Subjektiv und grenzübergreifend. Die neue Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
Ein als Parkanlage gepflegter Friedhof sei die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg - so lautete die Kritik ehemaliger Häftlinge zum 50. Jahrestag der Befreiung. Das war im Jahr 1995. Seitdem hat sich in dem kleinen oberpfälzischen Ort nahe der tschechischen Grenze einiges getan. Eine Dokumentationsstelle widmet sich der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Lagergeschichte und konzipierte eine neue Dauerausstellung, die diesen Sommer eröffnet wurde. Im Zuge der dreijährigen intensiven Forschungsarbeit erschlossen sich neue Erkenntnisse - auch und gerade für die deutsch-tschechische Geschichte.
Maja Dohnalova ist eine Prager Jüdin und gehört zu den über 100.000 Gefangenen, die im Konzentrationslager Flossenbürg inhaftiert waren. Als 13-Jährige hatte man sie 1941 aus Prag-Dejvice deportiert, erst ins Ghetto von Lodz, dann nach Birkenau, schließlich nach Bergen-Belsen. 1944 verschleppten die Nazis Maja Dohnalova in das Flossenbürger Außenlager Mehltheuer bei Plauen in Sachsen. Dort wurde sie 1945 befreit. Heute lebt Maja Dohnalova wieder in Prag - ihre Geschichte ist nun den Besuchern der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zugänglich. In Zusammenarbeit mit der tschechischen Organisation Ziva Pamet, zu deutsch "Lebendige Erinnerung", wurden 15 Video-Interviews mit den letzten überlebenden tschechischen Flossenbürg-Häftlingen durchgeführt. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte, erklärt, wie dieses Projekt zustande kam.
"Flossenbürg hat eine große Bedeutung für den böhmischen Raum. Über 4 000 Tschechen waren dort inhaftiert, die ersten nicht-deutschen Gefangenen in Flossenbürg waren Tschechen, deshalb war es uns ein besonderes Anliegen in Tschechien zu recherchieren. Das Tolle daran ist, dass nicht nur bei der Lagerzeit haltgemacht wird. Viele dieser Menschen berichten, wie es ihnen im Sozialismus ergangen ist, wie sie dort zum Teil auch verfolgt wurden oder über ihre Geschichte nicht sprechen konnten. Es ist auch ein noch immer überzeugter Kommunist dabei, der seine Geschichte anders erzählt als die anderen. So ist mit diesen Interviews tatsächlich ein Querschnitt tschechischer KZ-Überlebender entstanden."
Einzelbiographien der Häftlinge bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung, die ihren Platz im ehemaligen Häftlingsbad gefunden hat. Das Gebäude musst erst aufwändig saniert werden, da es nach 1945 von Industriebetrieben genutzt wurde und zuletzt zu verfallen drohte. In der zweiten Ebene wird die Geschichte des Lagers chronologisch nacherzählt. Die Wissenschaftler um Jörg Skriebeleit haben, so hieß es zur Ausstellungseröffnung diesen Juli in verschiedenen Publikationen, einen subjektiven Ansatz gewählt. Was hat man sich darunter vorzustellen?
"Ich denke, dass es zum einen eine Ausstellung, zum anderen aber auch eine Form der Würdigung ist. Das Konzept war, diesen Menschen wieder ihr Gesicht zurückzugeben, und zwar genau dort in dem Gebäude und in der Raumebene, wo historisch genau das Gegenteil passiert ist, nämlich die Reduktion vom Mensch zur Nummer."
Stellvertretend für die 100.000 Gefangenen des Lagers, das über 30.000 nicht überlebten, werden einige der späteren Opfer portraitiert. In großformatigen Urlaubsfotos und Familienaufnahmen begegnen dem Besucher lebensfrohe Menschen. Die Ausbeutung, die Willkür und Grausamkeit des Lagers erscheinen durch diesen Kontrast noch unglaublicher. Dabei wurde bewusst darauf verzichtet, wieder einmal die Gesamtgeschichte des Nationalsozialismus nachzuerzählen. Flossenbürg als ein Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie steht im Fokus. Erstmals werden Täter und Mitwisser genannt, die aus dem direkten Umfeld des Lagers stammen. Zum Beispiel Landwirte, die Häftlinge zum Arbeitseinsatz anforderten. Wie wurde das in Flossenbürg aufgenommen?
"Im Vorfeld gab es von Anwohnern Bedenken wegen der großen Baustelle, und weil man nicht wusste, was in der Ausstellung zu sehen sein wird. Nun stellen wir fest, dass sich viele der Befürchtungen, die vielleicht geherrscht haben, in Luft aufgelöst haben. Es sind auch sehr viele Flossenbürger in der Ausstellung, und die Leute merken nun, dass es nicht darum geht, noch einmal Schmutz und Schande über dem Ort auszukippen, sondern das, was niemand leugnen kann und will, in einer wissenschaftlich fundierten und museologisch ansprechenden Form zu präsentieren."
Bereits 1946 wurde in Flossenbürg eine Gedenkstätte errichtet, und lange Zeit glaubte man, der Aufarbeitung sei damit Genüge getan. Die Häftlingsbaracken riss man ab und dort wo einst tausende Häftlinge zusammengepfercht waren, stehen heute Wohnhäuser. Auf dem ehemaligen Appellplatz wurden noch in den 90er Jahren Industriehallen hochgezogen. Neben dem Hauptlager und dem Granitsteinbruch gehörten über 100 Außenlager zum System Flossenbürg. Mehr als zwanzig dieser Lager befanden sich im nordböhmischen Raum, dem damaligen Protektoratsgebiet. Das größte Außenlager war in Leitmeritz, und dort ermittelten die Historiker im Zuge ihrer Recherchen ein bisher wenig bekanntes Beispiel für tschechische Zivilcourage. Im April 1945 gelingt es tschechischen Zivilisten den Todestransport aus Leitmeritz in Roztoky - kurz vor Prag - aufzuhalten und die Häftlinge mit Nahrung zu versorgen. 300 von den über 4000 Gefangenen können fliehen.
"Das ist so eine einzigartige Geschichte, die wir ganz bewusst an das Ende unserer Ausstellung gestellt haben, auch mit einem offenen Ende. Das ist unser Beitrag zur aktuellen deutsch-tschechischen Geschichtsdebatte. Wir wollten ganz klar zeigen, dass im Sudentenland viele Außenlager von Flossenbürg waren, dass auch die heutigen tschechischen Gebiete einen Bezug zu Flossenbürg hatten, dass vor allem auch die tschechische Bevölkerung Hilfe und Widerstand geleistet hat. Vertreibung kommt bei uns nicht vor, aber wir zeigen, dass vor der Vertreibung noch einmal eine ganz andere historische Epoche stattgefunden hat. Wir merken, dass diese tschechische Solidarität mit KZ-Häftlingen gerade in Deutschland auf eine sehr große Resonanz stößt."
Resonanz oder zumindest viel Aufmerksamkeit wünscht man auch den Interviews mit den Häftlingen. Wenn die fast 80jährige Maja Dohnalova ihr Leben erzählt, in gefassten Worten, mit gehörigem Abstand und dennoch in allen, teils grausamen Einzelheiten, ohne sich selbst zu schonen, entwickelt das eine Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Die "andere" historische Epoche vor der Vertreibung, Maja Dohnalova hat sie noch erlebt. Und Jörg Skriebeleit hat seine Schlüsse daraus gezogen.
"Das interessante an allen Interviews, sowohl von den tschechischen Widerstandskämpfern als auch von den böhmischen Juden und Jüdinnen war, dass die Zeit der ersten tschechoslowakischen Republik zwischen 1918 und der Okkupation für sie eine ganz positive, schön erinnerte Zeit ist. Das war natürlich deren Jugend, aber auch die tschechischen Jüdinnen sagen: Wir haben uns als Pragerinnen gefühlt, oder als Böhmen und nie als Juden, Deutsche oder Tschechen. Das war die Kultur, die es damals gab, gerade in Prag. Das fand ich sehr verblüffend im Vergleich zu Interviews mit polnischen Juden, von denen viele berichtet haben, dass viele Polen auch antisemitisch gewesen seien und zunächst keinen Widerstand geleistet hätten. Das scheint tatsächlich in der ersten tschechoslowakischen Republik anders gewesen zu sein."
Fotos: Autorin