Tschechien und der Gasnotfallplan der EU

Nord Stream 1

Die Europäische Kommission befürchtet einen kompletten Gaslieferstopp aus Russland. Deswegen hat sie einen Notfallplan ausgearbeitet. So sollen die EU-Staaten 15 Prozent ihres Gasverbrauchs einsparen, damit die ganze Union über den Winter kommt. Was bedeutet das nun für Tschechien?

Václav Bartuška | Foto: ČT24

Am Mittwoch hat Russland die Erdgaslieferungen durch Nord Stream 1 erneuert. Doch der Brennstoff fließt deutlich geringer als früher, laut deutschen Angaben waren es zunächst nur 30 Prozent. Im Moment muss dies aber auch in Tschechien noch niemanden beunruhigen…

„Diese 30 Prozent der Lieferungen, die wieder durch die Pipeline laufen, ermöglichen weiterhin, auch die Erdgasspeicher zu füllen. Denn im Sommer ist der Verbrauch niedrig. Aber wir werden sehen, wie es in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht“, sagte der Sonderbotschafter der tschechischen Regierung für Fragen der Energiesicherheit, Václav Bartuška, am Donnerstagmorgen in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.

Überall in Europa gibt es Befürchtungen, dass Russland den Gashahn auch ganz zusperren könnte. Deswegen fordert die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten auf, in der kommenden Heizsaison 15 Prozent des Verbrauchs einzusparen. Den entsprechenden Notfallplan hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel vorgestellt. Aus tschechischer Sicht eine wichtige Initiative, wie Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) am Mittwoch nach der Regierungssitzung betonte:

Petr Fiala | Foto:  Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Gerade weil der Verbrauch in allen Mitgliedsstaaten um 15 Prozent reduziert werden soll, besteht eine Garantie auch im Falle des schwärzesten Szenarios eines kompletten Lieferstopps, dass alle weiter ausreichend Erdgas zur Verfügung haben werden.“

Für Tschechien sei diese Solidarität entscheidend, denn man befinde sich am Ende der Lieferkette, betonte der Regierungschef. Außerdem ist das Land bisher bei Erdgas fast vollständig von der Versorgung aus Russland abhängig.

Nord Stream 1 | Foto: Markus Schreiber,  ČTK/AP Photo

Laut Fiala stellt die Forderung der Europäischen Kommission nach 15 Prozent Einsparungen für Tschechien kein Problem dar…

„Die Verbrauchsdaten aus dem vergangenen halben Jahr zeigen, dass diese Einsparungen möglich sind. So liegt bereits jetzt der Gasverbrauch um rund 20 Prozent niedriger als noch im gleichen Zeitraum 2021“, so der Regierungschef.

Fachleute stützen diese Ansichten zumindest, wenn es um die Haushalte geht. Dies greift auch René Neděla auf, Staatssekretär im tschechischen Industrie- und Handelsministerium:

René Neděla | Foto: ČT24

„Jeder kann, ohne dass es ihn etwas kostet, die durchschnittliche Raumtemperatur verringern. Den Statistiken nach liegt sie in tschechischen Wohnungen nämlich bei 23 Grad Celsius. Der Standard in der EU bewegt sich aber bei 20 Grad Celsius und weniger. Zudem sollte jeder mit der Heizung so umgehen wie mit dem Licht. Wenn man nicht zu Hause ist, schaltet man es aus. Dementsprechend kann man die Temperatur verringern.“

Bisher baut der Vorschlag der Europäischen Kommission für einen geringeren Gasverbrauch auf Freiwilligkeit. Doch könnte er auch verpflichtend werden, sofern dies die EU-Mitgliedsländer beim Sondergipfel in der kommenden Woche billigen.

Michal Macenauer | Foto:  EGÚ Brno

Denn was passiert, wenn mitten in der Heizsaison das Gas aus Russland ganz ausbleibt? Die Beratungsfirma EGÚ in Brno / Brünn hat fünf unterschiedliche Szenarien für Tschechien durchgespielt, je nach Umfang der Lieferungen. Zu den Folgen eines gänzlichen Stopps sagte der strategische Leiter der Firma, Michal Macenauer:

„Dann würden ab einem gewissen Zeitpunkt die Abnehmer hierzulande nur noch aus den Speichern versorgt. Und dazu wäre eine sehr deutliche Reduktion des Verbrauchs nötig. Im Endeffekt hieße das, einige Industriezweige von der Versorgung abzuschneiden oder ihnen anzuordnen, nichts mehr zu beziehen.“

Nord Stream 1 | Foto: Markus Schreiber,  ČTK/AP Photo

Genau davor haben die Industriebetriebe aber Angst. Sie fordern daher von der tschechischen Regierung, endlich konkrete Pläne für einen solchen Fall zu veröffentlichen und mit der Wirtschaft zu verhandeln.

„Die Industrie ist vom Gas abhängig und muss zumindest über die Abstufungen im Fall einer Reduktion der Gasversorgung verhandeln. In einigen Fällen lässt sich der Verbrauch allerdings nicht so einfach reduzieren. In der Glasindustrie kann man zum Beispiel nicht mal eben weniger Energie einsetzen – denn die Temperatur lässt sich bei der Herstellung nicht verringern“, betonte Jan Wiesner, der die Konföderation der Verbände tschechischer Arbeitgeber und Unternehmer leitet.

Die tschechische Wirtschaft drängt also darauf zu erfahren, welche Industriezweige als erstes ihren Verbrauch drosseln müssten. Beim Verband für Industrie und Verkehr verweist man dabei auf Deutschland als Vorbild.

Autoren: Till Janzer , Jan Bílek
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