Streit um Rolle des Verfassungsgerichts: „Auch in anderen Ländern greift es in Politik ein“
Das tschechische Verfassungsgericht hat vergangene Woche erneut eine wichtige Sparmaßnahme der derzeitigen bürgerlichen Regierungskoalition aufgehoben. Diesmal traf es die Senkung des staatlichen Zuschusses für das Bausparen. Das Gericht hält es für verfassungswidrig, dass dies auch rückwirkend gilt. Vor einigen Wochen hatte das Gericht bereits die Kürzung des Krankengeldes und der Geburtenbeihilfe gekippt. Während die Regierung ihre erneute Niederlage relativ gelassen zur Kenntnis nahm, hat Präsident Václav Klaus die Entscheidung der Richter scharf angegriffen. Das Verfassungsgericht, so das Staatsoberhaupt, hätte sich damit in die Politik eingemischt und den Rahmen der Verfassung überschritten. Darauf entgegnete der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský, mit einer scharfen Replik. Klaus habe die Aufgaben des Verfassungsgerichts nicht begriffen, so Rychetský am Sonntag im Tschechischen Fernsehen. Zur Rolle des Verfassungsgerichts und über die Kritik von Staatspräsident Klaus ein Gespräch mit dem Politologen und Radio-Prag-Mitarbeiter Robert Schuster.
„Im Prinzip ist die Argumentation von Präsident Václav Klaus gegen das Verfassungsgericht seiner Kritik an der Europäischen Union sehr ähnlich. Denn er wirft den Verfassungsrichtern vor, sie würden mit ihren Entscheidungen Politik machen, ohne aber dafür demokratisch legitimiert zu sein. Vorwürfe ähnlicher Art sind von Klaus auch schon mehrfach an die Adresse der Europäischen Union gegangen, und er wird sie nun auch gegen das Verfassungsgericht immer wieder ins Spiel bringen. Auf der anderen Seite muss man auch die ganze Geschichte sehen. Václav Klaus hat das Verfassungsgericht schon in Zeiten kritisiert, als er Premierminister war, als er Vorsitzender des Abgeordnetenhauses war und als sein größter innenpolitischer Rivale Václav Havel Staatspräsident war. Er hat damals den Verfassungsrichtern immer wieder vorgeworfen, sie seien Freunde Václav Havels aus der Bürgerrechtsbewegung und würden Havel Freundschaftsdienste erweisen, indem sie Verfassungsgerichtsurteile gegen ihn und seine Politik fällen. Das war natürlich etwas an den Haaren herbeigezogen. Aber die Argumentationslinie lässt sich bei Klaus wirklich bis in die 90er Jahre zurückverfolgen. Dann ist Klaus aber selbst Staatspräsident geworden und hat die Möglichkeit erhalten, selbst die Verfassungsrichter praktisch zu bestellen. Und man meinte, er würde das anders angehen als Václav Havel, er würde neue Persönlichkeiten benennen. Aber er hat dies nicht getan. Er hat im Gegenteil ehemalige Politiker ins Verfassungsgericht nominiert, teilweise auch führende Politiker. Zum Beispiel Pavel Rychetský, der Vorsitzende des Gerichts. Er war lange Jahre stellvertretender Premierminister, also eine wichtige politische Persönlichkeit. Klaus hat vielleicht gehofft, dass diese Politiker nun im Verfassungsgericht nicht mehr so den Politikern auf die Finger klopfen würden. Aber das ist nicht geschehen.“
Ist die Kritik von Klaus denn völlig unberechtigt, oder gibt es nicht vielleicht doch einen wahren Kern?„Es gibt durchaus einen wahren Kern. Aber man darf nicht vergessen, dass auch in anderen Ländern die Verfassungsgerichte eine sehr wichtige Rolle gerade in der tagespolitischen Auseinandersetzung spielen. Zum Beispiel in Deutschland, dort gab es bedeutende Urteile zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, oder in Österreich, Stichwort zweisprachige Ortstafeln in Südkärnten für die slowenische Minderheit. Und über die Vereinigten Staaten mit der herausragenden Rolle des Obersten Gerichtshofes müssen wir gar nicht erst reden. Hier sieht man, dass wirklich von den Verfassungsrichtern Politik gemacht wird. Auf der anderen Seite, und um die Verfassungsrichter in Schutz zu nehmen: Die Politiker lassen es in wichtigen, brenzligen Fragen, zu denen es keinen gesellschaftlichen Konsens gibt, gerne bewusst auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts ankommen. Auch weil sie nicht den Mut haben, konsequent gewisse Entscheidungen durchzudrücken, vielleicht auch parteiübergreifend zu diskutieren und Kompromisse mit der Opposition auszuhandeln. Dies ist gerade bei diesen Sparmaßnahmen der bürgerlichen Regierung in Tschechien der Fall. Da hätte man vielleicht im Vorfeld versuchen können, mit der Opposition gemeinsame Sache zu machen oder sich zumindest auf eine Verfahrensweise zu einigen, die nicht verfassungswidrig ist. Aber man hat es nicht getan. Das ist von Seiten der Politiker vielleicht ein bewusstes Daraufankommenlassen.“
Sind in der nächsten Zeit eigentlich weitere Urteile der Verfassungsrichter zu erwarten, die für politischen Zündstoff in Tschechien sorgen könnten?„Sicherlich. Die Sozialdemokraten als wichtigste Oppositionskraft sind durch die letzten, für sie erfolgreichen Entscheidungen des Verfassungsgerichts natürlich so richtig auf den Geschmack gekommen, den Weg der Verfassungsklagen zu gehen. Ich glaube, in naher Zukunft wird jede wichtigere Entscheidung der tschechischen Regierung – gerade wenn es um die Kürzungen im Sozialbereich geht – vorm Verfassungsgericht landen.“