Tandem in Tansania - Entwicklungshilfe tschechisch-deutsch
Drei Länder, zwei Kontinente, eine Welt: Im Forum Gesellschaft stellt Ihnen Thomas Kirschner ein tschechisch-deutsches Projekt in Tansania vor. Durch ein Stipendienprogramm haben zwei junge Studenten aus Tschechien und Deutschland drei Monate lang einen praktischen Einblick in die Entwicklungshilfe bekommen - und sich dabei nicht zuletzt selbst entwickelt.
Tschechisch-deutsche Begegnungen sind nicht selten ein Thema bei Radio Prag. Wenn diese allerdings in Afrika stattfinden, dann ist das schon ungewöhnlich. Dahinter steht das "Global Education Network of Young Europeans", das Globale Bildungsnetzwerk junger Europäer, kurz GLEN. In Zusammenarbeit zwischen Entwicklungshilfeorganisationen in Deutschland und in sieben der neuen EU-Staaten schickt GLEN jeweils junge Zweier-Teams für dreimonatige Kurzprojekte in Entwicklungsländer. Das besondere: jeweils ein Teilnehmer kommt aus Deutschland, der andere aus einem der neuen EU-Staaten. Aus Tschechien war die 23-jährige Sozialarbeits-Studentin Lucie Bilderova mit GLEN in Tansania:
"Für mich war das eine wunderbare Gelegenheit, das ganz normale Leben in einem Entwicklungsland kennen zu lernen - und außerdem hat mich der Gedanke gereizt, selbst etwas dazu beizutragen, dass sich in der Welt einmal etwas ändert."
Motivation schaffen und eine gesamteuropäische Lobby für die Entwicklungspolitik aufbauen, genau darum geht es bei den GLEN-Projekten, erläutert Programmkoordinator Johannes Krause:
"Das GLEN-Programm versteht sich nicht als unmittelbare Entwicklungshilfe. Es geht nicht darum, dass wir Junior-Experten nach Afrika schicken, und die führen in drei Monaten Projekte durch, mit denen ein afrikanisches Land der Entwicklung näher gebracht wird. Im Vordergrund steht vielmehr der Erfahrungsgewinn für die Teilnehmer, die das Leben in einem Entwicklungsland und die Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit dort kennen lernen können - und die dann aus eigener Erfahrung hier in Europa als Multiplikatoren für entwicklungspolitische Themen wirken können."
Die Möglichkeiten und Grenzen haben auch Lucie und ihr deutscher Partner, der 24-jährige Ethnologiestudent Peter erfahren. Die erste Zeit war ziemlich schwer, erinnert sich Lucie:
"Weiße gibt es in Afrika kaum, und als Weißer kriegt man sofort einen Aufkleber: der ist reich, der gibt uns Geld. Das klingt wie ein Klischee, aber oft genug ist das so. Als aber die Leute gemerkt haben, dass ich nicht als Tourist da bin, hat sich das sehr geändert. Zum Schluss habe ich jede Menge Einladungen nach Hause bekommen, und die werden nicht einfach mal so ausgesprochen."
Lucie Bilderova und Peter Wolf waren an einer Schule in Shirati im Norden von Tansania, gleich am Viktoriasee. Für die Schüler wollten sie dort Workshops anbieten zu Themen wie Menschenrechten, Aids-Prävention oder Umgang mit Konflikten. In der Praxis tauchten bald eine ganze Menge Probleme auf - angefangen davon, dass an Veranstaltungen nach Schulschluss gar nicht zu denken war: Viele Schüler mussten nach dem Unterricht noch zwanzig, dreißig Kilometer zu Fuß nach Hause gehen, erzählt Peter:
"Wir sind mit unseren Methoden dort hingekommen und haben dann gemerkt, dass das so nicht funktioniert. Wir mussten uns also anpassen - das war für uns ein langer Verständnisprozess. Am Ende haben wir herausgefunden: Das einzige, was wirklich funktioniert, ist, wenn man den Leuten die Möglichkeit gibt, selbst ganz frei Fragen zu stellen. Alles andere hat eigentlich nicht funktioniert."
