Tábor

Wenn Sie bei einem Aufenthalt in Tschechien einmal einen Ort besuchen wollen, der rein tschechischen Ursprungs ist und gemeinhin auch als die Wiege des tschechischen Nationalismus bezeichnet wird, dann müssen Sie sich von Prag aus rund 80 Kilometer in südlicher Richtung begeben. Auf der Europastraße 55, die die Moldaumetropole mit dem tschechisch-österreichischen Grenzübergang Dolní Dvoriste/Wullowitz verbindet, treffen Sie dann auf die Stadt Tábor. Mit seinen 37.000 Einwohnern ist Tábor die zweitgrößte Stadt Südböhmens und heute zudem das bedeutendste Verkehrs-, Wirtschafts- und Kulturzentrum der Region. Doch Tábor ist seit Jahrhunderten vor allem durch seine berühmte Geschichte auch über die Ländergrenzen hinaus bekannt. In der heutigen Touristensprechstunde möchten wir Ihnen daher einen kleinen Rundgang durch die geschichtsträchtige Stadt und deren Umgebung anbieten. Begleitet werden Sie dabei von Markéta Maurová und Lothar Martin.

"Ohne Zweifel erinnert sich jeder beim Namen der Stadt Tábor an den damit verknüpften Zusammenhang mit der Epoche der Hussiten. Die Stadt Tábor war und ist stets anerkannt als ein Symbol der Hussiten-Revolution - einem Zeitraum, der ein wesentlicher Bestandteil der tschechischen, aber auch der europäischen Geschichte ist."

Mit dieser Aussage des Historikers Zdenek Vybíral dürfte den meisten unter Ihnen, liebe Hörer, inzwischen ziemlich klar geworden sein, in welcher Stadt wir uns heute befinden. In Tschechien weiß eigentlich jedes Schulkind, dass an dem Ort, wo einst die vom Geschlecht der Premysliden errichtete Burgstätte Hradiste stand, im Jahr 1420 von den Hussiten eine befestigte Stadt mit dem biblischen Namen Tábor gegründet wurde. Von hier aus haben die großen Heerführer Jan Zizka von Trocnov und Prokop Holý ihre siegreichen Feldzüge geführt. Die Entstehung der Gemeinde Tábor ist ebenso eng verbunden mit dem Namen Jan Hus, dem großen Reformator der katholischen Kirche. Nach der Niederlage der Hussiten erhielt Tábor im Jahr 1437 aus den Händen des Kaisers und böhmischen Königs Siegmund Luxemburg zudem den Status einer königlichen Stadt verliehen.

Doch gehen wir der Reihe nach und werfen zunächst einen Blick in die Entstehungszeit der Stadt. Darüber wusste der Historiker des Hussiten-Museums von Tábor, Zdenek Vybíral, folgendes zu berichten:

"Die Stadt Tábor entstand Ende März des Jahres 1420, als die Anhänger der Lehre von Jan Hus aus dem unweit gelegenen Sezimovo Ústí hierher kamen und die revolutionäre Stadtbefestigung errichteten. Noch vor diesem wichtigen Datum in der Geschichte der Stadt hatte an gleicher Stelle im 13. Jahrhundert König Premysl Otakar II. eine Festung entstehen lassen, mit der er versuchte, bereits in den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts hier eine königliche Stadt zu erbauen. Doch die in der Umgebung von Tábor dominanten Lehen des Herrschergeschlechtes der Wittingauer (Vitkovci) durchkreuzten diese Pläne, weshalb sich die Anlage nicht gehalten hat. Menschen haben in der Region um Tábor schon im Altertum gesiedelt, es gibt zum Beispiel Belege über die keltische Besiedlung. Doch wegen der Probleme bei der Versorgung mit Trinkwasser war es tatsächlich erst Ende des Mittelalters möglich, hier eine Stadt zu erbauen."

