Tourismus: Ende der goldenen Zeiten
Sommerliche Hitze, Stimmengewirr in Dutzenden Sprachen. Die engen Gassen der Prager Altstadt sind noch belebter als sonst, abends schaukeln die Lichter der Ausflugsboote auf der Moldau. Es ist Tourismushochsaison. Und dennoch: Prager Hoteliers ächzen – irgendwie ist alles nicht mehr so wie früher. Zwar nimmt die Zahl der Gäste aus dem Ausland nach wie vor zu, aber nicht so rasch wie die der Betten. Außerdem geben die Touristen immer weniger Geld aus. Erste Zahlen über die bisherige Saison geben jedenfalls keinen Anlass zum Jubeln.
Nachdem der letzte Glockenschlag verstummt ist, dauert es wie immer noch ein paar Minuten, bis sich die Menge aufgelöst hat und man den Platz ungehindert passieren kann. Angesichts dieser Touristenströme würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, dass die goldenen Zeiten für die Prager Tourismusindustrie fürs erste vermutlich vorbei sind. Einer der Hauptgründe: Die tschechische Krone, die in den letzten Monaten gegenüber dem Euro stark zugelegt und den Aufenthalt in Prag teurer gemacht hat. Tomio Okamura, der Sprecher der Assoziation der tschechischen Reisebüros, befürchtet, dass das Niveau des Angebots mit den gestiegenen Preisen einfach nicht mithalten kann:
„London, Paris oder Rom sind teurer als Prag, doch dorthin kommen die Touristen trotzdem in Scharen. Das heißt: Durch den starken Kurs der Krone hat sich lediglich gezeigt, dass Prag eben keine Luxusdestination ist, die hohe Preise verlangen kann. Im Gegenteil: Prag wurde immer als eher günstige Destination angesehen, die entsprechenden Service bietet. Aber zu den Preisen, die heute wegen der starken Krone verlangt werden, wollen die Touristen nicht mehr nach Tschechien kommen.“
Prager Hotels, Restaurants, Geschäfte und Reisebüros, die auf ausländische Gäste spezialisiert sind, haben im Juni gegenüber dem Juni des Vorjahres einen Umsatzrückgang von 30 Prozent verzeichnet, sagt Okamura. Die diesjährige Saison sei damit bisher die schlechteste seit dem Hochwasser des Jahres 2002.
Sinkende Auslastung ist dabei aber gar nicht das Hauptproblem. Vielmehr geht es darum, dass die Geldbörse bei den Touristen nicht mehr so locker sitzt wie früher. Die Speisekarten der Restaurants oder die Schaufenster der Souvenirläden werden bei der starken Krone eben etwas genauer studiert. Dazu kommt noch ein weiterer Faktor: Viele Hotels schreiben ihre Preise in Euro aus – und bekommen dementsprechend weniger Kronen pro Zimmer und Nacht. Pavel Hlinka, Präsident der Assoziation der Hotel- und Restaurantbetriebe:
„Die Preise sinken viel rascher als die Auslastung. Wir beobachten gar nicht so sehr die Zahl der Gäste, sondern den Umsatz pro Zimmer. Hier kam es in Prag im ersten Halbjahr zu einem Rückgang um 20 Prozent. Daran hat die Auslastung nur einen Anteil von etwa sieben Prozent, der Rest ist auf den Preisrückgang zurückzuführen.“
Die Zahl der Touristen geht insgesamt nämlich nicht zurück, es verlangsamt sich bloß das Wachstum. Im ersten Quartal des laufenden Jahres kamen immerhin um 8,5 Prozent mehr ausländische Gäste nach Tschechien als im selben Zeitraum des Vorjahres. Die Erwartungen allerdings waren noch weit höher. Konsequenz: In Prag gibt es zu viele Betten, sagt Jaromír Beránek vom Forschungsinstitut Mag Consulting.
„Das Tschechische Statistikamt spricht von zirka 75.000 Betten in Prag. Wir haben aber in den vergangenen Tagen im Internet eigene Recherchen durchgeführt. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es in den Prager Beherbergungsbetrieben etwa 120.000 Betten gibt, wenn man die diversen Studentenheime mit einbezieht, die im Sommer den Touristen offen stehen. Mit anderen Worten: Jedes zehnte Bett in Prag ist ein Touristenbett. Ein solches Verhältnis gibt es in keiner anderen Metropole der Europäischen Union.“Sogar die 75.000 Betten, die vom Tschechischen Statistikamt erfasst wurden, sind im internationalen Vergleich eine Menge: In Wien gibt es nur 51.000, in München 46.000. Dazu kommt: Immer mehr Pragbesucher quartieren sich in privaten Unterkünften ein, die auch in Beráneks Statistik nicht vorkommen: bei Freunden, bei Bekannten oder in Gästewohnungen, die kaum Werbung machen. Vergangenes Jahr, so die Schätzungen, kam bereits mehr als ein Viertel aller ausländischen Touristen gut ohne Hotelfachbetriebe zurecht. Tendenz steigend. Und auch die Struktur der Gäste hat sich in den letzten Jahren verändert, meint Beránek. Der Trend: Immer kleinere Gruppen bleiben immer kürzer.
„Vor drei oder vier Jahren kamen noch hauptsächlich Reisegruppen zu uns. Heute sind es eher Individualtouristen. In Prag kann man sehen, dass jeder einen Koffer hinter sich her zieht – von den Jüngsten angefangen bis hin zu den Senioren. Das sind Gäste, die auf eigene Faust angereist sind. Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Dauer des Aufenthalts immer mehr verkürzt. Im Schnitt bleiben die Besucher heute nur etwa drei Nächte in Tschechien, in Prag sind es gar nur 2,7 Übernachtungen pro Person.“
Ann-Sybill ist Studentin aus Bonn. Sie kommt nach wie vorne gerne nach Prag, auch wenn sie den Anstieg der Preise langsam zu spüren bekommt:
„Von der Tendenz her würde ich schon sagen, dass es etwas teurer geworden ist. Das ist mir zum Beispiel bei den Metro-Tickets aufgefallen, oder auch hier im Café. Aber große Unterschiede habe ich noch keine bemerkt.“
Roman, ein Besucher aus Linz, rät dazu, auch mal abseits der Touristenpfade nach schönen Ecken, Kneipen und Läden zu suchen. Das ist oft nicht nur interessanter, sondern in der Regel auch viel billiger:
„Es kommt sehr auf die einzelnen Dienstleistungen an, und darauf, ob man in Touristenfallen tappt, oder ob man ein paar Geheimtipps kennt, wo es noch super Essen zu fairen Preisen gibt.“
Wer also mit offenen Augen durch die Stadt geht, Prag weder als Luxus- noch als Billigdestination begreift, und auch daheim einen entspannten Umgang mit Geld pflegt, der wird hier nach wie vor auf seine Rechnung kommen. Ann-Sybill jedenfalls wird sich auch in Zukunft von ihren Pragbesuchen nicht abhalten lassen:
„Nein, auf keinen Fall. Denn im Vergleich ist es hier natürlich immer noch günstiger als in Deutschland. Selbst wenn alles noch teurer wäre, würde mich das nicht abhalten – weil es hier ja so schön ist.“