Tandem – Mit Enthusiasmus das Nachbarland und die Menschen "näherrücken"

Tandam Prag 2008

Ein Tandem ist ein Rad, auf dem zwei Leute gemeinsam fahren können. Das macht natürlich viel mehr Spaß als wenn jeder alleine strampeln muss. Das Tandem-Prinzip hat sich seit etlichen Jahren auch beim Sprachenlernen durchgestzt. Besonders unter Studenten ist es sehr beliebt. In unserer letzten Rubrik Begegnungen haben wir sie über einen neuen Studiengang an der Regensburger Universität informiert. Das dortige Institut für Slawistik bietet zusammen mit der Prager Universität seit einem Jahr auch ein Tandem-Projekt der besonderen Art an. Studierende und Betreuer des Projekts erklären, was es damit auf sich hat.

Jeweils zwei Studenten aus verschiedenen Ländern tun sich zusammen, um die Sprache des jeweils anderen leichter zu erlernen – das ist das Tandem-Prinzip. Das Institut für Slawistik der Universität Regensburg findet diese Idee zwar gut, sie geht ihr aber nicht weit genug. Die Sprache ist zwar wichtig, sie reicht aber alleine nicht aus, um die Menschen eines anderen Landes zu verstehen. Deutsche und tschechische Studenten sollen deshalb im neuen Tandem-Projekt nicht nur die Sprache erlernen, sondern innerhalb von 12 Monaten tiefer in die Gesellschaft, Geschichte und Kultur des jeweiligen Nachbarlandes eintauchen. Wie das genau funktioniert erklärt Lenka Nerlich, Betreuerin des Projekts in Regensburg:

„Die Idee ist ein Austausch. Der Austausch dient aber nicht dazu, nur Freizeit miteinander zu verbingen, sondern an gemeinsamen Themen zu arbeiten. Das ist unser Ziel: Die Studenten sollen sich kennen lernen und gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf kulturwissenschaftlichen Themen, aus denen jeder Student sein Projekt aussuchen kann. Das Spektrum ist relativ breit und reicht von Gesellschaft über Geschichte bis hin zur Wirtschaft.“

Am Anfang jeder Studienarbeit steht wie immer das Sammeln von Informationen. Gerade das, macht das Tandem-Projekt besonders reizvoll. Lenka Nerlich:

„Ein wichtiger Punkt an dieser Projektarbeit ist die Recherchetätigkeit des Studierenden, vor allem während des Aufenthalts in dem jeweiligen Tandem-Land. Dort muss er empirisch arbeiten, das heißt, er muss unter Leute kommen, er muss Menschen befragen, die mit seinem Thema zu tun haben.“

Ein Tandem-Team, zwei Projekte, 12 Monate Zeit – Das sind die Eckpunkte des Programms. Innerhalb dieses Jahres kommt der sogenannten Projektwoche die größte Bedeutung zu. Diese ist für die deutschen Studenten drei Monate nach Start des Projekts in Prag, für ihre tschechischen Kollegen ein halbes Jahr später in Regensburg. In dieser Woche findet die von Lenka Nerlich erwähnte empirische Arbeit statt. Die Projektteilnehmer hören Vorträge, besichtigen für ihr Thema relevante Orte und führen Interviews mit Leuten, die sich in dem jeweiligen Thema auskennen. Die deutsche Studentin Barbara Schmidt verfasst eine Arbeit zur Untergrundkirche Tschechiens während des Kommunismus. Zusammen mit der ganzen Tandem-Gruppe besuchte sie dazu Jan Kofron, den Sekretär des Prager Bischofs Václav Malý.

„Er hat den ganzen Vortrag über Kirche im Kommunismus und die sich daran anschließende Disskussion auf Tschechisch gehalten. Nach dem sehr lebhaften Vortrag, in dem er auch immer wieder Geschichten aus seinem eigenen Leben und seine eigenen Erfahrungen einbrachte, hatte ich die Gelegenheit, mein Interview mit ihm zu führen. Zuerst hatte ich Sorgen, es könnte zu kurz werden, da ich mir 12 Fragen überlegt hatte, von denen aber einige schon durch den Vortrag beantwortet waren. Das Interview ist dann aber super gelaufen, da Herr Kofron ein sehr netter Mensch ist, der gerne aus seinem Leben erzählt. Wir haben uns dann ungezwungen eine dreiviertel Stunde unterhalten.“

Barbaras tschechische Partnerin ist Ilona Pokorná. Auch sie forscht an einem kirchlichen Thema: „Die Stellung der Kirche in der bayerischen Gesellschaft“. Sie wird im März nächsten Jahres für ihr Interview in Regensburg sein. Bei ihrer Zusammenarbeit mit Barbara hat Ilona festgestellt, dass Deutsche und Tschechen sich in ihrer Arbeitsweise doch etwas unterscheiden:

„Deutsche haben einen viel „ehrlicheren“ Zugang zur Arbeit als Tschechen. Die Mädchen sind hier sehr gut vorbereitet angekommen. Sie arbeiten an ihren Projekten sehr hart, würde ich sagen. Ich glaube die Tschechen sind da nicht so fleißig.“

Viele und mühselige Stunden Arbeit stecken in so einem Tandem-Projekt. Nicht nur die Inteviews gilt es in der fremden Sprache zu führen – im Anschluss daran muss man seine Ergebnisse auch in einem Referat, in der Fremdsprache, vor versammelter deutsch-tschechischer „Manschaft“ halten. Zusätzlich verursacht Tandem auch kleinere finanzielle Unkosten, da nicht alle Ausgaben durch Zuschüsse abgedeckt werden können. Was treibt die jungen Menschen an, diese Strapazen auf sich zu nehmen? Barbara Schmidt:

„Ich finde, dass das Projekt eine sehr spannende Sache ist, weil man mit verschiedenen Studenten Kontakte nach Tschechien knüpfen kann, die sich mit verschiedenen Themen beschäftigen und man so Gelegenheit hat in andere Themenbereiche hineinzuschnuppern. Jeder hat ja ein anderes Thema, das irgendwie mit seinem Studium zusammenhängt. Ich studiere beispielsweise Theologie, andere haben sich mit Germanistik oder Bohemistik beschäftigt. Und natürlich macht es auch über die persönliche Wissenerweiterung hinaus sehr viel Spaß, da man tschechische Studenten kennenlernt und auch Prag von einer anderen als der touristischen Seite sieht.“

Bei Tandem geht es also nicht nur um das Erlernen der fremden Sprache, vielmehr steht die Neugier im Vordergrund ein fremdes Land, eine fremde Kultur besser kennenzulernen. Aus dem ersten Jahrgang des Tandem-Projekts heraus haben sich viele Freundschaften unter den Studierenden entwickelt, die auch nach Ende der 12 Monate Bestand haben. Diese Tatsache freut Lenka Nerlich besonders, die viel Zeit und Mühe in das Projekt investiert. Und dies alles außerhalb ihrer Lehrtätigkeit:

„Es ist Freizeit, es ist Enthusiasmus. Ich denke, dass ein solches Projekt wichtig ist. In meinen Seminaren und Sprachkursen an der Universität versuche ich zwar auch die Landeskunde zu vermitteln, aber es ist trotzdem immer Theorie. Ich kann Filme und Texte bieten, aber ich kann ihnen die Menschen nicht vorstellen. Das ist meine Motivation, das Land ein wenig näherzubringen, ein wenig näherzurücken.“

Fotos: Lenka Nerlich

Autor: Martin Jarde
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