Tschechien dokumentiert russische Kriegsverbrechen in der Ukraine
Folter, Vergewaltigung und die gezielte Tötung von Zivilisten. Die Bilder aus der ukrainischen Stadt Butscha lösten in den vergangenen Wochen Entsetzen aus. Nach dem Rückzug der russischen Truppen wurde dort sichtbar, was die Soldaten augenscheinlich begangen haben. Auch an anderen Orten in der Ukraine kam es zu Kriegsverbrechen. Tschechien will nun seinen Beitrag dazu leisten, die Vergehen der russischen Besatzer zu dokumentieren.
Um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine zu dokumentieren, werden in Tschechien vor allem Zeugenaussagen Geflüchteter gesammelt. Anfang April forderte die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, bei einem Besuch Tschechiens genau dazu auf. Innenminister Vít Rakušan (Stan) sagte zu dem Thema:
„Bei den Gesprächen in den Assistenzzentren weisen wir die ukrainischen Ankömmlinge darauf hin, dass sie entsprechende Aussagen tätigen können. Es handelt sich jedoch nicht um Verhöre.“
Am vergangenen Dienstag nun wurden die Bemühungen in dieser Hinsicht weiter intensiviert. Die Oberstaatsanwaltschaft in Prag veröffentlichte eine Pressemitteilung zu dem Thema. Aus dieser geht hervor, dass die Polizeizentrale zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (NCOZ) damit begonnen hat, die Kriegsverbrechen zu untersuchen. Die Ermittlungen führt die tschechische Polizei durch. Lenka Bradáčová ist die Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft. Im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen sagte sie, dass es nicht nur um die Sicherung verbaler Zeugenaussagen gehe:
„Wir möchten gern elektronische Beweise von den Geflüchteten bekommen, also etwa audiovisuelle Medien. Es können aber auch Dateien sein, die den Flüchtlingen womöglich aus der Ukraine zugespielt werden.“
Laut Angabe der Oberstaatsanwaltschaft gibt es in der Ukraine zahlreiche Anzeichen für russische Kriegsverbrechen. Wie es in der Pressemitteilung weiter heißt, gehe man davon aus, dass die Haager Landkriegsordnung sowie die Genfer Konvention verletzt werden. Letztere besagt etwa, dass Zivilisten kein Kriegsziel sein dürfen. Sollten einer Person nun entsprechende Kriegsverbrechen nachgewiesen werden können, hätte das für sie in Tschechien weitreichende Folgen.
„Gegen diese Personen könnten Haftbefehle ausgestellt werden. Das heißt, dass sie mindestens nicht mehr nach Tschechien reisen können“, so Oberstaatsanwältin Bradáčová.
Einem entsprechenden Kriegsverbrecher würde so bis zu 20 Jahre Gefängnis oder gar eine lebenslange Freiheitsstrafe drohen, ergänzte die Juristin.
Aufgrund des Völkerstrafrechts beziehen sich die Ermittlungen der Institutionen nicht nur auf tschechische Staatsbürger. Auch Jiří Mazánek äußerte sich zu dem Thema:
„Es ist ganz egal, wo auf der Welt eine solche Straftat begangen wird“, sagte der Leiter der Polizeizentrale zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. „Auch die Staatsangehörigkeit des Täters tut nichts zur Sache. Es handelt sich um ein universelles Delikt, und das kann auch in Tschechien strafrechtlich verfolgt werden“, hieß es weiter.
Auf Grundlage dieses sogenannten Weltrechtsprinzips könnte jeder Staat der Welt ähnlich wie Tschechien gegen russische Kriegsverbrecher vorgehen. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass die entsprechenden Vergehen in der nationalen Rechtsprechung als Straftaten gelten.
Laut der Oberstaatsanwaltschaft hat Tschechien sein Vorgehen eng mit der europäischen Justizbehörde Eurojust koordiniert. Zwischen verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten können so leichter Informationen und Beweise ausgetauscht werden. Dadurch kann etwa verhindert werden, dass ein Opfer seine Aussage doppelt tätigen muss.
Bis die ersten russischen Kriegsverbrecher vor ein internationales Tribunal wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gestellt werden, wird es wohl noch eine Weile dauern. Bis dahin werden die Kriegsgräuel weitergehen. Doch auch ihre Dokumentation wird weiter fortgesetzt. In Tschechien durch die Aussagen von Zeugen und Opfern. Und in der Ukraine durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Dieses leistet nicht nur medizinische und humanitäre Hilfe, sondern zeichnet auch Verstöße gegen die Genfer Konvention auf.
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