Tschechien: Brutkasten für EU-Kommissare
Nun folgt in den Sendungen von Radio Prag eine neue Ausgabe von Eurodomino. Dagmar Keberlova hat versucht, den häufigen Abwechslungen auf dem hohen Posten des tschechischen Kommissars der Europäischen Kommission nachzugehen.
Tschechien ist seit drei Monaten EU-Mitglied. Wie jedes EU-Land hat es daher viele Landsleute, die in Brüssel und an weiteren Standorten der EU-Organe arbeiten. Doch Kommissare hat es bestimmt am meisten. Wieso? Da jetzt die Regel gilt: ein Land ein Kommissar, müssen sich alle Interessenten auf einem Stuhl abwechseln. Gut, nun mal ernst: Innerhalb von etwa sechs Monaten wechseln sich drei tschechische Namen auf diesem einen Kommissarstuhl in Brüssel ab. Diesmal ist es die Regierungskrise, die sich bis nach Brüssel auswirkt. Was früher in einer solchen Situation bloß eine Wahl des neuen tschechischen Kabinetts bedeutete, das beeinflusst nun das höchste europäische Gremium, die Europäische Kommission. Mit der neuen Regierung kommt ein neuer Kommissar. Was denkt über diese häufigen Abwechslungen der Politologe Rudolf Kucera?
"Ich glaube, dass dies bereits eine längere Geschichte ist, eine Geschichte von unkompetenten Entscheidungen, die uns in ein seltsames Licht stellt. Erstens die unglaublich improvisierte und schlechte Ernennung des ehemaligen Umweltministers Milos Kuzvart. Dann seine Ersetzung durch Pavel Telicka, der kein Politiker war, dafür aber ein fähiger Beamter. Heute wiederum schickt die tschechische Regierung den ehemaligen Premier Vladimir Spidla nach Brüssel, dem wiederum gewisse fachliche Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Funktion fehlen. Also es ist eine Reihe von merkwürdigen Entscheidungen über eine so wichtige Funktion, wie es die des europäischen Kommissars ist."
Der Stuhl des derzeitigen EU-Kommissars Tschechiens, Pavel Telicka, begann bald nach den Rochaden der tschechischen Politiker zu zittern, als ob es sich dabei um einen Ministerposten des Kabinetts handeln würde. Kein Wunder auch, denn die Christdemokraten, eine der drei Koalitionsparteien, haben von Anfang an Telickas Ernennung kritisiert. Der stellvertretende Vorsitzende der Christdemokraten, Jan Kasal, sagte hierzu:
"Wir haben von Anfang an gesagt, dass es besser wäre, wenn Tschechien eine Person mit politischer Erfahrung repräsentieren würde. Jemand, der Wahlen hinter sich hat, der sich einem Wahlgegner stellen musste, und nicht ein Beamter."Der bisherige Premier Vladimir Spidla also geht als nächster nach Brüssel. Die Sozialdemokraten merken dabei an, dass Spidlas mögliche Nominierung keinesfalls so gemeint ist, dass sie diesen jetzt loswerden wollen. Spätestens bis 23. August muss der neue EU-Kommissionsvorsitzende die neue Kommission inklusive Aufteilung der Ressorts vorlegen. Tschechien muss sich daher mit einer fixen Zusage beeilen, um ein einflussreiches Ressort zu erlangen, so Jan Kasal weiter:
"Ich glaube, je eher die Tschechische Republik den bestehenden Kommissar Telicka bestätigt oder ersetzt, desto besser für das Land. Der künftige tschechische Kommissar wird so größere Chancen bei der Wahl seines Tätigkeitsbereiches haben."
Improvisiert und schlecht, so bewertet der Politologe Kucera das Agieren der tschechischen Politiker. Liegt das Problem an der Art der Wahl oder an den Namen?
