Terroralarm in Tschechien: Eine reale Gefahr oder eine mediale Seifenblase?
In der vergangenen Woche wurden in ganz Tschechien, wie auch in anderen europäischen Ländern, die Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit potentiellen terroristischen Angriffen verstärkt. Doch ist diese Gefahr mit Blick auf Tschechien real oder nicht?
Viele Tschechen staunten nicht schlecht, als die Medien in der vergangenen Woche über eine nicht näher definierte potentielle Terrorgefahr für ihr Land und eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen berichteten. Als einzige Quelle für die Hinweise wurden angebliche Informationen der US-Geheimdienste zitiert. Schon deshalb schickte wohl die Regierung am vorvergangenen Sonntag den stellvertretenden Innenminister Michal Moroz in die Politdebatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Seine Aufgabe war klar: Er sollte die Öffentlichkeit beruhigen.
„Wir haben bislang keine Informationen, dass es sich um die Tschechische Republik handeln könnte. Nichtsdestotrotz sind wir in intensivem Kontakt mit unseren ausländischen Partnern, die uns kontinuierlich über ihre Erkenntnisse informieren“, so Moroz.Wie groß aber dennoch die allgemeine Verwirrung war, zeigte sich kurze Zeit später: In der Prager Innenstadt tauchten Anfang der Woche auf Straßenlaternen verdächtige Kästchen mit Leuchtdioden auf. Die Polizei war sofort mit ihrem Sprengstoff-Kommando zur Stelle, um die verdächtigen Gegenstände zu entfernen.
Der um starke Medienauftritte nie verlegene Innenminister Radek John wollte selbst an den Ort eilen, wo die verdächtigen Kästchen gefunden wurden, um sich persönlich ein Bild zu machen. Zu seinem Pech wurde der mit Blaulicht fahrende Dienstwagen des Ministers auf dem Weg dorthin in einen Verkehrsunfall mit einer Straßenbahn verwickelt. Der Eifer Johns hatte sich für ihn persönlich also nicht ausgezahlt.Wenig später stellte sich übrigens heraus, dass die Kästchen Bestandteil der Werbekampagne eines tschechischen Mobilfunkunternehmens waren. Das Unternehmen wollte auf diese Weise auf ein neues Angebot bei seinen Datenübertragungsdiensten aufmerksam machen. Das Unternehmen hat sich mittlerweile von dieser Kampagne, die von einer Werbefirma entworfen wurde, distanziert.
Was halten aber die tschechischen Sicherheitsexperten von der Gefahr, dass Tschechien Ort eines terroristischen Anschlags werden könnte? Der ehemalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Andor Šándor, glaubt, dass die getroffenen Maßnahmen auf keine unmittelbare Gefahr deuten lassen, wie er gegenüber dem Tschechischen Rundfunk erklärte:„Die Maßnahmen, die im Rahmen Tschechiens verkündet wurden, können meiner Meinung nach so gedeutet werden, dass zwar irgendeine Gefahr zu drohen scheint, wir aber keine genauen Erkenntnisse haben, wer einen möglichen Angriff durchführen könnte, wo er sich aufhält bzw. ob er in Tschechien Mithelfer haben könnte. Deshalb sind wir Zeugen der besagten Vorkehrungen.“
Seiner Meinung nach ist zum Beispiel die sichtbar stärkere Präsenz von uniformierten Polizisten in den Straßen nicht die einzige Maßnahme, welche die Sicherheitsbehörden ergriffen haben:
„Man kann erhöhte Sicherheitsmaßnahmen auf dem Prager Flughafen sehen, verstärkt wurden die Polizei-Patrouillen vor wichtigen Gebäuden. Daneben wurden aber auch noch zahlreiche Schritte unternommen, von denen ein gewöhnlicher Beobachter normalerweise nichts mitbekommt Die Polizei versucht verstärkt ihre Informanten einzusetzen, um herauszufinden, ob eine potentiell aus dem Ausland kommende Gefahr wirklich gefährlich sein kann oder nicht“, so Šándor.
Terroralarm gab es in Tschechien in der jüngsten Vergangenheit schon einige Male. Vor allem, weil sich das Land mit seinen Spezialeinheiten an den militärischen Operationen im Irak und in Afghanistan beteiligt. Am Hindukusch, in der afghanischen Provinz Logar, leistet Tschechien seit einigen Jahren sogar Hilfe beim Wiederaufbau des durch den Krieg und die Herrschaft der Taliban gezeichneten Landes. Als weiteres Ziel potentieller Terrorangriffe gilt der in Prag angesiedelte amerikanische Rundfunksender Radio Freiheit/Radio Freies Europa mit seinen Auslandssendungen, die in den Irak, nach Afghanistan oder in den Iran ausgestrahlt werden.
Nicht alle tschechischen Sicherheitsexperten teilen allerdings die gegenwärtige Furcht vor der Gefahr eines terroristischen Angriffs. Dazu gehört zum Beispiel Jan Schneider, der in diesem Zusammenhang sogar von Hysterie spricht. Er glaubt einen ganz einfachen Grund zu kennen, warum die Terrorwarnung in Tschechien ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geäußert wurde:„Ich sehe in dem Ganzen eine von den Medien aufgebauschte Seifenblase, die etwas ganz Anderes zum Ziel hat. Im Herbst wird traditionell über den Haushalt für das kommende Jahr beraten und dabei geht es unter anderem auch um die Finanzen der Geheimdienste. Es ist logisch, dass diese sich dann zur gegebenen Zeit regelmäßig zu Wort melden und so auf ihre Unersetzbarkeit hinweisen und dass sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben zu wenig Geld haben. Die aktuelle Warnung wurde öffentlich und pauschal ausgesprochen, das ist im Kontext der Sicherheit völlig falsch. Die wirksamstem Maßnahmen sind hingegen jene, die punktuell und unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden.“
Der frühere Chef des militärischen Geheimdienstes in Tschechien, Andor Šándor, widerspricht jedoch dieser Sichtweise. Die nun getroffenen Maßnahmen hätten seiner Meinung nach auch die Konsequenz, dass die potentiellen Terroristen überlegen, ob ein Angriff Aussicht auf Erfolg haben könnte oder nicht. Sandor gesteht aber, dass es nicht reiche, wenn ausschließlich die Polizei-Präsenz in den Straßen verstärkt wird. Ohne eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden ließen sich die flexiblen Strukturen von Terror-Gruppen nicht unterbinden, wie er abschließend hinzufügt:
„Dass eine Gefahr besteht, ist eine Tatsache, mit der wir lernen müssen umzugehen. Die Vorstellung, dass immer dann, wenn öffentlich so etwas angekündigt wird, wir grundlegend unsere Lebensgewohnheiten ändern werden, ist illusorisch. Zum anderen wäre das natürlich genau jene Verhaltensweise, die sich die potentiellen Terroristen am liebsten wünschen, weil das ihnen das Gefühl der Stärke verleihen könnte. Wir sollten so leben, wie bisher. Dennoch wird im Fall von Auslandsreisen jeder gut beraten sein zu überlegen, wohin er sich begibt. Längere Reisen in Länder mit erhöhtem Sicherheitsrisiko, wie zum Beispiel in den Jemen oder in den Sudan, sollten hinterfragt werden. Aber damit leben die Europäer schon fast dreißig Jahre lang.“