Für tschechische EU-Befürworter waren sie ein wichtiges Argument in der Debatte über die Vor- und Nachteile eines EU-Beitritts: die scheinbar unversiegbaren europäischen Finanzströme, in deren Genuss Tschechien als neues Mitglied der Union kommen könnte. Könnte - wenn es in der Lage wäre, sie auch zu nutzen. Und genau da liegt heute, knapp zwei Jahre nach dem tschechischen EU-Beitritt, des Pudels Kern: erst ein Bruchteil der Mittel, die Tschechien aus den EU-Fonds zur Verfügung stehen würden, wurde bislang genutzt. Silja Schultheis berichtet.
Foto: Archiv ČRo 7
25 Mal habe er die knapp 400 Kilometer nach Prag zurücklegen müssen, um europäische Gelder zu beantragen für ein technisches Zentrum an einer Hochschule im mährischen Ostrau, dem östlichsten Zipfel Tschechiens (im Dreiländereck mit Polen und der Slowakei). Für solch einen bürokratischen Aufwand habe kein normaler Mensch Zeit, zitiert die Zeitung Mlada fronta dnes am Dienstag den Finanzberater Vladimir Polasek. Polasek hat bereits vor Jahren eine Marktlücke entdeckt, die bis heute in Tschechien sperrangelweit offen klafft: Er rät Politikern und privaten Unternehmern, wie sie an kostbare Gelder aus den EU-Strukturfonds herankommen, die für die Entwicklung strukturschwacher Regionen bestimmt sind. Denn im Schöpfen dieser Gelder, so ergab jetzt eine Studie, schneiden die Tschechen nach Zypern am schlechtesten von allen 25 EU-Mitgliedern ab. Schuld daran, so ist man sich hierzulande einig, ist das komplizierte System zur Beantragung der EU-Mittel. Kaum jemand kennt sich in dem Papier-Dschungel verschiedenster Anträge und Richtlinien aus und viele verzichten angesichts des bürokratischen Marathons Aufwands lieber gleich auf das Geld. Die Zahlen sprechen für sich: Von den 53 Milliarden Kronen (das sind rund 1,8 Milliarden Euro), die Tschechien im Zeitraum 2004-2006 aus EU-Fonds beantragen könnte, wurden gerade einmal 18 Prozent tatsächlich geschöpft. Höchste Zeit für einschneidende Veränderungen, meint Jan Brezina, Europa-Abgeordneter der tschechischen Christdemokraten:
Jan Brezina (Foto: www.janbrezina.cz)
"Aber ich glaube daran, dass sich bald mal irgendjemand an die Nase fasst und praktische Maßnahmen gegen diesen Zustand trifft. Denn das Schöpfen von Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds etwa ist in Tschechien eine Katastrophe und da müssen auch personelle Maßnahmen getroffen werden, anders sehe ich das nicht."
Der tschechische Minister für Regionalentwicklung, Radko Martinek, hat vor einigen Tagen bereits eine Vereinfachung der Kontrollen bei der Verteilung von EU-Geldern angekündigt. Denn diese seien mit schuld daran, dass das Beantragen von Geldern in Tschechien ein äußerst mühsamer und langwieriger Prozess sei. Wenn Tschechien nicht aufpasse, könnten die Gelder am Ende möglicherweise flöten gehen. Am Dienstag sollte Martinek in Brüssel mit der EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Danuta Hübner über dieses Thema beraten. Viel besser übrigens als in Tschechien ist die Situation auch in den übrigen neuen EU-Staaten nicht. Auch Polen, Ungarn und die Slowakei haben gegenwärtig erst knapp ein Viertel der Gelder genutzt, die ihnen aus den Strukturfonds zur Verfügung stehen würden.