Tschechien ist bei der Behandlung von Herzinfarkten führend
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit und es geht oft um Sekunden: Herzattacken sind die Todesursache Nummer eins in Tschechien. Die Überlebensaussichten hängen von einem schnellen Eingriff in einer spezialisierten Klinik ab. Daher ist es so wichtig, bei Verdacht auf einen Herzinfarkt sofort den Rettungsnotdienst zu verständigen. Jitka Mládková hat sich informiert, wie es in diesem spezifischen Bereich hierzulande funktioniert und für das heutige Forum Gesellschaft das Prager Institut für klinische und experimentelle Medizin – kurz Ikem – besucht.
Es sei heutzutage nichts Ungewöhnliches, wenn ein Herzinfarkt-Patient zehn Minuten nach der Durchführung der Angioplastie danach frage, wann er nach Hause entlassen werde. So Michael Želízko, ärztlicher Direktor des Prager Instituts für klinische und experientelle Medizin, kurz Ikem.
Diese simple Feststellung gibt er in unserem Gespräch zum Besten, wenn die Rede über die Entwicklung der tschechischen Kardiologie in den zurückliegenden 20 Jahren ist. Mit der Methode der kathetertechnischen Wiedereröffnung des verschlossenen Herzkranzgefässes, der Angioplastie also, kann ein Herzinfarkt mit seinen gefährlichen Komplikationen im optimalen Fall verhindert oder zumindest in seinem Ausmass begrenzt werden. Das Ikem gilt hierzulande als Vorreiter auf diesem Gebiet.
„Im Ikem haben wir 1992 als erste hierzulande mit der systematischen Durchführung der Angioplastie begonnen. Seit 2003 wird diese Behandlungsmethode beim Herzinfarkt landesweit angewandt. Jedes neugegründete Herzzentrum muss spätestens nach einem Jahr den 24-stündigen Betrieb seines Katheterlabors gewährleisten.“
Vor 20 Jahren konnte man sie noch an den Fingern einer Hand abzählen, mittlerweile aber gibt es etwa 22 Kardiozentren in Tschechien. Im Behandlungssystem von Herz-Kreislauferkrankungen bilden sie „ein flächendeckendes Netz“. Das sei im internationalen Vergleich keinesfalls die Regel, sagt Michael Želízko:
„Dass die Katheterlabors an den Patienten mit akutem Herzinfarkt die Angioplastie durchführen, ist eigentlich nichts Besonderes. Interessant hingegen ist, dass es Tschechien als erstem Staat weltweit gelungen ist, im ganzen Land ein Netz von Kardiozentren aufzubauen. Man muss aber sagen, dass bei uns dafür auch gute geographische Bedingungen vorhanden waren. Seit 2003 wird der Herzinfarkt in Tschechien ausschließlich mit der Methode der Blutgefäßwiederöffnung und Stentimplantierung behandelt. Auch das ist nicht überall im Ausland so. In vielen Ländern wird oft primär die rein medikamentöse Behandlung eingesetzt. Im Gegensatz zur Angioplastie ist ihre Wirkung allerdings nur etwa 50-prozentig.“
In den 1960er und 1970er Jahren musste ein Patient mit akutem Herzinfarkt im Schnitt fünf bis sechs Wochen im Krankenhaus bleiben. Im danach folgenden Jahrzehnt konnte diese Zeit dank neuer Behandlungsmethoden auf etwa 14 Tage verkürzt werden. Die jüngsten Statistiken sprechen von vier bis fünf im Krankenhaus verbrachten Tagen. Wesentlich gesunken ist auch die Sterberate der Patienten mit dieser Diagnose. Trotzdem steht der Herzinfarkt in Tschechien immer noch an erster Stelle als Todesursache. Auf die Frage, warum dem so ist, habe ich folgendes erfahren:
„Zunächst sei gesagt, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen 20 Jahren in Tschechien wesentlich verlängert hat. Das ist zweifelsohne eine positive Entwicklung. In diesem Zusammenhang ändert sich aber die Hauptursache für die Entstehung der Herzerkrankungen. Einerseits haben sich die Überlebenschancen der Patienten mit einem akuten Herzinfarkt deutlich erhöht - wir sagen sogar, dass etwas falsch gemacht wurde, wenn ein Patient in der aktuten Infarktphase stirbt. Es kann natürlich passieren, doch dank der Einführung der Angioplastie ist die Sterberate hierzulande von rund sechzehn auf sechs bis sieben Prozent gesunken. Auf der anderen Seite nimmt aber gleichzeitig die Zahl der chronischen Herzerkrankungen zu, und damit auch die Zahl der Fälle des Herzversagens. Und diese treten im Lauf der Zeit häufig im höheren Alter auf.“
Anders gesagt, man lebt zwar länger, dafür muss aber die Gesellschaft einen Tribut in Form häufigerer Herz-Kreislauferkrankungen zahlen. Und diese stehen dann auch ganz ober in der Statistik der Todesursachen.
Doch ohne einen funktionierenden Rettungsdienst ist auch die noch so große Mühe der Ärzte im Krankenhaus vergeblich. Wie ist es in Tschechien darum bestellt?
„Ich muss sagen, dass die Leistungen des Rettungsnotdienstes hierzulande absolut außergewöhnlich sind. Wahrscheinlich sind wir auch in diesem Bereich weltweit die ersten gewesen, indem ohne jegliche Anordnung einer Behörde eine Kooperation zwischen den einzelnen Stationen des Rettungsnotdienstes, den Herzzentren und den regionalen Krankenhäusern aufgebaut wurde. Früher hat nämlich der herbeigerufene Rettungsdienst den Patienten zuerst in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht, wo seine Diagnose gestellt wurde, und erst danach wurde über das weitere Vorgehen entschieden. Heute läuft es absolut anders.“
Und zwar so: Die Diagnose wird gleich vor Ort vom Notarzt gestellt und der Patient wird direkt in das nächste Herzzentrum gebracht. Dort werden noch vor der Ankunft des Patienten ein Kathetersaal und ein Medizinerteam bereitgestellt.
„Was die Dauer des Patiententransports anbelangt, kann man meiner Meinung nach nichts mehr wesentlich verbessern. Eine Transportbeschleunigung durch höhere Fahrtgeschwindigkeit halte ich nicht für realistisch. Wer das Schicksal der Patienten immer noch beeinflussen kann, sind die Patienten selbst. Genauer gesagt ihre eigene Entscheidung, wann sie den Rettungsdienst herbeirufen. Wir wissen, dass viele von ihnen zu lange warten. Die Daten über die hierzulande durchgeführten Katheterbehandlungen werden in einem Zentralregister gespeichert. Sie lassen darauf schließen, dass sich die Zeit, nach der sich die Patienten etscheiden, den Rettungsdienst anzurufen, in den letzten Jahren leider nicht verkürzt hat.“
Wenn der Patient bei einer Herzattacke die ersten zwei Stunden versäumt habe, sagt Michael Želízko, sei ein ausschlaggebender Verlustfaktor mit oft irreparablen Folgen aufgetreten. Dabei müsse heutzutage das Wort „Herzinfarkt“ längst nicht mehr als Synonym für den Tod empfunden werden, meint der Kardiologe und ärztliche Direktor des Prager Instituts für klinische und experimentelle Medizin.