Tschechiens krankes Gesundheitswesen
Die Probleme des tschechischen Gesundheitswesens sind das Thema unseres heutigen Schauplatzes. Mehr dazu erfahren Sie nun von Robert Schuster.
Es gibt wohl keinen anderen Bereich in der tschechischen Gesellschaft, wo in den vergangenen 16 Jahren so viele Reformversuche gestartet wurden: Die Rede ist vom tschechischen Gesundheitswesen, das somit auch zu den Dauerthemen der heimischen Innenpolitik gehört.
Die politisch Verantwortlichen waren dabei in der Vergangenheit mit äußerst unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Während es in der frühen 90er Jahren darum ging, den ganzen Gesundheitsbereich vom sozialistischen Planungsstil zu befreien und ein System der öffentlichen Krankenkassen aufzubauen, ist man mittlerweile mit einer Kostenexplosion und einer Überschuldung der meisten Kassen konfrontiert, vor allem der Allgemeinen Krankenkasse, bei der die Mehrzahl der Tschechen versichert ist.
Das Amt des Gesundheitsministers hat sich angesichts der riesigen Probleme in der Vergangenheit immer auch als Schleudersitz erwiesen. In den vergangenen 13 Jahren standen dem Ressort gleich sieben Minister vor. Auch jetzt steht das Land wieder einmal ohne Gesundheitsminister da, weil sich der sozialdemokratische Regierungschef Jiri Paroubek vergangene Woche entschlossen hatte, die bisherige Amtsinhaberin Milada Emmerova zu entlassen. Gemäß dem Wunsch des Premiers soll nun der Präsident der Tschechischen Ärztekammer, David Rath, als neuer Gesundheitsminister versuchen, in der kurzen Zeit, die noch bis zu den Wahlen bleibt, einige der größten Probleme des tschechischen Gesundheitswesens zu lösen.
Unabhängig davon, ob Rath nun tatsächlich das Amt übernehmen wird, oder nicht, drängt sich eine ganz grundsätzliche Frage in den Vordergrund: Was sind die Ursachen dafür, dass man gerade beim Gesundheitswesen nicht von der Stelle zu kommen scheint? Das fragten wir den Journalisten Petr Holub von der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny, der sich schon seit langem mit der Reform des Gesundheitswesens beschäftigt:"Es hängt damit zusammen, dass das Gesundheitswesen ein relativ kompliziertes System ist, das zum Bereich der öffentlichen Dienstleistungen gehört. Auch in anderen ähnlichen Bereichen, wie bei der Arbeitslosenunterstützung oder der Unterstützung für behinderte Menschen, ist es bislang nicht gelungen, den richtigen Weg einzuschlagen. Aber das Gesundheitswesen steht mehr im Vordergrund und wird von der Öffentlichkeit auch stärker verfolgt. Auch die permanenten Veränderungen an der Spitze des Gesundheitsministeriums verstärken den Eindruck, dass es dort noch Probleme gibt, die aber ehrlich gesagt bislang noch niemand zu lösen versucht hat."
In den vergangenen 16 Jahren gab es Versuche, das gesamte Gesundheitssystem zunächst mit liberalen, sprich marktwirtschaftlichen Rezepten zu heilen. Das war in den 90er Jahren, als die liberalkonservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) die Regierung stellte. Als dann aber die Sozialdemokraten Ende der 90er Jahre das Zepter übernahmen, wurde wiederum in einer stärkeren Rolle des Staates die Garantie gesehen, dass die Probleme gelöst werden können und sich bei der Gesundheitsversorgung gleichzeitig keine Zwei-Klassen-Medizin entwickelt, welche die Zugänglichkeit der medizinischen Grundversorgung für die Bürger an die Höhe von deren Einkommen gekoppelt hätte. Petr Holub meint, dass einer der Gründe auch darin liegt, dass die Transformation des Gesundheitswesens eigentlich nie richtig abgeschlossen wurde, wie er im Folgenden erläutert:
"Die Transformation des ganzen Gesundheitssystems vom kommunistischen Modell ist nicht ganz abgeschlossen. Hier trägt vor allem die früher regierende Demokratische Bürgerpartei ODS eine Mitschuld, weil sie im Jahr 1996 alle Reformen für abgeschlossen erklärte. Im Gesundheitsbereich führte das in der Folge sogar zu einem Anstieg der staatlichen Bürokratie. Als dann die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung übernahmen, wurde die Rolle des Staates noch weiter ausgebaut, viele Entscheidungen wurden unter politischen Gesichtspunkten getroffen. Die Folge war eine Kostenexplosion. Darin liegt wohl die Hauptursache des ganzen Problems."
