Surrealistische und expressionistische Lyrik in Tschechien: Radek Malý und Viky Shock

'Negropolis' von Viky Shock

Im heutigen Kultursalon stellt Ihnen Martina Zschocke zwei junge tschechische Dichter vor, die stark vom Dadaismus respektive Surrealismus geprägt wurden: Viky Shock und Radek Malý. Letzterer war im Jahr 2002 auch Preisträger des Jiri Orten-Literaturpreises.

"Ein Zirkus vermählte sich mit einer Hundehütte und zog um ins Zentrum von Paris/ Der Triede der Zukunft ist in Ohnmacht gefallen und auch nicht wieder zu sich gekommen/ Ein homosexueller Wellensittich gebar drei gesunde kleine Kängurus/ Der Rigor Mortis hat endlich begonnen sich zu bewegen/ .../ die Neuigkeiten sind veraltet"

So oder ähnlich surreal klingen die Gedichte von Viky Shock. Wie er zu seinem Stil gekommen ist und wie er solche Gedichte verfasst, beschreibt Viky Shock wie folgt: "Ich war von den Dadaisten beeinflusst, das heißt bei dieser Sammlung"Dvakrat opakovane nadro" (Zweimal wiederholte Brust) bin ich mit einer ganz klassischen dadaistischen Technik vorgegangen. Ich habe mir einzelne Wörter ausgeschnitten aus Texten von ausländischen Dichtern - Wort für Wort. Und dann habe ich das gemischt und nebeneinander aufs Papier gelegt. Dann habe ich mir interessante Einfälle aufgeschrieben und habe sie bearbeitet bis ein ganzes Gedicht daraus geworden ist. Diese Bedienungsanleitung ist übrigens auch in dem Buch hinten drin. Da steht drin, wie man das macht."

Die Gedichte, die mithilfe dieser Technik Hans Arps entstehen, changieren zwischen Groteske, Nihilismus und Erotik. Zwischen den Zeilen blitzt immer wieder der Humor des Dichters durch. Ihre surreale Bilderwelt ist überreich und erinnert nicht selten an René Magritte und Salvador Dali. Bei Viky Shock raufen sich Zigarren und Strohhüte auf leeren Bahnhöfen um ein Stück Brot. Auch Perlmutteier tauchen des öfteren in seinen Versen auf. Auf die Frage, ob er auch von Salvador Dali und den Surrealisten beeinflusst wurde, antwortet Viky Shock: "Bestimmt. Salvador Dali ist mein Lieblingskünstler, weil ich seine Bücher gelesen habe. Ich war schon von der Kindheit an von diesem Bildern beeinflusst und ich habe sogar als Kind gedacht, als ich das erste Mal von Surrealismus gehört habe, dass das eine Kunstrichtung ist, die sich Salvador Dali ausgedacht hat und erst später habe ich festgestellt, dass das gar nicht stimmt."

Fünf Bücher hat Viky Shock inzwischen veröffentlicht. Neben der Poesie widmet er sich auch der Kunst: vor allem der Fotografie und der Collage. Viele seiner Bücher sind mit Collagen von ihm selbst illustriert. Ob er sich mehr als Dichter oder als Künstler betrachtet, fragte ich Viky Shock:

"Ich denke, dass bildende Kunst - besonders Collage - und Poesie sehr dicht beieinander liegen. Bei uns gibt es eine Tradition von Dichtern, die auch Collagen machen. Zum Beispiel sind auch einige bildende Künstler von meinen Gedichten beeinflusst worden. Das heißt, es sind schon zwei Kurzfilme auf Basis meiner Gedichte entstanden und jetzt vor kurzem ist auch ein Comic nach meinen Texten gezeichnet worden."

Viky Shock wird 1975 in Prag geboren. Nach dem Besuch einer Maschinenbau-Fachschule arbeitet er als Mechaniker, Sanitäter, Bibliothekar und Pförtner. Seit 6 Jahren ist er beim Tschechischen Fernsehen als Produktionsassistent beschäftigt. Viky Shock heißt mit bürgerlichem Namen eigentlich Viktor Pípal. Seinen Künstlernamen verdankt er dem Punk. "Viky Shock ist ein Punk-Pseudonym, weil ich viel Punk gehört habe. Und mir gefielen Namen wie Johnny Chaos. Und da dachte ich mir Viky Shock aus und es ist leider dabei geblieben."


