Tschechien ist nicht Ungarn - Miroslav Tancoš über die neue Demokratische Roma-Partei
Miroslav Tancoš ist Vorsitzender der kürzlich gegründeten „Demokratischen Roma-Partei“. Im Gespräch mit Radio Prag erklärt er unter anderem, warum die Roma-Minderheit eine eigene politische Vertretung braucht und wie seine Partei den Roma feindlichen Demonstrationen der letzten Wochen begegnen will.
„Ohne politische Partei kann man in der Tschechischen Republik nichts ausrichten. Die ganzen bisherigen Experimente, der Regierungsrat für Roma-Angelegenheiten, verschiedene Roma-Organisationen, eine halbe Milliarde an investierten Geldern – das alles hat bisher nichts gebracht. Als Partei wollen wir an die staatlichen und lokalen Organe appellieren, die Lebensbedingungen für die Roma und das Zusammenleben mit der Mehrheitsgesellschaft zu verbessern, damit es nicht mehr zu Anti-Roma-Märschen kommt. Deshalb haben wir uns entschieden, eine Partei zu gründen, um gemeinsam die brennenden Probleme des Alltags zu lösen.“
Hätten Sie nicht größere Chancen, wenn Sie für eine der bereits bestehenden Parteien kandidieren würden?„Die großen Parteien, sowohl rechts als auch links, setzen Roma auf die hintersten Listenplätze, wo sie keinerlei Chancen haben, gewählt zu werden. Natürlich wird unsere Partei bei den Wahlen nicht gewinnen, sie wird es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Bei Regionalwahlen vielleicht ja, da haben wir gewisse Chancen. Aber es geht vor allem darum, uns sichtbar zu machen, damit die Menschen von uns wissen und uns anders wahrnehmen.“
Wo sehen Sie sich im Parteienspektrum?„Wir stehen eher den linken Parteien nahe. Sie haben ein Gespür für soziale Gerechtigkeit. Unter den Regierungen von Gross, Zeman und Paroubek war es für Roma besser als unter den rechten Regierungen von Topolánek und Nečas. Die haben reiche Schichten repräsentiert und sich keine Gedanken darüber gemacht, was aus den Armen wird. Die rechten Parteien haben einfach kein Gefühl für soziale Gerechtigkeit, deshalb orientieren wir uns links.“
Wer ist Ihre Zielgruppe?„Unsere Partei ist offen für alle, wir haben auch Nicht-Roma unter unseren 450 Mitgliedern. Wir wollen nicht nur die Rechte der Roma vertreten, sondern ihnen auch ihre Pflichten klarmachen. Wir wollen, dass unsere Mitglieder sich in dieser Gesellschaft engagieren. Und dass sie wissen, dass nichts umsonst ist. Vor allem sprechen wir die jüngere Generation an. Sie wollen wir motivieren. Wenn jemand schon Mitte 40 oder 50 ist, ändert er sich nur noch schwer. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Jugend.“
Seit Wochen gibt es in Tschechien fast jedes Wochenende Aufmärsche von Neonazis, auch unter Beteiligung der Bevölkerung. Wie begegnen Sie dem?„Wir haben Premierminister Rusnok gebeten, die Sicherheit aller zu gewährleisten. Wir wollen Ruhe und Frieden. Wir möchten keine Gegendemonstrationen der Roma. Die Aufmärsche sind Teil der populistischen Wahlkampagne der DSS (rechtsextremistische Arbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit, die landesweit zu Aufmärschen gegen die Roma-Minderheit aufgerufen hat, Anm. d. Red.). Wir werden eine Erklärung herausgeben, dass wir diese Demonstrationen ablehnen. Aber: Wir müssen auch Ordnung in den eigenen Reihen schaffen, gegen kriminelle Roma vorgehen, gegen Drogenmissbrauch. Wir können uns nicht hinstellen und rufen: Alle Tschechen sind Rassisten. Wir müssen auch unser eigenes Verhalten ändern. Zu Gegendemonstrationen aufzurufen, eskaliert nur. Wir müssen uns an einen Tisch setzen und einen Dialog führen.“
Aber ist es nicht trotzdem wichtig, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden, um den Neonazis nicht den öffentlichen Raum zu überlassen?„Die Roma werden ihnen die Stirn bieten und im öffentlichen Raum ‚Stop dem Nazismus und Faschismus’ sagen. Aber wir werden nicht provozieren. Wir dürfen nicht diejenigen sein, die zuerst zur Waffe greifen. Das wäre das Ende.“
Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt von den Gemeinden, in denen die Aufmärsche stattgefunden haben?
„Wir fühlen uns nicht unterstützt, denn die Kommunen handeln im Grunde gegen die Roma-Gemeinden. Die bestehenden Gesetze sind ausreichend, aber bei den Bürgermeistern fehlt der Wille zum Dialog. Das hat auch Premierminister Rusnok klar gesagt. Die Bürgermeister tragen die Hauptschuld daran, dass die Lage eskaliert. Sie entscheiden über uns ohne uns. Und sie stecken voller Vorurteile, dass alle Roma faul und kriminell sind. Sie zeigen der Bevölkerung überhaupt keine positiven Beispiele von fleißigen Roma.“Warum ist plötzlich aus dieser vorher doch recht passiven ablehnenden Haltung gegen die Roma solch eine Aggression geworden?
„Das kann ich Ihnen sagen: Kein Politiker erklärt den Menschen, dass die Roma dieselbe Sozialhilfe bekommen wie die übrigen Tschechen. Es wird immer gesagt, die Roma bekommen 30.000 bis 40.000 Kronen (1200 bis 1600 Euro) Sozialhilfe. Und die Leute denken: Warum soll ich für 10.000 oder 12.000 Kronen (400 bis 480 Euro) arbeiten, wenn die Roma 35.000 Kronen Sozialhilfe bekommen? Dabei gelten für alle Bürger dieses Staates dieselben Sozialhilfe-Sätze. Die Medien zeigen auch immer nur die Problemfälle, ohne nach den Gründen dafür zu fragen. Aber: Das Problem liegt natürlich auch bei den Roma. Ich glaube, es ist ein europäisches Problem. Der Kern ist: Die Roma brauchen Arbeit, damit die Leute sehen, dass wir gemeinsam Hand anlegen wollen. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Das ist die Grundlage für alles.“Sie sind optimistisch, dass sich das gesellschaftliche Klima ändert?„Ich bin optimistisch. Hier war in der letzten Zeit insgesamt ein schlechtes Klima: Alle waren genervt von den Regierungsaffären. Und dann noch die Roma dazu. Die Leute wären auf jede Demonstration gegangen. Hauptsache demonstrieren. Viele haben gar nicht verstanden, dass sie auf einer Anti-Roma-Demonstration waren.“
Sie haben keine Angst, dass die Situation weiter eskaliert und vielleicht auch nationalistische Parteien bei den Wahlen punkten?
„Doch, mir ist schon klar, dass die DSS mit diesen populistischen Aktionen punktet. Aber die Gesellschaft wird das durchschauen. Sládek (Miroslav Sládek, Gründer, Vorsitzender und Abgeordneter der Republikanischen Partei 1992 – 1998, Anm. d. Red.) war einmal im Parlament, und ist gescheitert. Die Leute merken das. Bei uns ist das nicht wie in Ungarn. Die tschechische Gesellschaft lässt das nicht zu, die Gesetze nicht, die Polizei nicht. Sicherlich, es kommt vereinzelt zu Spannungen. Aber dass das gesamtgesellschaftlich so bleibt, das glaub ich nicht.“