Roma-Vertreter wollen überregionalen Verband gründen

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Bereits seit den Sommermonaten ist die Lage der Roma-Minderheit in Tschechien immer wieder ein Thema. Damals waren im Schluckenauer Zipfel in Nordböhmen nach mehreren Schlägereien Demonstrationen gegen Roma ausgebrochen. Jedes Wochenende veranstalteten Rechtsextreme Kundgebungen, denen sich aber auch die örtliche Bevölkerung anschloss. Am Mittwoch vergangener Woche stellte die Regierung in Prag einen Bericht über die soziale Lage der Roma vor – und am Freitag trafen sich Vertreter verschiedener Roma-Organisationen zu einer republikweiten Konferenz.

Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Der Bericht der Regierung zur sozialen Lage der Roma-Minderheit ist wenig optimistisch: Größte Probleme bereiten weiterhin die hohe Arbeitslosigkeit, der geringe Bildungsstand und die schlechte Bezahlung. Auch Schwierigkeiten in der medizinischen Versorgung wurden angesprochen: Roma träfen in öffentlichen Einrichtungen oft auf Diskriminierung, so auch in Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge. Allerdings gibt der Bericht den Roma auch eine Mitschuld. Durch einen ungesunden Lebensstil und die Vernachlässigung von präventiven Maßnahmen, wie zum Beispiel das Impfen von Kindern, trügen sie zu ihrem schlechten Gesundheitszustand bei. Hinzu kommt, dass ihre Wohnungen oftmals von geringer Qualität sind und sich in „sozial ausgeschlossenen Vierteln“ befinden. All das hat man schon oft gehört. Jan Černý von der Menschenrechtsorganisation „Člověk v tísni“ (Mensch in Not) kritisiert den Bericht:

Jan Černý  (Foto: Romea)
„Dieser Bericht handelt mehrheitlich von sozialen Problemen, auch wenn es laut seinem Titel um Roma, Roma-Familien und Roma-Gemeinschaften gehen soll. Ich denke der Titel ist inadäquat, im Mittelpunkt sollten eigentlich die Roma-Gemeinschaften stehen, aber tatsächlich referiert er nur über die negativen Aspekte dieser Gemeinschaften.“

Die Lösung der sozialen Probleme sieht die derzeitige Regierung darin, den Kindern eine vollwertige Ausbildung zu ermöglichen und mehr Roma zu einer Arbeit zu verhelfen. Im Fall des Schluckenauer Zipfels kündigte Monika Šimůnková, Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, nun konkrete Schritte an:

Monika Šimůnková
„Es ist uns gelungen, eine so genannte Aktionsgruppe einzurichten, eine Gruppe der örtlichen Partnerschaft. Das bedeutet, vor Ort die wichtigsten Akteure zusammenzubringen, die etwas zur Verbesserung dieser sozial ausgeschlossenen Gegenden beitragen können. Dazu gehören die Rathäuser, die Nichtregierungsorganisationen und die Polizei. Ich habe darüber mit dem ersten Stellvertreter des Innenministers und dem Polizeichef verhandelt und konnte erreichen, dass dieser Aktionsgruppe auch Mitarbeiter des Innenministeriums angehören werden, die sich mit der Prävention von Kriminalität beschäftigen. Weiter sollen dieser Gruppe auch staatliche und regionale Polizisten angehören, die sich vor Ort auskennen. Alle Institutionen, die etwas zur Problematik sagen können und ein Interesse an der Lösung der Probleme haben, arbeiten somit zusammen und können gemeinsam die Situation lösen.“

Herberge in Varnsdorf
In weiteren Schritten soll die Wohnsituation verbessert werden bis hin zu regulären Mietverhältnissen. Zusätzlich sollen durch die Vergabe öffentlicher Aufträge Arbeitsplätze geschaffen werden. Gerade für den Fall des Schluckenauers Zipfel aber wiegelt Jan Černý von „Člověk v tísni“ ab:

„Die Sache hat einen spezifisch lokalen Charakter, es Herbergen vor Ort, die von der Stadt verwaltet werden wie von einer örtlichen Mafia, die dort wie Wucherer verfährt. Eigentlich leben alle in Ruhe miteinander, und jetzt haben alle das Gefühl, der Staat müsse seine Sozialpolitik ändern.“

Schluckenauer Zipfel
Ein Grund dafür mag auch im Zentralismus der Tschechischen Republik liegen. Das Finanzministerium entscheidet hier über Müllgebühren, das Verkehrsministerium über Regionalzugverbindungen, und nach den ersten Schlägereien im Schluckenauer Zipfel haben die Gemeinden sofort das Innenministerium und den Premierminister aufgerufen einzugreifen. Schwer vorstellbar also, dass sich Lösungen nur auf lokaler Ebene finden lassen.