Petr Holub hat bereits die explodierenden Kosten bei der Gewährleistung der medizinischen Versorgung angesprochen. Egal, wer letztlich die Leitung des Gesundheitsministeriums übernehmen sollte, zu seinen Hauptaufgaben wird es gehören, den überschuldeten Krankenkassen zu helfen. Die Kostenfrage scheint jedoch auf den ersten Blick kein spezifisch tschechisches Problem zu sein, denn schließlich wird über Ähnliches auch in Deutschland, Frankreich, oder anderen westeuropäischen Ländern diskutiert. Trifft dieser Vergleich zu? Dazu sagt Petr Holub:
"Das trifft nicht zu und zwar aus zwei Gründen. Zum einen lassen die Deutschen und Franzosen im Verhältnis zu ihrem Brutto-Inlandsprodukt weitaus mehr Mittel in das Gesundheitswesen fließen, ohne aber, dass ihre Systeme dadurch weniger effizient wären. Das bedeutet nicht nur, dass - wie in Tschechien - die zusätzlichen Mittel nicht irgendwo verloren gehen, sondern, dass sie auch bessere Leistungen für die Bürger mit sich bringen. Mit anderen Worten: Obwohl auch in diesen beiden Ländern die Gesundheitssysteme vor riesigen Schwierigkeiten stehen, ist deren Leistungsfähigkeit immer noch wesentlich höher als in Tschechien. Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, in das gegenwärtige System mehr Mittel aus privaten Quellen aufzunehmen. Weil das aber nicht geschieht, kommt das Gesundheitswesen nicht von der Stelle. Dem Staat bleibt dann nicht anderes übrig, als die immer größer werdenden Löcher von Zeit zu Zeit zu stopfen."
Während sich also laut Petr Holub die Situation des tschechischen Gesundheitswesens nicht mit jener in Deutschland und Frankreich vergleichen lässt, ist sicherlich die Frage berechtigt, wie es in den anderen postkommunistischen Ländern um die dortigen Gesundheitssysteme bestellt ist. In der Slowakei, deren Reformeifer in vielen Bereichen seit einigen Jahren Tschechien oft als Vorbild gegeben wird, wurde zum Beispiel vor zwei Jahren dem dortigen Gesundheitswesen ein ambitioniertes Reformprogramm verordnet, das auch vor Tabu-Themen wie einer stärkeren Beteiligung der Patienten an der Finanzierung des Gesundheitssystems nicht zurückschreckte. Wären vielleicht die slowakischen Erfahrungen, angesichts der immer noch starken Gemeinsamkeiten, was die Struktur der Gesellschaft angeht, auch auf Tschechien übertragbar? Petr Holub:
"Ich denke, dass es schwer ist, die Situation in Tschechien mit jener in der Slowakei oder Polen zu vergleichen. Der Grund ist, dass in diesen beiden Ländern die Ausgaben für das Gesundheitswesen geringer sind als in Tschechien, und es dort in der Vergangenheit bereits zu Engpässen bei der medizinischen Grundversorgung gekommen ist. Die Reformen, die etwa in der Slowakei in Angriff genommen wurden, waren teils Verzweiflungstaten, und sie sind sehr radikal angelegt worden. Aber für irgendwelche Schlussfolgerungen ist es noch zu früh. Zwar gelang es in der Slowakei, die finanzielle Situation des Gesundheitswesens zu stabilisieren, aber bislang ist nicht abzusehen, welchen Einfluss die gesetzten Maßnahmen auf die Qualität der Versorgung haben werden. In Polen dagegen hat man ein ganz anderes Modell gewählt, was zu einer Stärkung der Rolle des Staates führte, der nicht nur alle großen und wichtigen Krankenhäuser übernommen hatte, sondern auch die Kontrolle über die Krankenkassen. Da das aber nicht gleichzeitig zu einem Anstieg der gewährten finanziellen Mittel führte, ist im Zuge dieser Reformen in Polen heute die medizinische Grundversorgung gefährdet. Daneben entwickelten sich private Anbieter, die jedoch ihre Dienstleistungen nur denjenigen anbieten, die es sich leisten können."
Die Beispiele aus den beiden Nachbarländern Tschechiens legen die Vermutung nahe, dass man bei der Reform des Gesundheitswesens weder ausschließlich auf marktbetonte Lösungen, noch auf staatliche Regulierung setzen kann. Wäre also dieser Bereich ein klassisches Beispiel dafür, dass man hier einen dritten Weg beschreiten sollte? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Journalisten Petr Holub von der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny:
"Ich bin da für einen dritten Weg. Im Gesundheitswesen geht das wohl nicht anders. Natürlich könnten wir alles, so wie in den USA, nach den Regeln des freien Marktes gestalten und für die sozial Bedürftigen oder Rentner eine gewisse Grundversorgung sicherstellen. Aber das Problem ist, dass die tschechische Gesellschaft nicht so reich ist wie die amerikanische, weil nämlich hierzulande praktisch alle auf das solidarische System angewiesen sind. In Tschechien muss es also ein solidarisches Gesundheitssystem geben, in dem die Krankenkassen eine zentrale Rolle spielen sollen, denn diese können mit dem Geld immer noch effizienter umgehen, als der Staat. Dennoch müssen sie - so wie auch die medizinischen Einrichtungen - untereinander konkurrieren dürfen, wobei es notwendig ist, dass dieser Wettbewerb einer starken Aufsicht von Seiten der Behörden unterliegt."