Tschechen – der unbekannte Tourismusfaktor

Dresden (Foto: Kay Körner, CC BY 2.5)

Die offenen Grenzen haben den tschechischen Tagestouristen geschaffen. Doch teilweise tut man sich in Sachsen schwer mit dem Phänomen.

Die Dresdner Innenstadt an einem Freitagnachmittag:

Dresden  (Foto: Kay Körner,  CC BY 2.5)
„Wir fahren zwei- bis dreimal im Jahr hierher. Für uns ist das Warenangebot wichtig. Einzig käme noch Prag in Frage, aber kilometermäßig ist es dasselbe wie nach Deutschland. Deswegen lieber hierher nach Dresden“, sagt eine junge Mutter aus dem nordböhmischen Teplice / Teplitz.

Tschechische Tagestouristen gehören mittlerweile zum Stadtbild in Dresden. Vor allem an Samstagen hört man die Sprache des Nachbarlandes häufig im Zentrum der Elbmetropole. Wie das Phänomen entstand, hat damals auch Susanne Arens beobachtet, sie leitet das Unternehmen "Internationales Marketing Dresden":

„Es gibt seit 2008 diesen Tagestourismus von Tschechien nach Deutschland. Die Grenzkontrollen waren weggefallen, und der Wechselkurs war für die Tschechen sehr günstig. Die Tschechen kamen dann wirklich sehr plötzlich, und es waren sehr viele. In Dresden hatte eigentlich niemand damit gerechnet. Ich erinnere mich genau an Weihnachten 2008, als bei Karstadt in Dresden und auch auf der Prager Straße unglaublich viele Tschechen waren und die Dresdner nicht wussten, was da nun los ist.“

Beliebter Kunde aus Tschechien

Shoppen in Dresden  (Foto: Bosco Chang,  Pixabay / CC0)
Shoppen – das ist das Stichwort. Obwohl das Lohnniveau in Tschechien niedriger liegt, sind manche Produkte deutlich teurer – ein Folge wohl des relativ kleinen Binnenmarktes. Da lohnt der Einkauf im Nachbarland, etwa bei Kleidung, Elektronik oder Drogerieartikeln.

„Die tschechischen Kunden sind auf jeden Fall sehr beliebt bei Dresdner Händlern, weil sie hier häufig Großeinkäufe tätigen. Ein tschechischer Kunde ist also viel mehr wert als ein einzelner deutscher Kunde. Es gibt keine offiziellen Statistiken, aber wir wissen schon, dass es in der Innenstadt ein deutlicher Prozentsatz des Umsatzes ist, der mit Tschechen gemacht wird“, so Susanne Arens.

Die Besucher aus dem Nachbarland sind also im nahen Dresden zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Das bestätigt auch Bettina Bunge, Geschäftsführerin der Dresden Marketing GmbH:

Foto: congerdesign,  Pixabay / CC0
„Tschechen bilden den größten Tagesgästemarkt aus dem Ausland – mit vielen Hunderttausenden, die hier im Jahr zu uns kommen. Und er entwickelt sich mittlerweile auch immer mehr zum Übernachtungsmarkt. Das heißt: Tschechen kommen trotz der Nähe hierher, erleben das wunderschöne Dresden als Kunst-, Kultur- oder Shoppingstadt und bleiben dann über Nacht. Wir haben in den ersten sechs Monaten in diesem Jahr 13.000 Übernachtungen von Tschechen verzeichnet. Das ist ein Plus von 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.“

Ganz vorn bei den Übernachtungen liegen jedoch US-Amerikaner (35.500) vor Schweizern (31.000) und Österreichern (29.000).

Steigende Übernachtungszahlen

Lilienstein in der Sächsischen Schweiz  (Foto: Klára Stejskalová)
Aber auch sachsenweit ist der neue Trend bei tschechischen Gästen zu beobachten. Hans-Jürgen Goller ist Geschäftsführer der Tourismus-Marketing-Gesellschaft des Freistaates:

„Das ist einmal in den Städten Dresden und Leipzig. Zudem betrifft es verstärkt – und seit Jahren beobachten wir das – die Sächsische Schweiz sowie das Erzgebirge und Vogtland. Das sind die Grenzgebiete, in denen wir interessante Aktiv-Urlaubsangebote haben – Mountainbiken, Wanderwege – oder auch Wellness-Angebote. Obwohl in Tschechien starke Kurorte zu finden sind, kommen einige ganz gerne herüber nach Deutschland.“