Seit dieser Zeit ist viel Wasser über das Flussbett der durch Tábor fließenden Luznice geflossen, die erhaltenen Überreste der weitläufigen Festung und die malerischen Gassen und Winkel der Altstadt erinnern jedoch auf Schritt und Tritt an die glorreiche Vergangenheit. Dabei hatte Tábor auch seine Blütezeiten, wie uns Zdenek Vybíral erzählte:

Jan Hus
"Man kann eigentlich von zwei Blüteperioden sprechen. Ihren ersten Aufschwung erlebte die Stadt ohne Zweifel in den ersten 30 Jahren ihrer Entstehung, d.h. in der Zeit von 1420 bis 1452. In dieser Zeit spielte sie eine gewaltige und selbständige Rolle in der Geschichte des tschechischen Staates und in Mitteleuropa. Die Stadt hatte eine eigene Armee sowie eine eigene geistliche und auch säkulare Verwaltung. Die Besatzungen des Hussitenheeres beherrschten die wichtigsten Festungen nicht nur in Böhmen, sondern auch in Mähren und Schlesien. Tábor knüpfte Bündnisse sowohl mit ausländischen Herrschern als auch mit böhmischen Magnaten.

Der zweite größere Aufschwung, der mehr die Zeichen einer kulturellen und wirtschaftlichen Prosperität trug, geht in das 19. Jahrhundert zurück. Ab der Mitte jenes Jahrhunderts können wir in Tábor eine enorme Entwicklung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens nachvollziehen. In dieser Zeit entstanden hier herausragende Schulinstitutionen von landesweiter Bedeutung, ein städtisches Museum, ein städtisches Theater, und die Stadt knüpfte an die große kulturelle Tradition an, die sie bereits im 15. und insbesondere im 16. Jahrhundert hatte."


Wie von uns bereits eingangs erwähnt, haben zwei geschichtliche Persönlichkeiten den Werdegang von Tábor entscheidend mitgeprägt: Jan Hus und Jan Zizka. Natürlich konnten wir von Zdenek Vybíral auch Näheres zu diesen beiden erfahren:

"Ihre beiden Namen sind eng verbunden mit dem Zeitraum der Hussiten in der tschechischen Geschichte und sie waren in der Tat zwei der bedeutendsten Erscheinungen ihrer Zeit. Jan Hus stammte aus verhältnismäßig armen Verhältnissen. Im fortgeschrittenen Alter schlug er die kirchliche Laufbahn ein, die ihm eine stabile Stellung innerhalb der Gesellschaft einbrachte. Hus hob sich zunächst als eine Persönlichkeit der Prager Universität hervor und wurde auch ein bedeutender Prediger in der Bethlehemkapelle der Prager Altstadt. Dies ermöglichte ihm, einen großen Einfluss auf die damalige tschechische Gesellschaft einschließlich ihrer höchstrangigsten Vertreter wie König Karl IV. oder Königin Sophie zu gewinnen. Jan Hus wurde sehr schnell zum Nachfolger des Gelehrten John Wyclif, eines englischen Reformators, der sich für notwendige Reformen innerhalb der Gesellschaft, besonders aber der kirchlichen Institutionen einsetzte. Hus trug dessen Reformgedanken fort, präzisierte sie und versuchte, sie auch in der Gesellschaft durchzusetzen.

Jan Zizka
Jan Zizka kam ebenso wie Jan Hus aus nicht besonders begüterten Verhältnissen. Er gehörte jedoch zur privilegierten Schicht der Landadelleute. Lange Zeit war er nur eine Randerscheinung der Geschichte. In deren Rampenlicht trat er erst in Verbindung mit der Hussiten-Revolution. Zuvor hatte er reichlich Erfahrungen als adeliger Diener und bezahlter Söldner gesammelt. Erfahrungen, die ihm bei den Hussiten zu Gute kamen. Sehr schnell hatte sich nämlich unter ihnen sein kriegsführendes und organisatorisches Talent herausgestellt. In der Hussitenarmee wurde er zum Symbol der Unbesiegbarkeit. Man sagt, dass er bei der ganzen Reihe von Schlachten, an denen er teilgenommen hat, nie als Verlierer das Schlachtfeld verlassen hat."

Mehr über Jan Hus und Jan Zizka, die Zeit der Hussiten, deren Blüte und deren Untergang, kann man im Hussiten-Museum erfahren. Zdenek Vybíral zufolge bekommt man dort neben der Ausstellung zur Hussitenzeit auch eine ständige Expositionen zum Leben und zur Arbeit des Menschen im Mittelalter zu sehen. Was es aber sonst noch an Sehenswertem in Tábor und seiner Umgebung zu entdecken gibt, darüber informieren wir Sie gleich.


