Tenor Pavel Černoch: Ich mag Modernisierungen von Opern, sie dürfen jedoch kein Selbstzweck sein

Pavel Černoch ist derzeit der meistgefragte tschechische Tenor. Er tritt in namhaften Opernhäusern und Konzertsälen der Welt auf. Martina Schneibergová ist mit dem Opernsänger vor kurzem im Prager Funkhaus zusammengetroffen und hat ihm einige Fragen gestellt.

Herr Černoch, Sie haben bereits in den renommiertesten Opernhäusern gesungen. Ursprünglich haben Sie jedoch auch Kulturmanagement studiert. Wann fanden Sie, dass der Operngesang das Richtige ist und das, was Sie machen wollen?

Pavel Černoch | Foto: ČT24

„Ob ich das jetzt weiß? Ich weiß es nicht. Es war relativ spät. Erst mit 35, also vor 15 Jahren, habe ich gespürt, dass das mein Weg sein wird. Aber zu lernen und studieren habe ich nie aufgehört. Das muss man das ganze Leben,  und bei Opernsängern gilt das bis zum letzten Tag. Und Management und Business habe ich auch nie aufgegeben. Ich war nie so mutig, das eine oder das andere zu verlassen und sozusagen nur von einem Job abhängig zu sein.“

Eine wichtige Rolle spielte für Sie – wie wahrscheinlich bei allen Sängern – der Lehrer. Das war der Gesangpädagoge Paolo Napoli. Arbeiten Sie immer noch mit ihm zusammen?

„Ja, in der Corona-Zeit haben wir wieder richtig angefangen, und jetzt sehen wir uns regelmäßig dreimal oder viermal im Jahr. Gerade jetzt kommt er am 11. November wieder nach Prag. Ich habe viele neue Rollen und das neue Repertoire – alles, was dramatisch ist, muss man wirklich sehr hart studieren.“

Was das tschechische Repertoire betrifft, kennt Sie das Publikum vor allem in den Rollen aus den Opern von Leoš Janáček, als Jeník aus Smetanas „Verkaufter Braut“ oder als Prinz aus Dvořáks „Rusalka“. Sie haben außerdem vor kurzem eine CD mit Smetanas Arien und Duetten herausgebracht. Wie ist die CD „Smetanas Arias“ entstanden? Haben Sie dadurch neue Rollen für sich entdeckt?

„Ich bekam das Angebot vor drei Jahren, und damals hieß es ,The Best of Pavel Černoch‘. Ich habe wirklich zwei Jahre lang überlegt, was das Beste von Pavel Černoch ist. Ist es Verdi, Puccini, Tschaikowski oder Dvořák? Anschließend habe ich ein Angebot vom Nationaltheater bekommen, eine Operngala nur mit Smetanas Arien zu singen. Da habe ich recherchiert, und dann habe ich es sofort kapiert: Smetana hat Jubiläum, und die Musik ist absolut für mich geschrieben. Ich habe so viel Neues entdeckt, und es geht sozusagen gleich in die Stimme. Meine Produzenten waren begeistert, weil bis jetzt niemand so etwas aufgenommen hat. Wir haben schließlich elf Arien und Duette aus fast allen Opern Smetanas aufgenommen – mit der Tschechischen Philharmonie und unter der Leitung von Tomáš Netopil.“

Haben Sie mit dem Dirigenten schon zuvor zusammengearbeitet?

„Ja, wir haben viele Konzerte zusammen gemacht, darunter auch ,Jenufa‘ in Amsterdam. Und er war schon ganz am Anfang meiner Karriere mit mir in Spanien – in Sevilla studierten wir zusammen ,Das schlaue Füchslein‘ein. Damals habe ich den Rechthor und die Mücke gesungen. Das waren zwei Rollen.“

Haben Sie von Smetanas Opern auch den Dalibor gesungen?

„Nein. Das ist etwas, was ich mir sehr wünsche und was mir bis jezt nicht gelungen ist. Auf der CD gibt es aus ‚Dalibor‘ drei wunderschöne Arien und das große Duett mit Milada. Ich hoffe, dass es mir noch gelingt, den Dalibor zu spielen. Wir haben darüber schon gerdet, jetzt war Smetana jedoch überall, da braucht das Publikum ein bisschen Pause. Aber ich habe Zeit.“

Das ausländische Publikum kennt Sie vor allem als einen Janáček- Spezialisten. Denn meistens haben Sie in den großen Opernhäusern dessen Werke gesungen und auch den Prinzen in Dvořáks „Rusalka“. Diese Rolle sowie die Partie von Boris in Janáčeks „Katja Kabanowa“ sollten Sie auch in der Metropolitan Opera singen. Dann kam jedoch die Corona-Zeit…

„Ja, das war damals ‚Katja Kabanowa‘. ‚Rusalka‘ wurde auf dieses Jahr, also auf 2024, verschoben, und jetzt wurde sie auch gestrichen. Die Metropolitan Opera hat eine neue dramaturgische Strategie, und ‚Rusalka‘ war nicht dabei. Sonst habe ich diese Oper aber fast überall gesungen: in Wien, Berlin, Paris und Amsterdam. Ich kann mich nicht ganz genau erinnern, wo überall, aber zuletzt in Berlin. Dort war das meine 14. Neuproduktion. Also habe ich schon in 14 Neuproduktionen von ‚Rusalka‘ gesungen. In Prag war ich in den beiden Inszenierungen der Staatsoper sowie im Nationaltheater dabei. Und in Paris war das keine Neuproduktion, sondern die berühmte Carsen-Inszenierung, in der Renée Fleming und Larin die Premiere gesungen haben sowie Eva Urbanová die Fremde Fürstin. ‚Rusalka‘ ist also ein Teil von meinem Leben.“

