Timothy Snyder in Prag: Wir sollten fragen, wann Russland verlieren wird
Timothy Snyder, Schriftsteller und Professor für Geschichte an der Yale University, war Hauptgast auf der Konferenz „Die Grenzen der (Un-)Freiheit“. Diese wurde vom Tschechischen Rundfunk und der Václav-Havel-Bibliothek am Montag in Prag veranstaltet.
Wo sind die Grenzen der Unfreiheit? Zu diesem Thema hat der Historiker und Schriftsteller Timothy Snyder auf der Konferenz des Tschechischen Rundfunks diskutiert. Zum Auftakt der Veranstaltung nahm er die „Verdienstmedaille für Diplomatie“ vom tschechischen Außenminister Jan Lipavský (Piraten) entgegen. Lipavský ehrte damit Snyders außerordentlichen Beitrag zur Kenntnis gefährlicher beziehungsweise sogar monströser Ideologien, die zu Völkermord, ethnischen Säuberungen oder der gewaltsamen Förderung imperialer Ambitionen geführt haben. Die Verdienstmedaille wird vom tschechischen Außenminister seit 2016 verliehen, 104 Preisträger haben sie bisher erhalten.
Die Bücher des Historikers sind zu internationalen Bestsellern geworden. Seine Vorträge sind in der ganzen Welt innerhalb weniger Tage ausverkauft. Meist befasst er sich mit der turbulenten Geschichte Mittel- und Osteuropas und kommentiert regelmäßig die aktuellen Ereignisse in der Ukraine. Sein Hauptvortrag in Prag drehte sich um die Freiheit:
„Ich denke, wir sind frei, wenn die Welt um uns berechenbar ist. Wenn sie unberechenbar und unsicher wird, zum Beispiel in Folge des Klimawandels, der zu Stürmen und Hurrikanen, Lawinen und Bränden führt, ist es für uns schwieriger, frei zu sein. Wir selbst werden dann nämlich berechenbarer, weil hitzköpfiger und rassistischer. In dem Fall werden wir mehr um die Ressourcen kämpfen und häufiger zu Gewalt greifen.“
Die Menschen befänden sich in einer Art Falle ihrer Rationalität und glaubten, frei zu sein, sagte der Historiker. Er verwies auf Václav Havel und sein Konzept der Freiheit sowie auf die Irrationalität der Vorfahren, die an Orakel geglaubt und den Göttern Tiere und Kinder geopfert hätten. Snyder zufolge bringen wir heute immer noch „Kohlenstoffopfer“ an die Altäre der Oligarchen. Damit werde nicht nur unsere Vergangenheit, sondern auch die Zukunft des Planeten geopfert, warnt er. Es sei erforderlich, gegen Oligarchen zu kämpfen, forderte der Universitätsprofessor in seinem Vortrag auf:
„Es gibt nur ein Subjekt, das sich mit der wachsenden Macht der Kohlenstoff- und Digital-Oligarchen auseinandersetzen kann – und zwar der Staat, die Regierung. Es gibt keine andere Hoffnung. Die Frage ist aber, wie dieser Staat aussieht. Sollte die Freiheit der wichtigste Wert sein, müssen wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Menschen frei werden können. Wir brauchen viele Dinge, um frei zu werden, wie zum Beispiel eine gute Kindererziehung, das Bildungswesen und vieles Weiteres mehr. Die Hilfe der Anderen in einer großen und komplizierten Gesellschaft wie der unseren muss organisiert sein.“
Timothy Snyder sprach im Prager Kulturzentrum Vzlet auch über den US-amerikanischen Ex-Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der Snyder zufolge zu Wladimir Putin aufschaut. Es sei eben Trump, der Putin stärker mache, so der Autor:
„Für jemanden wie Donald Trump existiert kein System, das auf Regeln basiert. Er umgeht diese schon sein ganzes Leben lang. Dann schaut er jemanden wie Putin an und denkt sich, dieser sei ein noch größerer Gangster als er selbst. Deswegen bewundert er den Gangster. Putin ist dank Trump viel mächtiger. Trump weiß, dass er Putin etwas schuldet. Und er weiß, dass Putin ihm 2016 geholfen hat und immer noch hilft. Der Weg zum Sieg Russlands führt über US-amerikanische Politiker. Und sie wissen das. Sie wissen, wer sich billig kaufen lässt.“
Auf dem Programm der Konferenz stand auch eine Debatte von Snyder mit der ukrainischen Journalistin Sewhil Mussajewa, Chefredakteurin der Online-Tageszeitung Ukrajinska Prawda in Kiew. Dabei hob er unter anderem die Bedeutung des Qualitätsjournalismus hervor. Die russische Propaganda verliere ihren Atem, fügte Snyder hinzu. Da die Russen ihre militärischen Ziele nicht erreicht hätten, hätten die Truppen nicht die Kraft, ihre Besetzung der Ukraine fortzusetzen. So wie es jetzt sei, werde es nicht ewig funktionieren, prognostizierte der Historiker. Und er forderte, dass wir, die Verbündeten der Ukraine, nicht fragen sollten, wann die Ukraine verliere, sondern wann endlich Russland verlieren werde.
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