Tschechien setzt bei der Energiegewinnung der Zukunft auf die Atomkraft
Hohe Benzinpreise, nachziehende Energiepreise dank der so genannten Ölpreisbindung, Missbrauch der Monopolstellung und deshalb großer Ärger bei den Groß- und Kleinverbrauchern von Energie und Kraftstoffen - solche oder ähnliche Schlagzeilen beherrschten in den zurückliegenden Wochen auch in Tschechien die Wirtschafts- und Verbrauchernachrichten auf dem Energiesektor. Daher befasst sich Lothar Martin im nun folgenden Wirtschaftsmagazin mit den Vor- und Nachteilen der tschechischen Energiepolitik.
Die Tschechische Republik hat noch einen großen Raum für Energieeinsparungen im Bereich der Wirtschaft. Und in dieser Hinsicht bleibt sie weiterhin hinter einigen Nachbarländern zurück. So konnte in Tschechien die von der Wirtschaft verursachte Energiebelastung in den Jahren von 1990 bis 2002 zwar um 17 Prozent gesenkt werden, doch in Ungarn betrug dieser Wert im gleichen Zeitraum 27 Prozent und in Polen sogar 39 Prozent. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Internationalen Energie-Agentur (IEA) hervor, der vor zwei Wochen veröffentlicht wurde. Von den Experten dieser Agentur wurde Tschechien zudem für den ziemlich hohen Anteil an CO²-Emissionen im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität kritisiert. Nach Aussage von Claude Mandil, dem Exekutivdirektor der Agentur, habe die Tschechische Republik den CO²-Ausstoß seit 1990 zwar beträchtlich gesenkt, doch ziehe man dazu als Vergleichswert das erzielte Bruttoinlandsprodukt zu Rate, dann ist das Emissionsvolumen immer noch das höchste unter den 26 IEA-Mitgliedsstaaten. Ein Fakt, dem Tschechiens Industrie- und Handelsminister Milan Urban jedoch alles andere als konsterniert gegenübersteht:
"In sehe darin kein allzu großes Problem, denn das ist ein vergleichbares Ergebnis der 26 Länder, die Mitglied dieser Agentur sind. Wenn wir demgegenüber auf die Vereinigten Staaten schauen, dann wissen wir, dass sie bis heute das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben. Es ist wichtig, auf die Strukturen zu schauen, d. h. darauf, wo das Problem am größten ist. Bei uns ist das die Wärmeerzeugung, und darauf müssen wir hinwirken."
Von der IEA gelobt wurde die Tschechische Republik hingegen für die Öffnung ihres Energiemarktes und für die Zuverlässigkeit der in dieser Branche gut funktionierenden Verteilernetze. Minister Urban resümierte daher anhand des IEA-Berichts, dass sich die Vor- und Nachteile der tschechischen Energiepolitik in einem Gleichgewicht befänden:"Es wurde uns konstatiert, dass es uns gelungen ist, einiges in punkto Ökologie sowie auf dem Energiemarkt zu bewegen. Auf der anderen Seite wurde uns ein gehöriges Potenzial für Energieeinsparungen offen gelegt."
Die Expertise der IEA-Experten will der tschechische Wirtschaftsminister nun jedoch dazu nutzen, um hinsichtlich der aufgezeigten Reserven sowohl die Prager Regierung als auch die entsprechende EU-Behörde in Brüssel anzusprechen:
"Ganz sicher werden wir das als ein unterstützendes Material zum Festlegen von Prioritäten bei der Ausschöpfung von Strukturfonds nutzen. Und zwar in der Gestalt, dass Programme, die verstärkt zu Einsparungen und besseren Wirkungsgraden führen, eine höhere Priorität als bisher haben werden."
