Tschechiens Eishockey muss aus Mangel an Talenten weiter auf Altstars setzen

Jaromír Jágr mit der Trophäe (Foto: ČTK)

Die 75. Eishockey-Weltmeisterschaft in der Slowakei ist seit Sonntag Geschichte. Insgesamt 11 WM-Medaillen hat die tschechische Mannschaft seit der Teilung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 gewonnen. Nach sechs Mal Gold und einmal Silber kam am Sonntag die vierte Bronzemedaille hinzu. Eigentlich ist auch sie ein Erfolg, doch zugleich misslang eben die angepeilte Titelverteidigung.

Tomáš Král  (Foto: Archiv von HC Plzeň)
Einen Tag vor den abschließenden Finalspielen suchte der Präsident des tschechischen Eishockey-Verbandes (ČSLH), Tomáš Král, erstmals die Kabine der tschechischen Nationalmannschaft auf. Aus gutem Grund:

„Ich habe mich bei den Spielern bedankt und ihnen gesagt, dass ich stolz bin auf das, was sie bei der WM gezeigt haben. Ich finde, dass sie eine erfolgreiche Weltmeisterschaft gespielt haben.“

Da war dem Präsidenten noch gar nicht klar, ob das tschechische Team bei seiner Heimreise überhaupt eine Medaille im Gepäck haben wird oder nicht. Denn tags zuvor hatten die Schützlinge von Nationaltrainer Alois Hadamczik im Halbfinale eine bittere Niederlage gegen die Schweden einstecken müssen und damit die Chance auf WM-Gold oder WM-Silber schon verspielt. Im Spiel um Platz drei bezwangen die Mannen um Kapitän Tomáš Rolinek dann aber die russische Auswahl souverän mit 7:4 und holten sich das bronzene Edelmetall. Und zwar völlig verdient. Denn der Niederlage gegen die Tre Kronors standen acht Siege gegenüber, die das tschechische Team mit durchgehend überzeugenden Leistungen errungen hatte. Trainer Hadamczik erklärt, worin dabei die besonderen Stärken seiner Mannschaft lagen:

Vierte Bronzemedaille für die tschechische Mannschaft seit 1993  (Foto: ČTK)
„Wir haben das gesamte Turnier über sehr organisiert in der Abwehr gespielt und wir haben nach vorn ein sehr gutes Passspiel entwickelt. Von den Einzelspielern ragten Jágr, Plekanec, Torwart Pavelec und Verteidiger Židlický noch etwas heraus. Doch die ganze Mannschaft hat sehr gut gekämpft.“

Jaromír Jágr, Tomáš Plekanec, Marek Židlický und Torwart Ondřej Pavelec gehörten also für Trainer Hadamczik zu den überragenden Spielern des Turniers. Aber weil ihnen auch die anderen Akteure im Team kaum nachstanden, trat die tschechische Mannschaft mit einer derartigen Geschlossenheit und Souveränität auf, dass sie von den meisten Experten zum Titelfavorit Nummer eins erkoren wurde. Eine Rolle, die sie mit Bravour bis zum Halbfinale meisterte. Aber warum nicht auch gegen die Schweden?

Alois Hadamczik  (Foto: ČTK)
„Von allen Seiten haben wir zu hören bekommen, dass wir den WM-Titel gewinnen werden. Das erwies sich dann als wunder Punkt, denn meine Spieler haben beim Rückstand zu schnell die Geduld verloren. Und das war ein Fehler.“

Im zweiten Drittel, in dem die Schweden nicht weniger als 26 Schüsse auf das von Pavelec gehütete Gehäuse abfeuerten, geriet die tschechische Mannschaft zum ersten Male seit Turnierbeginn in Rückstand. Im Bemühen, schnellstmöglich den Ausgleich zu schaffen, verloren Jágr & Co. ihre ansonsten sehr sichere spielerische Linie und luden die Tre Kronors ein ums andere Male zu Kontern ein. Dieses Angebot nahmen die Schweden dankend an und gewannen die Partie letztlich mit 5:2. Finalgegner von Schweden wurden die Finnen, die sich im zweiten Halbfinale ebenso eindrucksvoll mit 3:0 gegen Russland durchgesetzt hatten. Der ehemalige tschechische Nationalverteidiger und heutige Spielerberater, Josef Řezníček, war danach des Lobes voll über die Spielweise der Skandinavier:

Bittere Niederlage gegen die Schweden  (Foto: ČTK)
„Schlittschuh-läuferisch sind die Spieler sehr gut, zudem sind sie technisch beschlagen und körperlich robust. Gegen sie kriegen alle technischen Mannschaften wie die Russen und die Tschechen in der zweiten Spielhälfte Probleme.“

Řezníčeks Meinung aber wurde von Trainer Hadamczik nicht geteilt:

„Das ist nicht meine Meinung. Die Schweden und die Finnen sind wirklich gut, aber gerade die Finnen haben wir jetzt zweimal geschlagen – hier bei der WM und zuvor beim Euro-Hockey-Turnier in Brünn. Aber jede Mannschaft hat eigene Stärken. Die Finnen und Schweden sind schon von ihrem Naturell her läuferisch stark. In unserer Mannschaft gibt es mehr technische Spieler, zudem sind wir taktisch sehr stark.“

Josef Řezníček  (Foto: Archiv von HC Plzeň)
Zum Niveau der Weltmeisterschaft aber hatten Řezníček und Hadamczik dann aber eine Meinung. Ihren Aussagen zufolge war es eine stimmungsvolle WM, bei der die Zuschauer eine ganze Reihe von sehr attraktiven Spielen zu sehen bekamen. Darunter von der deutschen Mannschaft, deren Leistungen auch von den beiden ausdrücklich gewürdigt wurden:

„Ich muss sagen, dass mich Mannschaften wie Deutschland sehr beeindruckt haben. Auch die Deutschen sind läuferisch sehr gut und zudem sehr diszipliniert“, sagte Josef Řezníček, und Alois Hadamczik hob hervor:

„Eine Überraschung war für mich die deutsche Mannschaft. Sie war sehr gut organisiert und hat auch sehr gut gekämpft. Die Jungs von Uwe Krupp haben von Turnierbeginn an überzeugt, und ich denke, dass sie für das deutsche Eishockey eine sehr gute Werbung gemacht haben.“

Sehr gute Werbung für das nationale Eishockey aber hat letztlich auch die tschechische Mannschaft betrieben. Im vergangenen Jahr bei der WM in Deutschland war sie überraschend Weltmeister geworden, und in diesem Jahr hat sie auch die letzten Zweifler von ihrer Klasse überzeugt. Dabei gibt es im Land kaum noch herausragende junge Talente, die die traditionsreiche Ära des tschechischen Puckspiels erfolgreich fortsetzen könnten. Wie sind die Erfolge von 2010 und aus diesem Jahr aber dann zu erklären? Verbandspräsident Tomáš Král:

„In der Nationalmannschaft ist natürlich eine ganze Reihe von Spielern, die in einer Zeit aufgewachsen sind, als das System der Nachwuchsförderung noch funktioniert hat. Dieses System hat Früchte getragen, was die jüngsten WM-Erfolge belegen. Im Gegensatz dazu ist die Nachwuchsarbeit in den letzten 10 bis 15 Jahren ziemlich vernachlässigt worden und jetzt erhalten wir dafür die Quittung. Daher haben wir nun häufiger Jahrgänge unter den 16- bis 18-Jährigen, die nicht mehr zur Weltspitze gehören. Der Nachwuchs kämpft vielmehr immer öfter um eine Platzierung im Mittelfeld oder gegen den Abstieg aus der A-Gruppe. Das sind, wie gesagt, einzelne Jahrgänge, in denen wir die Qualität nicht haben. Bei der WM der Senioren aber setzt sich unsere Mannschaft noch stets aus Spielern mehrerer Generationen zusammen, und deshalb werden wir auch noch einige Jahre mit starken Teams bei einer WM vertreten sein.“

Eishockeystadion für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi  (Foto: Bescker,  Creative Commons 3.0)
Doch wie lange noch ist das Zurückgreifen auf die Altstars von Erfolg gekrönt? Bei der Beantwortung dieser Frage wird auch Král leicht nervös:

„Hier geht es jetzt darum, dass unsere Top-Spieler solange bei der Stange bleiben, bis gute junge Cracks endlich nachrücken.“

Experten meinen, dass die Wiederbelebung der Nachwuchsförderung im tschechischen Eishockey bis spätestens zu den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi erste Früchte tragen muss. Um dahingehend voranzukommen muss vor allem die Qualität der Nachwuchswettbewerbe in Tschechien stark verbessert werden. Dann könne man sicher auch ein Problem in den Griff kriegen, das Alois Hadamczik so beschreibt:

Hauptsponsor der WM  (Foto: ŠKODA AUTO)
„Bei uns in Tschechien ist es das große Problem, dass junge Spieler schon sehr früh nach Nordamerika gehen. Ja, man kann sagen: Wenn sie dorthin abwandern, sind sie zumeist noch Kinder. Sie haben zu wenig Geduld beim Aufbau ihrer Karriere. Anstatt zu Hause um einen Stammplatz zu kämpfen, gehen sie lieber in eine der kanadischen Junioren-Ligen oder in die AHL. Und das ist nicht gut.“

Im tschechischen Eishockey müssen also endlich neue Konzepte her, wenn man verhindern will, dass die Erfolgsquelle dieses hierzulande populären Sports eines Tages versiegt. Langfristige Strategien verfolgt indes eine tschechische Weltfirma, die mit ihrem Engagement der Eishockey-Weltmeisterschaft schon 20 Jahre lang den Rücken stärkt. Die Rede ist vom Autoproduzenten Škoda, der die zurückliegenden zwei Jahrzehnte als Hauptsponsor der WM in Erscheinung trat. Doch damit nicht genug. Getreu dem Motto „Was lange währt, ist gut“ haben die Verantwortlichen von Škoda bei der WM in Bratislava ihre Zusammenarbeit mit den Eishockey-Weltverband (IIHF) um weitere sechs Jahre verlängert. Eine Tatsache, mit der auch IIHF-Präsident René Fasel sichtlich zufrieden war. Und Winfried Vahland, der Vorstandsvorsitzende von Škoda Auto, freut sich schon jetzt, dass man im Jahr 2015 auch wieder eine WM in Tschechien unterstützen darf:

„Ich gehe davon aus, dass ich die WM 2015 persönlich mitfeiern darf, und darauf freue ich mich schon riesig. Ich habe im Jahr 2004 schon eine WM in Tschechien miterlebt, sowohl in Prag als auch in anderen Städten. Das war ein ganz toller Event, und ich habe immer mitgefiebert. Damals hat leider ein anderes Team gewonnen, doch diesmal sind es bestimmt die Tschechen.“

Diese Prognose hat sich in Bratislava zwar nicht bewahrheitet, umso mehr aber wird die tschechische Nationalmannschaft alles daransetzen, um beim nächsten Mal wieder ganz oben zu stehen.

Autor: Lothar Martin
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