Treffen wir uns bei den Brautkleidern!

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An einem Ort in der Prager Innenstadt treffen der Lokaljargon der Prager Jugend und die Marketingstrategie einer internationalen Fastfood-Kette unmittelbar aufeinander. Hören sie Näheres im nun folgenden Radio-Feuilleton von Gerald Schubert:

Treffen wir uns bei den Brautkleidern! So verabredeten sich jahrelang Prager Jugendliche zum abendlichen Kneipenbummel oder zum gemeinsamen Kinobesuch. Besagte Brautkleider standen, ebenso jahrelang, in der Vitrine eines Brautkleidergeschäfts, dessen eigentliche Adresse wohl nur die Wenigsten kennen. Die Vitrine wiederum, nur ein kleines Werbeschaufenster mit vielleicht zwei Quadratmetern Grundfläche, die stand im Zwischengeschoss der Metrostation I. P. Pavlova - unterirdisch bereits, doch noch vor den Abgängen zum Bahnsteig. Als Treffpunkt waren die Brautkleider ideal: Ein wettersicherer Platz außerhalb der gebührenpflichtigen Zone des U-Bahnbereiches, und das am wichtigsten Umsteigeknotenpunkt des Prager Stadtzentrums.

Vor einigen Wochen verschwanden die Brautkleider. Vielleicht ist das Brautkleidergeschäft, dessen eigentliche Adresse wohl nur die Wenigsten kennen, in Konkurs gegangen. Vielleicht gab es auch andere Gründe. Jedenfalls war sie von einem Tag auf den anderen plötzlich leer, die Brautkleidervitrine. Für kurze Zeit blieb sie das auch. Dann kam McDonald's - eine Filiale liegt nur wenige Meter darüber - auf die Idee, das Schaufenster zu mieten. Doch was macht McDonald's mit zwei Quadratmetern Ausstellungsfläche? So gut wie nichts. Die Vitrine ist eigentlich nach wie vor leer. Nur an der Hinterwand hängt ein McDonald's-Plakat. Und vorne, an der Innenseite der Glasscheibe, ist eine Art Zielscheibe aufgeklebt. Darin steht geschrieben: Meeting Point. Und darunter: Tady si dáme sraz. Zu Deutsch: Hier treffen wir uns.

Seltsam mutet das an. Steht es einer multinationalen Fastfood-Kette eigentlich zu, die lokalen Gebräuche so für sich zu vereinnahmen? Was würde die Konzernleitung dazu sagen, die ansonsten auf weltweite Einheitlichkeit setzt? Gönnen wir dem Burgergiganten die irgendwie ja doch ganz nette Idee? Oder überwiegt die nostalgische Sehnsucht nach den ewig gleichen und niemals verschmutzenden Hinterglasbrautkleidern?

Wie dem auch sei - die Zukunft könnte noch weitere Überraschungen für uns bereithalten. Denn die Metrostation I. P. Pavlova ist benannt nach Ivan Petrovic Pavlov. Genau! Jenem Pavlov, der gemeinsam mit seinem Pavlovschen Hund in die Geschichte der Psychologie eingegangen ist. Zur Erinnerung: Immer wenn eine Glocke läutet, wird der Hund gefüttert. Irgendwann aber läutet die Glocke, und der Hund wird nicht gefüttert. Trotzdem regt die Glocke seinen Speichelfluss an. Viele Prager Jugendliche nennen die Station I. P. Pavlova daher auch Slintác - sehr frei etwa mit Sabberstation zu übersetzen.

Hoffentlich bringt das den Chef der örtlichen McDonald's-Filiale oder den der gleich gegenüber liegenden Zweigstelle von Kentucky Fried Chicken nicht auf krause Gedanken. Die jungen Pragerinnen und Prager übrigens treffen sich einstweilen weiterhin bei den Brautkleidern.