Trmal-Villa: Wissenswertes über Architektur im gemütlichen Landhaus
Sie erinnert an ein malerisches Landhaus und in der Straße, wo sie steht, ist sie nicht zu übersehen. In leuchtenden Farben sind zahlreiche Verzierungen aus Holz mit Folkloremotiven auf der Stirnseite ausgeführt. Die Trmal-Villa in Prag-Strasnice wurde vor mehr als hundert Jahren als ein gemütliches Familienhaus erbaut. Vor kurzem wurde das Haus, in dem ein Museum der tschechischen Architektur entsteht, für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.
Vor ein Hundert Jahren war der heutige Prager Stadtteil Strasnice noch eine kleine selbständige Gemeinde. Um die Jahrhundertwende standen dort 85 Häuser. Zu einem Bauboom kam es in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. 1906 wurde in Strasnice die erste Eisenbahnstation errichtet. Zwei Jahre später wurde dort der Straßenbahnverkehr eingeführt. 1910 gab es in Strasnice schon 245 Häuser, in denen mehr als 4000 Einwohner lebten. 1922 wird die Gemeinde Bestandteil von Groß Prag. Auch nach der Eingemeindung behielt Strasnice aber den Charakter der Vorstadt.
Bis heute gibt es dort Villenviertel und Gebiete, in denen nur Einfamilienhäuser stehen. In der Vilova-Straße - also der Villenstraße - steht die einzigartige Villa Trmal, die in die Liste der tschechischen Kulturdenkmäler eingetragen wurde. Im Haus hat heutzutage die Künstleragentur Foibos ihren Sitz. Die Villa wurde 1903 nach dem Entwurf des berühmten tschechischen Architekten Jan Kotera erbaut. Es war eine der ersten Villen, die nach Koteras Entwurf erbaut wurden, sagte der stellvertretende Chef der Agentur Foibos, Oldrich Janota.
"Es sollte damals das Vorbild eines Familienhauses für mittlere Schichten sein. Die Architekten haben sich am Anfang des 20. Jahrhunderts darüber Gedanken gemacht, wie man bequem und in einem schönen Milieu wohnen kann. Strasnice war zu der Zeit nur ein Dorf bei Prag. Die Hausnummer der Villa war damals 91, es war also das 91. Haus in Strasnice, das inmitten von Feldern stand. Strasnice hatte noch keine direkte Verkehrsverbindung mit Prag. Frantisek Trmal, dessen Namen das Haus heute trägt, war Leiter der Handelsschule in Prag. Architekt Kotera entwarf für Trmal eine einzigartige Villa, die inzwischen ihr 100. Jubiläum gefeiert hat. Diese Villa hat uns als Agentur dazu inspiriert, sich für die Architektur des Familienwohnens zu interessieren."
Die Trmal-Villa wurde in einem neu gegründeten Gartenviertel erbaut. Gemeinsam mit dem Haus entwarf Kotera für Familie Trmal auch den Garten mit Ziersträuchern, sagt Oldrich Janota.
"Es ist ein schönes tschechisches Häuschen, keine Luxusvilla. Jan Kotera war ein junger Architekt. Kurz vorher hatte er sich am Bau des Peterka-Hauses auf dem Prager Wenzelsplatz beteiligt. Er ließ sich bei der Trmal-Villa durch Volkskunstelemente inspirieren. Das Haus ist ungewöhnlich farbig und sieht lustig aus. Die Tendenz, Ideen aus der Volkskunst zu übernehmen, war damals in der europäischen Architektur verbreitet. Es war keine ausschließlich tschechische Angelegenheit. Die bekannten tschechischen Architekten dieser Zeit - wie Josef Gocar oder Pavel Janak - haben in ihren Entwürfen immer an Menschen und ihren Komfort gedacht. Die Trmal-Villa erinnert zwar an die Volksarchitektur, aber man sieht, dass Jan Kotera beispielsweise auch englische Familienhäuser gekannt hat. Als ein hervorragender Student der Wiener Akademie der Bildenden Künste gewann er 1897 den Prix de Rome. Dieser Preis ermöglichte ihm ein Jahr lang in Italien zu studieren. Kotera reiste viel durch Europa und zeichnete dabei Architektur-Skizzen. Mit 27 Jahren ist er schon Professor für dekorative Architektur an der Prager Kunstgewerbeschule geworden. Man kann sagen, dass er wirklich ein Genie war."