Im IEA-Bericht wurde auch die Energiekonzeption des tschechischen Staates bis zum Jahr 2030 beurteilt und vom Agenturchef Mandil als qualitativ gut bezeichnet, allerdings mit der Einschränkung, dass man in einigen Energiebereichen viel zu ambitioniert herangehen wolle. Einige der in der Konzeption angeführten Ziele seien nämlich nur schwer erreichbar oder aber nur äußerst kostenintensiv zu verwirklichen. Als Beispiel führte Mandil an, dass Tschechien der Konzeption nach im Jahr 2030 einen niedrigeren Verbrauch von Flüssigkeitsbrennstoff vorweisen will als heute. Und als kostenintensiv betrachtet er das Vorhaben, dass hierzulande im Jahr 2030 der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiegesamtumfang 15 Prozent betragen soll. Die dafür bereitzustellenden Zuwendungen solle man lieber in gezielte Maßnahmen stecken, die zu einer besseren Nutzung bzw. zu Einsparungen von Energie führen, sagte Mandil.Der tschechischen Energiekonzeption zufolge wollen die Politiker der Prager Regierung, aber auch die führenden Oppositionspolitiker einem drohenden Energiemangel damit begegnen, dass im Lande ein weiteres Atomkraftwerk entstehen soll. Wie am Montag bekannt wurde, ist der Produktionsdirektor der Gesellschaft CEZ, Jiri Borovec, mit der Führung eines Arbeitsteams beauftragt worden, das bis Mitte Dezember ergründen soll, wie man die Erzeugung von Elektroenergie durch Verbrennen von Kohle mittel- und langfristig durch einen anderen Energieträger ersetzen könne. Denn die Kohlevorräte in Tschechien gehen langsam aber sicher zur Neige und die auf Kohlebasis arbeitenden Wärmekraftwerke verursachen nach wie vor den höchsten CO²-Ausstoß. Eine Entscheidung darüber, ob die Kernkraft den Energieträger Kohle ablösen werde, sei zwar noch nicht gefallen, andererseits aber könne er sich nicht vorstellen, dass man die Atomenergie durch andere Energiequellen vollwertig ersetzen könne, sagte Borovec. Wenn es nach Wirtschaftsminister Urban ginge, dann wäre eine Verdopplung der Kapazität des Atomkraftwerks Temelin, also die Errichtung und Inbetriebnahme zweier weiterer Reaktoren im umstrittenen Meiler, ohnehin die beste Lösung. Eine Vorstellung, mit der sich Atomkraftgegner, insbesondere aus Südböhmen, Bayern und aus Österreich, überhaupt nicht anfreunden können. Und deshalb hat der Bevollmächtigte der oberösterreichischen Regierung Radko Pavlovec auch bereits verkündet: "Wir können uns nur auf eine Art dagegen wehren, und zwar werden wir darauf hinarbeiten, dass die Sicherheitsbestimmungen für neue Reaktoren weitaus strenger sind als bei den alten Projekten".
Neben den begrenzten Möglichkeiten, den Energiebedarf durch erneuerbare Energiequellen abzudecken, die - wie wir gehört haben - nicht gerade geringe Kosten verursachen sollen, ist man in Tschechien auch darauf bedacht, sich beim Energiemix der Zukunft ebenso wenig auf die Energieträger Öl und Gas zu verlassen. Neben der Erschöpfbarkeit dieser Ressourcen ist es vor allem die immer ernsthafter diskutierte Abhängigkeit von den Weltmarktpreisen, die hiesige Politiker und Wirtschaftsexperten zu dieser Vorsicht treibt. An dieser Haltung hat das jüngste Beispiel der nach den Folgen der Hurrikankatastrophe im Süden der USA ziemlich willkürlich herbeigeführten Ölpreisexplosion einen nicht unerheblichen Anteil.
Denn wie bekannt, haben auch viele Gaskonzerne unter dem Deckmantel der so genannten Ölpreisbindung die Preise für ihr Produkt in die Höhe schnellen lassen. In Tschechien zum Beispiel die zur deutschen RWE-Gruppe gehörende Gesellschaft RWE Transgas, die über 80 Prozent des hiesigen Gasmarktes beherrscht und daher auf diesem quasi eine Monopolstellung besitzt. Die von Transgas zuletzt vorgenommenen deftigen Preiserhöhungen haben vor allem die Gas-Großabnehmer wie Skoda Auto, die Tschechischen Eisenbahnen, große Wärmekraftwerke, Eisenhütten, Chemie- und Energiegesellschaften derart verstimmt, dass diese Firmen angekündigt haben, nicht mehr zu zahlen. Und zwar dann, wenn sich herausstellen sollte, dass RWE Transgas seine Monopolstellung missbrauche und die hohen Preise zu Unrecht aufdiktiere. Ein Vorwurf, den der Gaserzeuger zurückweist und durch seinen Sprecher Martin Chalupsky ausrichten ließ:"Wir sind überzeugt davon, dass unsere Preise rechtens sind und dass sie in einer Höhe festgelegt wurden, wie sie sich anhand der Weltmarktpreise für Öl und Erdgas entwickelt haben. Ich denke, dass wir alle in den letzten Tagen und Wochen die ungeheure Explosion des Ölpreises registriert haben, und daher haben die Reaktionen im Gasenergiesektor nicht lange auf sich warten lassen."
Letztlich werden die nationale Energie-Regulierungsbehörde und das hiesige Kartellamt (UOHS) prüfen, ob von Seiten der Gesellschaft RWE Transgas Verstöße gegen die Prinzipien des freien Wettbewerbs vorgelegen haben. Doch egal wie dieses Muskelspiel der wirtschaftlichen Interessen auch ausgehen mag, für eine mit Energie gesicherte Zukunft des Landes muss der tschechische Staat Rechnung dafür tragen, sowohl national als auch international weder von einzelnen Energieträgern noch von Energiegesellschaften in eine lähmende Abhängigkeit getrieben zu werden.