Eine der Dominanten der Altstadt von Tabor ist das gotische Rathaus. Es zählt heute zu den bedeutendsten Baudenkmälern der Spätgotik in den tschechischen Städten. Mit dessen Bau wurde vermutlich in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts begonnen. Der ausgedehnter Bau umschließt mit seinen vier Flügeln einen kleinen Hof, der sich zum Stadtring durch eine große Halle mit breiten Portalspitzbogen erstreckt. Der große Saal im ersten Stockwerk mit seinem Netzgewölbe, genannt auch der "Palast", gilt als der wertvollste öffentliche Innenraum in Tabor.

Anstelle der heutigen Hauptkirche von Tábor, der Dekanatskirche "Zur Verklärung Christi auf dem Berg Tabor", stand bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine Holzkirche. Mit dem Aufbau eines neuen würdevolleren Gotteshauses wurde etwa Ende des 15. Jahrhunderts begonnen. Um 1512 wurde das Interieur der Kirche in der Form eines Dreischiffes mitsamt dem Netzgewölbe beendet, das von achtkantigen Säulen getragen wird. Die Kirche entstand also gleichzeitig mit dem Rathaus im spätgotischen Stil. Dank der späteren Umbauten trägt sie aber auch Spuren von anderen historischen Stilen, von der Außenseite wurde sie später mit den Renaissancegiebeln ergänzt.

Eine Rarität in Tabor stellt der Komplex von unterirdischen Räumen und Gängen dar. Das heute häufig besuchte Baudenkmal entstand im 15. Jahrhundert und diente zur Lagerung von Lebensmitteln und Bier. Die Keller haben oft zwei bis drei unterirdische Etagen und senken sich bis zu 16 Metern unter die Erde.

Seit Jahrhunderten ist der Teich Jordan nicht aus der Stadt Tábor wegzudenken. Dieses älteste Talbecken in Mitteleuropa, das als Trinkwasserreservoir im Jahre 1492 gegründet wurde, entstand durch das Abdämmen des Tismenice- Bachs. Der Wasserspeicher bedeckt eine Fläche von 50 ha und stellenweise erreicht das Wasserbecken eine Tiefe von 18 m. Heute wird der Jordán außerdem reichlich zur Erholung genutzt.

Beim Ausblick vom Kotnov-Turm in Richtung Nordwesten öffnet sich einem die malerische Szenerie des Flusses Luznice. Auf dem Gipfel oberhalb der Flusswindung sieht man einen imposanten Bau - die Wallfahrtskirche in Klokoty. Sie wurde um 1700 gegründet, nach einem Projekt, das sich offensichtlich ein Werk eines der begabtesten Architekten der Zeit, Giovanni Santinis, zum Vorbild nahm. Allmählich kamen zur Kirche noch Kreuzgänge und Kapellen hinzu, bis ein außerordentlich ansprechender Komplex mit dem Grundriss in der Form eines doppelten Kreuzes entstand.

Einer der vielen kulturellen Höhepunkte, die die Stadt jedes Jahr zu bieten hat, ist das so genannte Treffen von Tábor. Dazu sagte uns Zdenek Vybíral:

"Die wahrscheinlich größte Aktion, die an die Tradition der Hussiten erinnern soll, nennt sich das Treffen von Tábor. Dieses findet alljährlich Mitte September statt. Es wird deswegen das Treffen von Tábor genannt, weil es sich um ein wirkliches Treffen verschiedener Städte und Gemeinden handelt, die etwas mit der Hussitenzeit zu tun hatten, und das nicht nur in Tschechien, sondern auch im Ausland. So begrüßen wir jedes Jahr Besucher aus Konstanz und aus weiteren deutschen Städten wie zum Beispiel aus Naumburg, aber auch Gäste aus Frankreich und den USA. Diese Festtage dauern in der Regel drei Tage und ihr Programm reicht von der Nachbildung mittelalterlicher Märkte bis zur Durchführung verschiedener kultureller Veranstaltungen."

Leider reicht die Zeit nicht aus, um Sie mit allem Wissenswerten über die Hussitenstadt Tábor und ihr reichhaltiges Veranstaltungsprogramm zu informieren. Wir hoffen jedoch, Ihnen genügend Anreize für einen Besuch dieser im Spätmittelalter gegründeten Stadt gegeben zu haben.

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