Tschechen wählen den Protest

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Antisystemparteien siegen in den Wahlen zum Abgeordnetenhaus, etablierte Parteien verlieren stark.

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Nach der Auszählung von fast 80 Prozent der Wahlkreise liegt die Protestpartei Ano des umstrittenen Milliardärs Andrej Babiš bei knapp 31 Prozent der Stimmen und damit weit vor allen anderen Mitbewerbern. Keine der weiteren Parteien scheint über zwölf Prozent der Stimmen zu kommen. Falls sich das Ergebnis bestätigen sollte, würde es Babiš viele Möglichkeiten für eine Koalition eröffnen. Dazu der Politologe Michal Klíma im Tschechischen Fernsehen:

„Die Lage könnte für die Zusammenstellung einer Regierung gar nicht so kompliziert sein. Es sieht nach einem klaren Sieger mit rund 20 Prozent Vorsprung vor den nächsten Bewerbern aus. Dieser erhält nach der D‘Hondtschen Methode, die in Tschechien angewendet wird, überdurchschnittlich viele Mandate. Bei 30 Prozent der Stimmen dürfte der Sieger auf 40 Prozent der Mandate kommen. Das hieße, die Partei Ano könnte rein rechnerisch aus vier bis fünf Parteien für eine mögliche Zweierkoalition auswählen. Und alle könnten versuchen, sich dafür zu bewerben.“

Tomio Okamura  (Foto: ČTK)
Auffällig ist der starke Protestcharakter der Wahl. Rechnet man die rechtsradikale Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) des Tschecho-Japaners Tomio Okamura sowie die Piraten hinzu, hätten mehr als 50 Prozent der Wähler, die zu den Urnen gekommen sind, für Antisystemparteien gestimmt.

Große Verlierer sind die etablierten Parteien. Besonders stark eingebüßt haben den bisherigen Auszählungen nach die Sozialdemokraten von Premier Bohuslav Sobotka. Der Regierungschef war aber nicht mehr als Spitzenkandidat angetreten, sondern Außenminister Lubomír Zaorálek. 2013 waren die Sozialdemokraten mit 20,5 Prozent stärkste Kraft geworden, nun zeichnet sich ein Ergebnis um höchstens sieben oder acht Prozent ab. Jan Hamáček ist stellvertretender Parteivorsitzender der Sozialdemokraten und Chef des Abgeordnetenhauses:

Andrej Babiš  (Foto: ČTK)
„Das ist kein angenehmer Anblick. Und für uns ist es auch eine Überraschung, denn wir haben ein besseres Ergebnis erwartet. Als demokratische Partei akzeptieren wir natürlich den Willen der Wähler. Wir warten aber erst das Endergebnis ab, dann wird sich die Führung der Sozialdemokraten treffen und über das weitere Vorgehen beraten. Für uns bedeutet ein Ergebnis unter zehn Prozent einen Misserfolg. Wir müssen darauf dann reagieren und auch Konsequenzen ziehen.“

Anstatt Sobotka dürfte der neue tschechische Premier also Andrej Babiš heißen. Denn Staatspräsident Miloš Zeman hat bereits signalisiert, den Regierungsauftrag an die stärkste Partei zu vergeben. Doch gegen den 63-jährigen Babiš ermittelt derzeit die Polizei wegen möglichem Subventionsbetrug mit EU-Geldern. Und auch ansonsten ist er ein Politiker, der polarisiert. Das Tschechische Fernsehen hatte deswegen vor der Wahl eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Die hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar TNS im September und Oktober durchgeführt. Die Frage war, was die Wähler von einer Ernennung von Andrej Babiš zum neuen Premier halten würden. Pavel Ranocha von Kantar TNS:

Pavel Ranocha  (Foto: ČT24)
„Aus der Umfrage geht Babiš als sehr kontroverse Persönlichkeit hervor. Wir haben dies mit der Bewertung der Spitzenkandidaten von weiteren sechs oder sieben Parteien verglichen. Bei Babiš war die Meinung gespalten – ungefähr zur Hälfte für und gegen seine Ernennung. Das war eine stärkere Polarisierung als bei den anderen Spitzenkandidaten.“

Babiš hatte einen Wahlkampf gegen die etablierten Parteien geführt, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und gegen eine vertiefte Zusammenarbeit innerhalb der EU.

Im Übrigen waren auch noch eine Woche vor dem Urnengang relativ viele Wähler unentschlossen gewesen. Es waren den Umfragen nach 42 Prozent.

Die Wahlbeteiligung dürfte ersten Schätzungen nach in etwa wie vor vier Jahren gewesen sein. Damals waren 59,5 Prozent der Wähler zu den Urnen gekommen.