Etwas weniger dadaistisch, dafür ein ganzes Stück expressionistischer sind die Gedichte von Radek Malý. "Ein konstantes Merkmal von Radek Malýs rhythmisierten und gereimten Versen ist die rohe, stellenweise exaltiert wirkende Expressivität, die durch ein groteskes Lachen und die dekadente Stilisierung aufgelockert wird. ... Der Dichter ist ein hartnäckiger Individualist und Anarchopazifist, der Autoritäten und erlebte Werthierarchien strikt ablehnt...Seine dynamische Prosa wirkt zornig, jugendlich-unverfroren und ist von spöttischen Tönen durchzogen, gleichzeitig aber vibrierend von intellektuellem Humor und schneidender Selbstironie." So beschreibt Radim Kopác den Dichter Radek Malý. Was ihn selbst inspiriert hat, so zu schreiben, erzählt Radek Malý: "Mit Surrealismus habe ich nicht viel gemeinsam, eher mit Expressionismus. Ich wurde durch den deutschen und österreichischen Expressionismus inspiriert und ich übersetze diese Lyrik auch ins Tschechische und das finde ich auch für die heutige Zeit sehr inspirativ und auch für die tschechische Lyrik. Es hat dort auch eine Tradition, aber sie ist eher indirekt. Wir hatten keine direkten Kontakte mit dem deutschen Expressionismus, aber Expressionismus in einer besonderen Weise ist auch in Tschechien entstanden. Das erforsche ich auch ein bisschen wissenschaftlich. Ich schreibe eine Dissertation über die Einflüsse der Lyrik von Georg Trakl auf die tschechische Lyrik. Es gibt dort sehr starke Einflüsse, direkte und indirekte."

Und was fasziniert ihn nun speziell an Georg Trakl?

Doch Radek Malý hat sich nie explizit als expressionistischer Dichter gesehen, diese Lyrik hat ihn eher unbewusst geprägt. "Also ich schreibe ganz allein, also sie sind unbewusst diese Einflüsse und das haben eigentlich die Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker entdeckt, dass ich diese Zusammenhänge habe. Aber das ist ganz, ganz indirekt. Ich schreibe nur wie ich schreibe. Also es ist nicht so, dass ich mir sage, ich schreibe ein expressionistisches Gedicht oder so. Ich drücke nur meine Gefühle aus und meine Beobachtungen der Welt. Vielleicht die Form, der sogenannte Reihungsstil das fasziniert mich. Die Expressionisten beobachteten einfach die Welt und haben es in die Gedichte gegeben. Aber jeder Dichter sieht die Welt ganz anders. Das ist seine eigene Welt."

Von Radek Malý sind bisher zwei Bücher erschienen: "Im Jahr 2001 die erste Sammlung herausgegeben, die heißt Lunovis und die erschien im Prager Verlag BB art und ein Jahr später habe ich die zweite Sammlung herausgegeben, die heißt "Vrani Zpevy" auf Tschechisch. Auf Deutsch bedeutet das "Krähengesänge" und für diese Sammlung habe ich den Jiri Orten-Preis bekommen. Das ist ein Preis für junge Literaten in Tschechien bis 30 Jahre."

Radek Malý ist Dichter, Übersetzer und Publizist. Er wurde 1977 in Olomouc geboren und studierte dort Germanistik und Bohemistik. Jetzt arbeitet er im Prodos-Verlag und lebt in Olomouc. Er schreibt schon lange, hat aber erst nach einiger Zeit den Stil gefunden, der zu seinem Markenzeichen werden sollte und den er aber nun allmählich wieder verlassen will.

"Das ging nebeneinander. Also ich habe schon seit langem Gedichte geschrieben, seit - ich weiß nicht - 14 Jahren, aber erst vor so 6 Jahren habe ich gefühlt, dass etwas entstanden ist, was vielleicht Sinn hat und ich versuchte diese Texte zu verschiedenen Literaturpreisausschreibungen zu schicken. Ja und das hatte Erfolg. Und dann sagte ich mir: es hat Sinn so zu schreiben und ich setzte in dieser Linie fort und dazu übersetzte ich auch. Aber das ist etwas ganz anderes. Wenn ich die deutsche Lyrik übersetze, dann bin ich nur ein Diener des Verfassers, des anderen Verfassers. Das macht auch Spaß, aber das ist etwas ganz anderes. Man gibt nur das literarische Talent, aber nicht eigene Gefühle. Naja und dann habe ich diese 2 Sammlungen geschrieben, aber dann habe ich schon gefühlt, dass es vielleicht zu viel ist. Vor allem die zweite Sammlung wurde in Zusammenhang mit diesem Preis bekannt. Es entstanden viele Rezensionen. Jeder wollte wissen, warum schreibe ich so, so depressiv, so expressiv und so und seitdem schreibe ich eigentlich weniger und stiller. Also nicht so aggressive Verse, expressiv sind sie immer, aber sie schreien nicht, sie kreischen nicht, sondern sie schweigen eher."

Sein nächstes Buch soll dementsprechend ganz anders sein, als die vorigen beiden Bücher. Über dieses geplante Buch sagt Radek Maly: "Das neue Buch, das erscheint im nächsten Jahr. Und dort dinf vor allem Gedichte aus meinen Reisen versammelt. Ich habe in Innsbruck studiert, wo ich mich mit Trakls Werk befasst habe und bin auch in Frankreich gewesen und in Italien und genau an diesen Orten sind solche Reflexionen entstanden, kurze lyrische Reflexionen, ohne große Ambitionen und nur indirekte Beobachtungen, keine intensiven Gefühle aus meinem Inneren. Und sie sind leichter, als das frühere Buch. Also nur ein bisschen ironisch und ich hoffe, dass es die Leser auch gern haben werden."

Sein neues Buch wird im Brünner Petrov-Verlag erscheinen.

Das war unser heutiger Kultursalon, in dem wir Ihnen die beiden jungen tschechischen Dichter Radek Malý und Viky Shock vorstellten.