Einen Schritt in die andere Richtung möchten die Roma selbst machen. Es gibt nahezu in jeder Stadt eine lokale Roma-Organisation – ein gemeinsamer Interessensverband existiert allerdings nicht. Einige Aktivisten sehen nun – nach den Demonstrationen gegen Roma im Schluckenauer Zipfel und nach dem negativen Bericht der Regierung – die Zeit gekommen, eine solche zentrale Organisation aus der Taufe zu heben. Dieses Thema beherrschte die gesamtstaatliche Konferenz der Roma in Brno / Brünn am Freitag. Stanislav Daniel von einer Roma-Organisation in Hodonín / Göding in Südmähren:

Stanislav Daniel  (rechts). Foto: ČTK
„Es gibt eine große Zahl politischer Parteien und eine große Zahl an Roma-Vereinigungen. Wir Roma-Vertreter müssen erkennen, dass es nicht geht, einen Verein zu gründen, der sich dann nur um einen Teil der Gemeinschaft kümmert oder nur um die eigene Familie und Freunde. Wir müssen uns um alle kümmern.“

Vor der Konferenz in Brünn riefen einige Aktivisten dazu auf, eine politische Partei zu gründen. Nach der politischen Wende von 1989 war bereits eine solche Partei entstanden. Die Romská občanská iniciativa (ROI), auf Deutsch Roma-Bürgerinitiative, war bei den ersten Parlamentswahlen sehr erfolgreich. Sie konnte sich acht Mandate sichern, später scheiterte sie allerdings an internen Streitereien und befindet sich derzeit im Insolvenzverfahren. Daher sprachen sich in Brünn auch die meisten Anwesenden gegen eine Partei aus. Julius Lévay von der Organisation Dživipen:

Konferenz der Roma in Brünn  (Foto: ČTK)
„Ich war im Jahr 1990 Mitgründer der Partei ROI. Ich weiß, was das bedeutet. Eine Partei auf gesamtstaatlicher Ebene zu gründen, das ist der größte Blödsinn, auf den wir uns jetzt einlassen könnten. Und deshalb sage ich, dass diese Konferenz nur in einem Sinn gut war: Wir haben uns alle mal wieder gesehen, gequatscht und uns etwas erzählt – aber ich glaube nicht, dass die Konferenz einen praktischen Beitrag leisten wird.“

Ganz so pessimistisch waren aber nicht alle Teilnehmer. Vladimír Galbavý vom Verein für Roma und nationale Minderheiten in Hodonín und Veranstalter der Konferenz in Brünn plädierte für die Errichtung einer gesamtstaatlichen Organisation:

Vladimír Galbavý  (Foto: Romea)
„Wir wollten keine Partei gründen. Wir haben uns aber darauf geeinigt, eine neue Organisation zu gründen. Das bedeutet, es wird sich um eine Roma-Vereinigung handeln.“

Die Kritik, die geäußert wurde, empfand er eher als konstruktiv und wertete daher die Konferenz als Erfolg:

„Ich gehe davon aus, dass es auf jeder Konferenz sowohl Zustimmung als auch Kritik geben muss. Und bei dieser Kritik geht es nur darum, dass wir uns darauf einigen müssen, auf welche Art sich die Tätigkeit dieser neu gegründeten Organisation im Rahmen der Tschechischen Republik entfalten wird.“

Julius Lévay  (Foto: Romea)
Die Gründung einer nichtpolitischen Organisation sieht auch Lévay als notwendig und als wichtigen Schritt. Zugleich begründet er, warum er einer Partei gegenüber skeptisch ist:

„Ich bin kein Anhänger einer politischen Roma-Partei – aus praktischen Erfahrungen. Das alles riecht nach schlechtem Nationalismus. Wir sind in einer Situation, in der die Mehrheit der Bevölkerung die Roma nicht akzeptiert. Und würden wir jetzt noch eine Partei gründen – das wäre wie Öl ins Feuer zu gießen. Also gründen wir einen Verband in Zusammenarbeit mit der Mehrheit, ein gesellschaftlicher Verband für Roma. Das würde ich eine Veränderung nennen. Es wird ein Verband sein, mit dem sich jeder Mensch identifizieren kann, der etwas zu sagen hat und etwas lösen möchte.“

Konferenz der Roma in Brünn  (Foto: ČTK)
In näherer Zukunft soll ein Gründungsausschuss zusammentreten, der aus 20 bis 25 Mitgliedern bestehen wird und einen Vorsitzenden und Stellvertreter wählen soll. Dieser Ausschuss soll dann Standpunkte zu den Problemfeldern Sicherheit, Arbeitslosigkeit, Sozial- und Wohnungspolitik entwickeln. Das Ziel der weiteren Arbeit beschreibt Vladimír Galbavý wie folgt:

„Ziel wird es sein, ein Ansprechpartner zu werden. Ein ernsthafter und würdiger Partner, der bestehende Probleme in Zusammenarbeit mit der Regierung und Vertretern des Senats sowie mit der Vereinigung der Kreishauptleute und natürlich mit allen staatlichen Ämtern kommunizieren und lösen kann.“