Zugleich sind die beiden GLEN-Stipendiaten aber auf viel Offenheit und Neugier gestoßen. Besonders daran, wie das Leben in Europa aussieht, waren die jungen Tansanier sehr interessiert. Viel Unwissen und auch eine Reihe von Vorurteilen gebe es hier, erzählt Lucie - fügt aber an, dass das genauso für den europäischen Blick auf Tansania gilt:
"Zuerst kam es mir seltsam vor, dass mich die Leute in Tansania gefragt haben, was wir zu Hause für Geld haben, welche Sprache wir sprechen und ähnliches. Aber als ich zurückgekommen bin, habe ich festgestellt, dass mir meine Freunde genau die gleichen Fragen über Afrika gestellt haben. Das Unwissen ist also wechselseitig."
Den eigenen Standpunkt relativieren, sich auf das Fremde einlassen, das Beste aus unvorhergesehenen Veränderungen machen - dass sie das können, mussten Lucie und Peter in den drei Monaten in Tansania immer wieder unter Beweis stellen. Von den ursprünglichen ambitionierten Unterrichtsplänen konnten die beiden nicht viel umsetzen. Von dem Leben und der Wirklichkeit in Tansania haben sie dafür aber jede Menge mitbekommen. Ein höchst erfolgreiches Scheitern also, wie Peter die drei Monate resümiert:
"Das ganze Projekt hatte mit Lernen zu tun - allerdings hauptsächlich auf unserer Seite, und nicht so sehr bei den Schülern, die die eigentliche Zielgruppe waren. Das war eine sehr wichtige Erfahrung für uns, die aber hauptsächlich daher kam, dass das ganze Projekt von Anfang bis Ende nicht so funktioniert hat, wie wir uns das gedacht hatten."
Das Programm GLEN bedeutet nicht nur Austausch zwischen Europa und den Entwicklungsländern, sondern durch die grenzüberschreitenden Tandempaare aus Deutschland und den neuen EU-Ländern auch ein wechselseitiges Kennenlernen innerhalb von Europa. Für Programmkoordinator Johannes Krause ein zentraler Aspekt: Entwicklungspolitik werde heute vor allem auf multinationaler, europäischer Ebene gemacht, betont er. Gerade die neuen EU-Länder sind für die deutschen Teilnehmer aber oft fremder als die Entwicklungsländer.
"Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen von Teilnehmern, die uns gesagt haben: Polen, die Slowakei, das Baltikum, die Tschechische Republik- das waren für mich weiße Flecken auf der Landkarte, und nachdem ich an dem Programm teilgenommen habe, habe ich erstmal etwas über diese Region erfahren und habe dort jetzt Freunde und plane dorthin meine nächsten Urlaubsreisen." Dank der Tandempartnerin Lucie bringt so auch der deutsche GLEN-Stipendiat Peter Wolf nach drei Monaten in Tansania nebenbei ein ganz neues Verhältnis zum nahen Nachbarland Tschechien mit nach Hause. Zum dem hatte er vorher gar keine Beziehung:
"Das war schon ein kleines fremdes Land für mich. Was ich sehr geschätzt habe, ist, dass Lucie sehr viel von ihrem Land preisgegeben hat, also von sich aus sehr interessiert war, dass ich über Tschechien lerne. Sie selbst wusste über Deutschland recht viel - wohl weil sie selbst ein bisschen Deutsch spricht, aber auch weil Deutschland für Tschechien ein wichtiges Land ist. Sie hat mir sehr viel über Tschechien erzählt, ich habe viel gelernt. Das war ein sehr positiver Aspekt für mich, und ich plane jetzt auch schon den nächsten Tschechien-Aufenthalt."
Was bleibt also an Erinnerungen und Erfahrungen nach drei Monaten in einem tschechisch-deutschen Team in Afrika? Schrecklich viel, meint Lucie Bilderova:
"Vor allem habe ich sehr schöne Erinnerungen an die Menschen und überhaupt die gesamte Atmosphäre in Tansania -auch wenn wir mit den Projekten nicht das erreicht haben, was wir erreichen wollten. Trotzdem bleibt für mich als positive Bilanz ein ganzer Haufen neue Erfahrungen - ich habe mich selbst besser kennen gelernt, bin in ganz neue Situationen gekommen, ich habe eine neue Arbeit und eine andere Form des Reisens ausprobiert - einfach eine Menge Erlebnisse."
Fotos: Lucie Bilderova