Die Agentur Foibos ist dabei eine Serie von Büchern über berühmte Villen Tschechiens herauszugeben. Nach einem Buch über Prager Villen, folgten eine Publikation über Brno / Brünn und Olomouc / Olmütz. Ausstellungen, die die Villenarchitektur dokumentieren, kann man in der Trmal-Villa besichtigen. Wie Oldrich Janota erzählte, werden die Villa sowie der umliegende Garten auch für Musikveranstaltungen genutzt.
"Es wurden hier inzwischen mehrere Konzerte veranstaltet. Im August wird da eine Konzertreihe unter dem Titel ´Jazz-Sommernächte im Garten´ stattfinden. Es würde uns freuen, wenn hier auch traditionelle Volksfeste - wie beispielsweise die Weinlese von Alt-Strasnice oder das St. Martins-Fest und ähnliche Feierlichkeiten wieder belebt werden."
In der Trmal-Villa soll aber vor allem die Architektur präsentiert werden. Nach dem Willen der der Foibos-Mitarbeiter soll hier ein Zentrum für die Architektur des Familienwohnens entstehen. Die Tätigkeit des Zentrums wird von einem Expertenrat geleitet, in denen unter anderem Vertreter der Prager Hochschule für angewandte Kunst, der Architektengemeinde und der Brünner Fakultät für Architektur vertreten sind.
"Wir wollen hier auch Workshops organisieren. Wir wollen Menschen helfen, die beispielsweise in einem schönen alten Haus wohnen, aber sich keinen Rat wissen, was die Instandhaltung oder Renovierung des Hauses anbelangt. Denn leider wissen die Leute manchmal nicht, dass sie große Werte vernichten, wenn sie sich um ein interessantes Gebäude nicht entsprechend kümmern. Im Zentrum bieten wir auch verschiedenen Architektenateliers Raum, und zwar im Rahmen des Tags der offenen Tür. Alle, die sich für die Architektur des Familienwohnens interessieren, können mit dem Zentrum Kontakt aufnehmen. Sie können sich auch unsere Webseiten anschauen: www.slavnevily.cz."
Auch wenn die Trmal-Villa nicht gerade im Stadtzentrum liegt und nicht zu den von Reiseführern bevorzugten Touristenzielen gehört, haben bislang schon mehrere ausländische Besucher den Weg hierher gefunden. Die Touristen bewundern hier den Stil der englischen Moderne sowie die Elemente der böhmischen Volksarchitektur. Auch künftig rechnen die Mitarbeiter des Zentrums mit ausländischen Besuchern und Teilnehmern von Ausstellungen, sagt Oldrich Janota.
"Sobald wir die Buchreihe über berühmte Villen Tschechiens beenden, möchten wir eine größere Ausstellung über berühmte Villen Böhmens, Mährens und Schlesiens vorbereiten. Wir möchten dazu auch österreichische Architekten einladen. Jan Kotera studierte in Wien. Man konnte damals von einer mitteleuropäischen Architektur sprechen. Bei uns wirkten zur der Zeit deutsche, tschechische und andere Architekten. Die tschechische Architektur war sehr multikulturell."
Jan Kotera, der als Begründer der modernen tschechischen Architektur gilt, war unter anderem Mitglied des bekannten tschechischen Künstlervereins "Manes". Das Gebäude von "Manes", wo man heute eine Galerie und ein Restaurant findet, gehört zu den bedeutendsten Werken des europäischen Funktionalismus. Falls Sie wissen, wo in Prag "Manes" liegt, können Sie es uns schreiben, denn so lautet die heutige Frage zur Sendung, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2. Aus den richtigen Antworten wird ein Gewinner ausgelost.
Die richtige Antwort auf unsere Quizfrage aus der letzten Ausgabe des Spaziergangs im Juni lautet: Die Judith-Brücke wurde nach Königin Judith, der Gattin des böhmischen Königs Vladislav I. benannt. Ein Buch über Prag geht diesmal an Hans Verner Lollike aus Nakskov in Dänemark.