Laut Hans-Jürgen Goller gehört Tschechien zu den Top-Märkten für das sächsische Tourismus-Marketing. Regelmäßig sei man bei der Messe Holiday World in Prag, und das mit einem relativ großen Stand im Vergleich zu anderen Bundesländern oder auch Staaten. Auf der anderen Seite sagt er:

Hans-Jürgen Goller  (Foto: Archiv ITB Berlin)
„Die Entwicklung aus Tschechien ist in den Zuwächsen nicht ganz so dramatisch wie aus Polen, wo sie noch deutlich stärker ist. Das hat einen ganz normalen Grund: Die einwohnerstarken Gebiete in Polen wie die Großräume Warschau, Łódź und Krakau liegen außerhalb einer Tagesreise. In Tschechien ist wiederum der Großraum Prag sehr bedeutsam, aber die Leute müssen nicht unbedingt übernachten. Trotzdem nimmt auch die Zahl der Übernachtungen seit Jahren zu, in der ersten Hälfte dieses Jahr gegenüber dem entsprechenden Zeitraum 2016 gab es ein Plus von 26 Prozent.“

Trotz der Nähe besteht aber eine grundsätzliche Hürde: die Sprache. Susanne Arens vom internationalen Marketing Dresdens.

„Deutsche haben oft die Vorstellung, dass viele Tschechen Deutsch könnten. Das ist ein Irrtum, auch wenn das viele denken. Die Schwelle wird häufig unterschätzt.“

Wenn der Kellner in Prag etwas Deutsch kann, bedeutet dies nicht, dass dies auch auf den tschechischen Besucher in Dresden und Sachsen zutrifft. Diese Einsicht wächst im Tourismusmarketing anscheinend. Das Land Sachsen hat etwa seine Mountainbike-Broschüre ins Tschechische übersetzen lassen. Aber insgesamt ergibt sich laut Susanne Arens ein geteiltes Bild.

Webseite drazdany.info
„Die Museen sind zum Teil ganz gut. Die Staatlichen Kunstsammlungen haben zum Beispiel schöne tschechische Audio-Guides. Aber im Einzelhandel wundert man sich manchmal. Da gibt es zwar vielleicht tschechische Beschilderungen an der Rolltreppe, tschechisches Verkaufspersonal ist jedoch meist noch die Ausnahme.“

Unterschätzte Sprachhürde

Deswegen versucht Susanne Arens mit ihrem Team dezidiert die Besucher aus dem Nachbarland anzusprechen. Das geschieht unter anderem über die tschechischsprachige Webseite drazdany.info. Auch bestand mehrere Jahre lang eine Kooperation mit einer der meistgelesenen tschechischen Tageszeitungen, der Mladá fronta dnes. Dort erschienen mehrmals im Jahr eigene Sachsenbeilagen mit sowohl redaktionellen Beiträgen, als auch Anzeigen deutscher Unternehmen. Mittlerweile haben sich jedoch die Facebook-Seiten zum Hauptmedium entwickelt.

Dresdner Striezelmarkt  (Foto: Andreas Metallerreni,  Pixabay / CC0)
„Wir bauen unsere Kommunikation immer so auf, dass die Leute das an die Hand bekommen, was sie brauchen, wenn sie alleine auf sich gestellt sind. Es gibt zwar auch Busreisetourismus aus Tschechien oder Prag. Die meisten kommen unseren Beobachtungen nach individuell – ganz viele mit dem Auto, aber auch mit dem Zug natürlich. Doch die Autos sind nicht zu übersehen und haben ganz häufig ein Prager Kennzeichen“, so Arens.

Beliebt ist bei den tschechischen Besuchern ganz besonders der vorweihnachtliche Dresdner Striezelmarkt. Aber auch weitere Veranstaltungen würden ziehen, betont Susanne Ahrens, vor allem wenn dort nicht viel geredet werde – also Musik, Feuerwerk und zum Beispiel das Stadtfest.

„Dann schreiben wir wirklich all das dazu, was man zum Stadtfest wissen muss. Angefangen damit, dass es kostenlos ist und auch wo man parken kann. Dann wo alles etwas stattfindet und was konkret passieren wird. Diese Dinge findet man von tschechischer Seite nicht heraus, wenn man Dresden nicht sowieso wie seine Westentasche kennt und einem die Sprachkenntnisse fehlen. Im Internet kann man sich auch ganz leicht verlieren und auf Seiten landen, die gar nicht offiziell oder aktuell sind.“

Und die Händler der Stadt finden auf den Webseiten des Internationalen Marketings Dresden ebenfalls einige Anregungen. Die betreffen beispielsweise einen möglichen Lieferservice ins Nachbarland oder die Einstellung zweisprachiger Mitarbeiter.

Autor: Till Janzer
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