Tiefer Wandel und fehlende Visionen

Foto: ČTK / Vít Šimánek
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Der politische Umschwung in den Staaten des Ostblocks vor 30 Jahren hat diese wieder zurück nach Europa geführt. Doch wie lautet die heutige Bilanz in den Ländern des östlichen Mitteleuropas? Über die Ereignisse der Jahre 1989/90 und die gegenwärtige Lage wurde am Montag bei einer großen Konferenz im Tschechischen Rundfunk diskutiert.

Lech Wałęsa  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)

Václav Klaus  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)
Eine Liste von erlesenen Gästen und Rednern – und intensive Diskussionen. Mehr als achteinhalb Stunden lang dauerte die Konferenz im Gebäude des ehemaligen tschechoslowakischen Parlaments.

Unter anderem trat der frühere Solidarność-Chef Lech Wałęsa aus Polen auf, der ehemalige tschechische Premier und Staatspräsident Václav Klaus, Havels zeitweiliger Berater Milan Kňažko aus der Slowakei oder auch der tschechisch-französische Politologe Jacques Rupnik. Absagen musste hingegen der russische Ex-Parteichef Michail Gorbatschow.

Václav Klaus war vor 1989 kein Dissident, dennoch wurde er in der Nachwendezeit zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten für die Tschechoslowakei und Tschechien. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler prägte den Begriff der Marktwirtschaft ohne Attribute, also auch ohne soziale Komponente. In seiner achtminütigen Rede bei der Konferenz sagte der heute 78-Jährige:

„Der Sturz des Kommunismus, der in unserem Land mit den Ereignissen des 17. November 1989 begann, ist das größte Ereignis in unserer modernen Geschichte. Er war höchst positiv und hat zu einem radikalen Wandel unseres Lebens geführt.“

Klaus nannte vier Ziele, die damals die Nachwendepolitiker gehabt hätten: Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft und nationale Souveränität.

Jiří Přibáň  (Foto: Ondřej Tomšů)
Vor allem über den Zustand der Demokratie im heutigen Mitteleuropa wurde debattiert. Aber auch um Fragen von Nationalismus und Freiheit ging es bei den Podiumsdiskussionen am Nachmittag. Kritisch äußerte sich zum Beispiel der Jurist Jiří Přibáň von der Universität in Cardiff zur Entwicklung in den Visegrád-Ländern:

„Mitteleuropa beschäftigt sich zunächst mit nationalen Fragen. Erst danach kommen Demokratie, Recht und Freiheit. In Wahrheit kann man das aber nicht voneinander trennen. Denn was ist ein Volk, wenn es nicht frei und demokratisch ist?“

Einer der wenigen Konferenzteilnehmer, der nicht am Umbau nach dem Fall des Eisernen Vorhangs teilhatte, war der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček. Er sagte, er vermisse heutzutage die Visionen, auch beispielsweise wie früher von Wirtschaftstheoretikern wie Milton Friedman, John Maynard Keynes oder Friedrich August von Hayek.

Tomáš Sedláček | Foto: Jana Přinosilová,  Tschechischer Rundfunk
„Die Philosophen und Denker, die Künstler und Dichter oder Weitere schaffen es derzeit nicht, neue Visionen zu formulieren. Von Politikern darf man das im Übrigen nicht erwarten, von ihnen kommt so etwas nur sehr selten. Es müssen die Intellektuellen sein, und dann können sich die Politiker das zu eigen machen. Aber so lange das nicht geschieht, werden wir immer zu jenen Systemen zurückkehren, die nicht funktioniert haben – einfach der Nostalgie wegen“, erläuterte Sedláček.

Ähnlich äußerte sich auch die Schauspielerin Magda Vášáryová. Die Slowakin war später unter anderem Diplomatin:

„Was wir brauchen, sind neue Metaphern, neue Bilder für die Gegenwart. Nicht die romantischen, bolschewistischen, sondern reale Metaphern. Solche, die für mehrere Jahrzehnte unsere Vorstellungskraft bestimmen werden. Damit wir nicht erneut eine Welt nur eines Gedankens und eines Bildes werden.“