"An beiden Dingen. Die Europäische Kommission ist so etwas wie eine europäische Regierung. Ihre Rolle ist für die europäische Integration außerordentlich wichtig. Die Regierungen der Mitgliedstaaten sollten daher vor allem sehr kompetente politische Persönlichkeiten hinschicken. Es müssen keine Fachexperten sein, sondern es müssen bedeutende Politiker sein. Das - glaube ich - verstehen sowohl die frühere als auch die neue Regierung nicht und wählen Leute unter Berücksichtigung ihrer innenpolitischen Komplikationen aus. Sie lösen mit der Wahl eines neuen Kommissars ihre innenpolitischen Probleme. Das sind zwei Niveaus, die nicht auf solche Art verknüpft werden sollten. Der europäische Kommissar macht europäische Politik, er macht keine nationale Politik des jeweiligen Landes, das ihn entsandt hat. Also das beweist nur, wie weit manche tschechische Politiker davon entfernt sind, zu begreifen, wie die Europäische Union ist oder was sie sein sollte."
Obwohl die stärkste Fraktion im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei, am liebsten einen tschechischen Kommissar aus den Parteien dieser Fraktion sehen würde, entsendet das neue Kabinett einen Sozialisten. Was erwartet Politologe Kucera von Vladimir Spidla als EU-Kommissar?
"Ich erwarte mir nicht viel davon. Meiner Meinung nach wird er kein guter Kommissar werden. Ich habe ihn als tschechischen Premier geschätzt, seine zähe Verhandlungsform bei der Durchsetzung von verschiedenen Reformen. Die Rolle des europäischen Kommissars ist allerdings eine ganz andere. Ich möchte hier gerne ein kleines Beispiel nennen, an dem ich erklären könnte, was ich meine. Als der Premier Spidla von seinen Vorbildern sprach, nannte er das schwedische Sozialsystem. Das sei etwas, was er bei uns in der Tschechischen Republik gern sehen würde, ein Beispiel, dem er gern nachfolgen würde. Dies hat er mehrmals in der Öffentlichkeit wiederholt. Das beweist nur die Tatsache, dass er über das schwedische Sozialsystem überhaupt nichts gewusst hat. Das schwedische System ist in ein anderes Land nicht übertragbar und schon gar nicht in die Tschechische Republik. Dies zeigt für mich, dass Spidla die Reform des Sozialsystems, die heute ein ernsthaftes europäisches Problem ist, nicht allzu gut versteht. Jetzt geht er nach Brüssel und interessiert sich dort für den Posten eines Kommissars, der sich diesen Fragen widmen sollte. Das ist ein großer Fehler und ein verantwortungsloses Vorgehen, das einen Mangel an Selbstkritik beweist."Tschechien erreicht mit dem zweiten Wechsel zum dritten Kommissar vielleicht einen neuen Rekord in der Europäischen Union: in sechs Monaten drei designierte Kommissare zu haben. Nicht umsonst haben manche in Brüssel scherzend gesagt: "Mit den Polen kommen Schwierigkeiten herein und mit euch Tschechen immer etwas Besonderes." Aber ernst: auch wenn sich jetzt die Regierungskrise wieder legen und die altneue Koalition bis zu den nächsten regulären Wahlen halten sollte, ist die Erwartung, dass dabei in zwei Jahren die Opposition der Bürgerdemokraten siegen wird, ziemlich hoch. Heißt es dann, dass in zwei Jahren Europa wieder ein neues tschechisches Gesicht bekommen wird?
"Ohne Zweifel. Da bin ich mir ganz sicher. Die Bürgerdemokraten werden logischerweise ihren eigenen Kommissar haben wollen, wenn sie eine Regierung aufstellen, in der sie eine Mehrheit haben - und dies kann man voraussetzen. Der Großteil der europäischen Kommissare ist nicht aus sozialistischen Regierungen. Also Tschechien hätte dort jemand hinschicken können, der besser der größten Fraktion im Europäischen Parlament, der Fraktion der Europäischen Volkspartei - Europäischen Demokraten entsprechen würde. Und nicht einen überzeugten Sozialisten, der noch dazu ein naiver Sozialist ist. Die Änderung wird eine notwendige Änderung sein, aber bereits die vierte."
Langweilig werden es die anderen EU-24 mit uns Tschechen jedenfalls nicht haben. Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche und freue mich auf Wiederhören bei der nächsten Ausgabe.
Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:
www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union
www.euroskop.cz
www.evropska-unie.cz/eng/
www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online
www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt