin, dass die Metro eigentlich hätte ganz anders aussehen sollen:
„Eigentlich sollte in Prag eine Art Untergrund-Straßenbahn fahren. Dies wäre billiger geworden und der Bau wäre einfacher gewesen. Auf der anderen Seite wäre ein drastischer Eingriff ins Prager Stadtbild nötig gewesen, viele Bauten hätte man abreißen müssen. Man hatte um den Hauptbahnhof herum schon damit angefangen. Insgesamt glaube ich, dass dies für Prag nicht gut gewesen wäre und am Ende war es vielleicht ganz sinnvoll, dass sich die Sowjetischen Experten durchgesetzt haben. Diese haben ein Tunnelsystem vorgeschlagen, was für eine historische Stadt wie Prag natürlich viele Vorteile bringt. Leider war das aber auch teurer.“
Die Prager Metro ist nicht nur ein Höhepunkt des Designs der 1960er und 1970er Jahre. Sie ist in erster Linie ein – noch dazu außerordentlich erfolgreiches – Verkehrsprojekt. Bis heute wird das Netz kontinuierlich erweitert – Ende der 1970er Jahre folgte die Linie A quer durch das historische Stadtzentrum, Mitte der 1980er Jahre verband dann die Linie B die Randbezirke im Westen und Osten der Stadt. Stück für Stück folgten Erweiterungen der bestehenden Linien, irgendwann soll aber die Linie D den Süden Prags mit dem Zentrum verbinden. Doch nur wenige wissen von einem weiteren Verwendungszweck der U-Bahn. Immerhin sei die Metro ein Bauwerk aus dem Kalten Krieg, erklärt Zdeněk Lukeš:
„Tatsächlich rechnete man von Anfang an damit, dass die U-Bahn-Schächte im Kriegs- oder Katastrophenfall als Bunker dienen sollen. Beim fatalen Hochwasser im Jahr 2002 hat man aber gesehen, dass die Metro unter bestimmten Umständen sehr anfällig ist. Sie ist vollgelaufen und man musste massiv nachbessern. Nichtsdestotrotz ist es so, dass in der Metro und in anliegenden Bunkern mehrere Tausend Menschen Schutz finden können. Das ist so eine Nebenfunktion des Systems.“
Und das System funktioniert auch heute noch:
„Auf dem Gebiet bin ich zwar kein Experte, aber ich bin mir sicher, dass die Metro immer noch als Bunker dienen kann. Zugänglich wären dann außerdem auch ältere Anlagen, die mit der Metro verbunden sind. Ein Beispiel ist Station Malostranská, die mit einem solchen System verbunden ist.“
Untergrund mit viel Stil
Ein Juwel der ältesten Metro-Trasse, der roten Linie C, ist die Station Vyšehrad am südlichen Ende der Nusle-Brücke. :
„Die Station Vyšehrad ist ein Juwel der Prager Metro, da sie die einzige ist, bei der man rausschauen kann und dabei einen atemberaubenden Ausblick hat. Wir sind direkt unter der Nusle-Brücke, und das haben die Architekten auch ausgenutzt, indem sie die offenen Seiten an den Bahnsteigen verglast haben. Konkret war hier Stanislav Hubička am Werk. Von der einen Seite sieht man die Prager Altstadt, von der anderen den Stadtteil Karlov.“
Die Station sei so imposant, dass es hier sonst keine anderen Verzierungen gebraucht habe, so Lukes. Sonst ist das bei vielen Stationen der Prager Metro anders. Zdeněk Lukeš macht darauf aufmerksam, dass die ersten Stationen der U-Bahn einem ganz bestimmten Konzept folgen:
„Die Trassen sollten sich durch das verwendete Material unterschieden. Die Trasse C sollte Stein dominieren, bei der Trasse A Metall und bei der Trasse B schließlich Glas. Nicht immer hielt man dies ein, im Prager Stadtzentrum war man aber konsequent.“
Hoher Stellenwert für die Kunst
Den Planern, und auch den kommunistischen Bauherren, war der künstlerische Wert der Prager Metro sehr wichtig. Insgesamt waren 50 Architekten an dem Bau beteiligt, geleitet wurden sie von Jaroslav Otruba. Zudem bekamen unzählige Künstler Raum um sich auf den Bahnsteigen und in den Lobbys der Stationen zu verewigen. Manchmal wurden diese nicht aufgrund der Qualität ihrer Arbeiten, sondern nach ihrer Regimetreue ausgewählt, weshalb viele Werke nicht sehr gelungen waren. Doch insgesamt sei die künstlerische Gestaltung des Prager Metronetzes einzigartig gewesen, meint Zedněk Lukeš:
„So entstanden Dutzende Kunstwerke von großartigen Künstlern, auch wenn einige tatsächlich sehr systemtreu waren. Ich erinnere mich an ein großes Relief mit einem Kosmonauten, irgendwo in der Südstadt. Natürlich gehörte das zu jener Zeit, trotzdem waren viele Werke sehr hochwertig und verdienen einigen Respekt. Insgesamt galt das ganze System der Prager Metro als Prestigeprojekt und man sparte kein Geld bei der Umsetzung.“
Die meisten Kunstwerke sind nach der Wende von 1989 verschwunden. Einige galten als ideologisch belastet, andere mussten einfach Platz für Reklame machen. Eines besonders beeindruckendes, aber vielleicht eher unscheinbares, Kunstwerk ist bis heute aber geblieben – die eigene Schriftart und die graphische Gestaltung der Wegweiser und Richtungsanzeigen:
„Entworfen hat die ganze Graphik ein gewisser Jiří Rathauský. Er hat ein ganz einfaches graphisches System entworfen und hat sich sogar eine eigene Schrift für die Metro ausgedacht. Das alles ist bis heute in den Stationen zu sehen. Die ganze Aufmachung bestach durch ihre Zeitlosigkeit und erregte einige Aufmerksamkeit im Ausland. Später wurden einige Symbole ersetzt und es kamen neue dazu, viele stammten aus der Feder von Rostislav Vaněk. Nichtsdestotrotz ist das System von Orientierungsanzeigen und Wegweisern in der Prager Metro eines der besten weltweit.“
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