Die Berliner „Rusalka“ spielte in einem Plattenbau. Die Amsterdamer „Rusalka“ war auch keine Märchen-Inszenierung. Wie finden Sie die Aktualisierungen der Opernhandlungen? Ich würde ja sagen, dass das Publikum hierzulande eher konservativ ist…

Pavel Černoch | Foto: ČT24

„Ich bin überhaupt nicht einverstanden damit, dass das tschechische Publikum konservativ wäre! Aber die Kritiker sind konservativ. Das ist jedoch etwas ganz anderes. Kritiken, die ich in Tschechien gelesen habe, stimme ich überhaupt nicht zu. Sie waren wirklich fast unfair und sehr subjektiv. Ich hatte in Berlin mehrere Gäste aus Prag, und sie waren alle begeistert. Die Berliner ‚Rusalka‘ war gerade eine Produktion, in der das sehr gut gepasst hat. Es ging um soziale Probleme und Missbrauch. Und dann war auch eine Art ,Netflix-Finale‘ interessant, in dem sie dann zur Schlange geworden ist. Weniger interessant war die Amsterdam-‚Rusalka‘, muss ich sagen. Die Vorstellung war für ein Mainstream-Publikum bestimmt, weil sie auch ins Sommerkino übertragen wurde. Aber die Produktion war sehr erfolgreich, sie war wie aus dem Hollywood der 1970er Jahre: Drogen und alles, was gerade für Holland und Amsterdam irgendwie typisch ist. Ich mag die Modernisierungen sehr, aber es muss schon stimmen. Man muss dahinter etwas verstehen, und es muss etwas evozieren und darf kein Selbstzweck sein. Jetzt habe ich mit Alex Ollé, einem fantastischen spanischen Regisseur, im Teatro Liceo in Barcelona an einer  Neuproduktion von ,Lady Macbeth von Mzensk‘ (Oper von Dmitri Schostakowitsch, Anm. d. Red.) zusammengearbeitet: vier Stunden im Wasser, die ganze Bühne war bis zu den Knien unter Wasser. Es war eine fantastische Symbolik mit der Tiefe und der Schwere. Alles hat gepasst. Es war wahnsinnig anstrengend, aber wir waren alle begeistert von der Idee.“

Kann der Sänger mit dem Regisseur diskutieren oder ihn beraten?

„Natürlich kann er das. Der Sänger kann alles, aber er muss dann auch die Konsequenzen tragen. Ich mache das manchmal.“

Haben Sie einige Tipps, zu welchen Opern, in denen Sie in den nächsten Monaten singen, Sie unsere Hörer und Leser einladen würden?

„Am 6. und 7. November singe ich in Prag in Lloyd Webbers ‚Requiem‘. Das ist ein Konzert mit dem Prager Symphonieorchester FOK. Dann trete ich am 6. Dezember mit dem Prager Philharmoniechor und dem ,Vaterunser‘ von Janáček in der Carnegie Hall in New York auf. Im Januar fahre ich nochmal in die USA, nach Boston. Ich singe in Beethovens 9. Sinfonie, und es spielen die Bostoner Symphoniker unter der Leitung von Andris Nelsons. Es folgt die ‚Glagolitische Messe‘ in Prag mit der Tschechischer Philharmonie. Dann ist wieder die Oper an der Reihe: eine Neuproduktion von ‚Katja Kabanova‘von Krzysztof Warlikowski in München. Mit dem Dirigenten Jakub Hrůša und dem Royal Orchestra von Covent Garden führen wir zudem die ,Geisterbraut‘ von Dvořák auf. Und am Ende der Saison würde ich ganz gerne alle nach Wien einladen, wo ich in der ,Sache Makropulos‘ singe.“

Wie lange im Voraus muss ein Opernsänger planen?

„Vier, fünf Jahre. Das heißt, zwei oder drei Jahre im Voraus sind die Auftritte bestätigt. Und vier oder fünf Jahre vorher entstehen die Ideen und Vorschläge, oder man redet darüber. Ich habe jetzt bis 2028 eigentlich alles geplant. Aber in Barcelona zum Beispiel habe ich mir mit dem dortigen Intendanten Victor Garcia schon die Planung bis 2031 angeschaut.“

Und zwischendurch werden Sie auch beim Smetana-Festival in Litomyšl singen…

„Nächstes Jahr habe ich eine große Operngala mit Corinne Winters in Litomyšl, mit einem slawischen Repertoire – also Arien und Duette aus tschechischen und russischen Opern. Für 2026 bereite ich ein neues Projekt mit dem Pianisten Jan Bartoš vor, und zwar das ,Tagebuch eines Verschollenen‘ von Janáček. Das werden wir beim Label Supraphon aufnehmeen, und dann gehen wir damit auf eine Tournee. Das wird 2027 und 2028 sein, wenn Janáček sein Jubiläum hat (100. Todestag, Anm. d. Red.). Viele, viele Pläne also. Jetzt habe ich jedoch eine 14-monatige Tochter und mache alles dafür, dass ich weniger arbeite und möglichst viel Zeit mit ihr verbringen kann.“