Tschechen erkämpfen viermal Silber bei Leichtathletik-EM in Amsterdam

Vítězslav Veselý (Foto: ČTK)

In knapp einem Monat, am 5. August, beginnen in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele. Weltweit bringen sich die Teilnehmer der Spiele für dieses Großereignis in Form. Nicht wenige Sportler versuchen zudem, sich mit der Erfüllung der Olympianorm noch ein Ticket nach Rio zu ergattern. Daher wird auch genauer hingeschaut, wenn sich Olympiateilnehmer und -kandidaten derzeit im Wettkampf der Öffentlichkeit präsentieren. Wie beispielsweise die Leichtathleten, die in den vergangenen fünf Tagen in Amsterdam ihre Europameisterschaft austrugen.

Adam Sebastian Helcelet  (Foto: ČTK)
Von der Leichtathletik-Europameisterschaft in Amsterdam brachten die tschechischen Athleten vier Medaillen mit nach Hause. Und alle vier glänzen silbern. Das Überraschendste dabei aber ist: Das komplette Quartett haben die Männer gewonnen.

Seinen ersten großen internationalen Erfolg errang Zehnkämpfer Adam Sebastian Helcelet. Als Nachfolger der ehemaligen Weltrekordhalter, Olympiasieger und Weltmeister Tomáš Dvořák und Roman Šebrle hat es der 24-Jährige nicht leicht, in die großen Fußstapfen der einstigen Ausnahmekönner zu treten. Mehrfach hatte er bisher eine Medaille knapp verpasst. Und auch diesmal, so schien es, würde er nur im geschlagenen Feld landen. Nach dem ersten Wettkampftag, an dem fünf Disziplinen absolviert wurden, war Helcelet nämlich nur Elfter des Klassements. Umso größer war seine Freude, als er sich am zweiten Tag noch um neun Ränge verbessern konnte:

Adam Sebastian Helcelet  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Das ist ein unglaubliches Gefühl. Ich habe zwar gehofft, dass ich nach den vierten und fünften Plätzen, die ich dauernd belegt habe, endlich auch mal eine Medaille gewinne. Doch nach dem ersten Tag habe ich das gewiss nicht erwartet. Eine alte Weisheit besagt jedoch: Am ersten Tag kämpfen die Athleten und am zweiten Tag die Zehnkämpfer. Ich habe nicht aufgegeben, sondern alles auf eine Karte gesetzt. Es war ein sehr schwerer Zehnkampf, viele Athleten haben ihn nicht durchgestanden. Einer nach dem anderen hat aufgegeben. Es war ein Abnutzungskampf, bei dem es darum ging, bis zum Ende durchzuhalten.“

Und Helcelet hat nicht nur durchgehalten, sondern sich auch dank seiner persönlichen Bestleistungen im Diskus- und im Speerwerfen noch bis auf einen Medaillenrang nach vorne geschoben. Er brachte es auf 8157 Punkte und musste sich am Ende nur dem neuen Europameister Thomas van der Plaetsen aus Belgien geschlagen geben. Der zweite Platz sei insbesondere der Lohn für seine Nervenstärke, sagte Helcelet:

A. S. Helcelet: „Eine alte Weisheit besagt: Am ersten Tag kämpfen die Athleten und am zweiten Tag die Zehnkämpfer. Ich habe nicht aufgegeben, sondern alles auf eine Karte gesetzt. Es war ein sehr schwerer Zehnkampf, viele Athleten haben ihn nicht durchgestanden.“

„Das größte Problem war der Wind. Und was die Psyche anbelangt: Viele Athleten sind sehr angespannt in den Wettkampf gegangen, denn sie wollten in Amsterdam gern auch die Olympianorm erfüllen. Schließlich muss ich sagen: Ich habe noch nie so viele enttäuschte Zehnkämpfer gesehen.“

Helcelet hingegen hat das Ticket nach Rio de Janeiro gelöst. Doch der Athlet des PSK Olymp Prag weiß auch, dass er in einem Monat beim olympischen Zehnkampf noch eine Schippe drauflegen muss:

„Mehrere Zehnkämpfer haben die Europameisterschaft ausgelassen, um sich ganz auf Olympia zu konzentrieren. Dann wollen sie in Top-Form sein. Ich muss mich dagegen erst auskurieren, denn ich spüre immer noch etwas Schmerzen in meiner Achillessehne. Ich muss weiter hart trainieren und mich in Form bringen. Ich weiß, dass ich das Zeug habe, um in Rio 8400 Punkte zu erzielen.“

Vítězslav Veselý  (Foto: ČTK)
Im Gegensatz zu Helcelet schon vieles erreicht hat Speerwerfer Vítězslav Veselý. Der 33-Jährige gehört seit Jahren zur Weltspitze und hat dies auch schon mit mehreren vorderen Plätzen unter Beweis gestellt. 2012 wurde Veselý Europameister, ein Jahr später Weltmeister und vor zwei Jahren in Zürich gewann er EM-Silber. Danach aber warfen Verletzungen den Schützling von Dreifach-Olympiasieger Jan Železný ein ganzes Stück zurück. Es schien, dass nun andere, jüngere Speerwerfer den Ton angeben. In Amsterdam aber meldete sich Veselý zurück. Mit einer Weite von 83,59 Metern wurde er Zweiter.

Zigismunds Sirmais  (Foto: ČTK)
„Dieses Ergebnis nehme ich mit Kusshand. Ich bin sehr froh darüber. In dieser Saison habe ich mich bislang nur gequält, doch jetzt, wo es um etwas geht, da klappt bei mir alles schon etwas besser. Die Medaille ist für mich ein Motivationsschub für die weiteren Vorbereitungen auf die Spiele in Rio und alle weiteren Wettkämpfe.“

In Amsterdam besser als Veselý war nur der Lette Zigismunds Sirmais, der den Speer drei Meter weiter hinausschleuderte. Nur von einem einzigen Athleten bezwungen wurde auch 400-Meter-Läufer Pavel Maslák. Wie Veselý wurde auch Maslák vor vier Jahren Europameister, ansonsten hat der 25-Jährige seine bisher größten Erfolge in der Halle errungen. In Amsterdam aber war Maslák drauf und dran, seinen EM-Sieg von Helsinki zu wiederholen. Dazu wählte er eine für ihn unübliche Taktik: Er ging das Rennen nicht so schnell an, wie man es von ihm gewohnt ist, sondern er attackierte seine Gegner erst auf der Zielgeraden. Mit einem exzellenten Schlussspurt gelang es ihm dabei, sich vom sechsten Platz noch auf den zweiten Rang nach vorne zu schieben. Zu seiner Taktik sagte er:

Pavel Maslák  (links). Foto: ČTK
„Ich bin das Rennen verhaltener angegangen, weil ich auf der Außenbahn acht lief und nicht wusste, woran ich bin. Auf der ersten Geraden gab es ein wenig Gegenwind, und ich wollte nicht, dass ich wieder so in Schwierigkeiten komme wie beim Josef-Odložil-Memorial in Prag. Dort war ich anfangs sehr schnell unterwegs, doch dann hatte ich Mühe, überhaupt ins Ziel zu gelangen. Diesmal habe ich die Kräfte besser eingeteilt und gehofft, dass meine Rechnung aufgeht.“



Pavel Maslák: „Wenn ich nach Rio fliege, dann mit der Gewissheit, dass ich schon etwas in den Händen halte. Das macht es für mich einfacher, als wenn ich nur EM-Vierter geworden wäre. Dann würde ich mir eintrichtern: Ich muss wenigstens dort etwas gewinnen, damit ich mit dieser Saison zufrieden sein kann.“

Und wie sie aufging: Wäre die Strecke nur 20 bis 30 Meter länger gewesen, dann hätte er bestimmt auch den einzig noch vor ihm gebliebenen Briten Martyn Rooney überspurtet. Nach Aussage von Maslák stand ihm auch dabei die Außenbahn im Weg, denn dadurch habe er eingangs der Zielgeraden erst zu spät gesehen, wo sich seine Kontrahenten befinden. Nichtsdestotrotz ist Maslák auch mit dem zweiten Platz hochzufrieden, erst recht im Hinblick auf die Spiele in Rio:

„Wenn ich dort hinfliege, dann mit der Gewissheit, dass ich schon etwas in den Händen halte. Das macht es für mich einfacher, als wenn ich nur Vierter der Europameisterschaft geworden wäre. Dann würde ich mir eintrichtern: Ich muss wenigstens dort etwas gewinnen, damit ich mit dieser Saison zufrieden sein kann. So ist es nun doch leichter für mich.“

Ebenfalls mit einem Erfolgserlebnis im Gepäck nach Brasilien reisen wird Stabhochspringer Jan Kudlička. Mit übersprungenen 5,60 Metern schnappte er sich Silber und verpasste zugleich Gold, denn der Pole Robert Sobera schaffte auch nicht mehr. Weil Sobera aber weniger Fehlversuche als Kudlička hatte, wurde er Europameister. Beide Athleten profitierten indes vom Missgeschick des haushohen Favoriten Renaud Lavillenie aus Frankreich. Der Weltrekordhalter begann seinen Wettkampf erst, als die anderen schon aufgehört hatten. Doch diesmal hatte sich der Franzose verzockt: Er scheiterte dreimal an seiner Einstiegshöhe von 5,75 Metern und hatte so am Ende nur eine Null als Ergebnis zu Buche stehen. Kudlička aber stimmt der zweite Platz in Amsterdam optimistisch für den olympischen Wettkampf in Rio:

Jan Kudlička  (links). Foto: ČTK
„Das Gute an unserer Disziplin besteht darin, dass die Konkurrenz auch bei den Spielen nicht viel größer sein wird. In Rio werden höchstens noch zwei, drei weitere Athleten mehr dabei sein. Wir werden sehen, wer von uns am besten vorbereitet sein wird. In der diesjährigen Weltbestenliste liege ich auf Platz vier. Deshalb sage ich mir: Warum sollte ich in Rio nicht meinen Erfolg von Amsterdam wiederholen können?“

Ganz andere Sorgen hat derweil die tschechische Top-Leichtathletin der letzten Jahre, die Speerwerferin Barbora Špotáková. In Rio würde die 35-Jährige gern den Hattrick perfekt machen und nach 2008 in Peking und 2012 in London erneut Olympiasiegerin werden. Doch nach ihrer Babypause, die sie im Jahr 2013 einlegte, hat die Athletin aus Jablonec nad Nisou / Gablonz ihre einstige Souveränität verloren. Vor zwei Jahren wurde sie in Zürich zwar erstmals Europameisterin, doch schon ein Jahr später schaffte Špotáková bei der WM in Peking nicht einmal den Sprung unter die besten Acht des Finalwettkampfes. Mit der mäßigen Weite von 60,08 Metern wurde sie nur Neunte. Und auch in Amsterdam war sie mit ihrer Bestweite von 62,66 Metern nicht zufrieden, denn diese reichte am Ende nur für Platz fünf:

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
„Während des gesamten Finalwettkampfes habe ich sehr schlecht geworfen. Ich weiß nicht, woran es gelegen hat. Vermutlich aber machte sich bemerkbar, dass ich in diesem Jahr erst wenige Wettkämpfe absolviert habe. Wunder geschehen halt nicht, wenn man drei Monate fast nicht laufen kann. Dann kann man wohl auch keine großen Leistungen erwarten.“

Die längere Trainingspause, die Špotáková zu Saisonbeginn einlegen musste, hat ein Fußbruch verursacht, den sich die Titelverteidigerin im März dieses Jahres zugezogen hat. Deshalb war die Seriensiegerin der letzten Jahre vor laufenden TV-Kameras auch richtig sauer, als man ihr vorhielt, eine „fest eingeplante Medaille“ nicht geholt zu haben. In einem Monat aber will sie schon wieder angreifen und es in Rio einfach besser machen. Sie weiß jedoch auch, dass die Konkurrenz dort eher noch stärker sein wird, als sie es in Amsterdam war:

„Meine Kontrahentinnen haben schon beim Einwerfen gezeigt, dass sie gut drauf sind. Es war zu sehen, dass sie heute weit werfen werden. Für mich aber war das einfach ein schlechter Tag.“

Autor: Lothar Martin
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