Tschechiens Wirtschaft in guter Verfassung

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unseres Wirtschaftsmagazins, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Die tschechische Wirtschaft wächst, die Krone steigt, die Bevölkerung gibt Geld aus, die Investoren geben dem Wirtschaftsstandort Tschechien gute Noten, die Inflation ist unter Kontrolle: So gut standen die Zeichen am ökonomischen Horizont schon lange nicht mehr. Für die sozialdemokratische Regierung kommt all dies zur rechten Zeit, denn im Juni sind Wahlen, und wer möchte nicht die Verdienste für die gegenwärtige Situation für sich in Anspruch nehmen? Unabhängige Analytiker sind allerdings vorsichtiger bei der Beurteilung, wieviel vom gegenwärtigen Aufschwung tatsächlich der Regierungspolitik zuzuschreiben sei. Den Zustand der tschechischen Wirtschaft und einige damit zusammenhängende Fragen möchten wir in den folgenden Minuten etwas näher beleuchten, wir wünschen dazu guten Empfang.

Ende März hat das tschechische statistische Amt die jüngsten Daten zur Wirtschaftsentwicklung bekannt gegeben, und diese waren ausgesprochen positiv: Tschechien verzeichnete im Jahr 2001 mit einem realen Wachstum des Brutto-Inlandprodukts oder BIP von 3.6% nicht nur ein höheres Wachstum als ursprünglich angenommen, sondern gleich die beste Zuwachsrate seit fünf Jahren. Bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung haben laut Experten zwei Faktoren: Die im Jahr 2001 mit einem Volumen von rund 5 Milliarden Dollar reichlich fliessenden Auslandinvestitionen sowie der anziehende Binnenkonsum. Vor dem Hintergrund von Löhnen, die stärker gestiegen sind als die Preise, haben die tschechischen Familien mehr Geld zur Verfügung und geben dieses auch aus, und zudem geben einige auch Geld aus, das sie nicht haben. Denn die Privatisierung des Bankensektors hat einige wichtige Finanzinstitute grösserem Erfolgs- und Konkurrenzdruck ausgesetzt, was sich für die Bevölkerung beispielsweise in einem verbesserten Angebot an Konsumkrediten niederschlägt. Von solchen Krediten macht diese, beflügelt durch das Gefühl, besseren Zeiten entgegen zu gehen, auch Gebrauch.

Es wäre allerdings allzu schön, hätte das gegenwärtige Bild der tschechischen Wirtschaft nicht auch Schattenseiten. Solche sind die abflauende Nachfrage nach tschechischen Exportgütern auf den Märkten der von einer weniger stabilen Konjunkturerntwicklung gekennzeichneten Europäischen Union, unterstützt noch durch den relativ hohen Kronenkurs, der tschechische Ausfuhrartikel verteuert und den inländischen Produzenten die Handelsmargen verkleinert. Ausserdem ist die Produktivitätsentwicklung hinter der Lohnentwicklung zurückgeblieben, und schliesslich ist auch bei der Arbeitslosigkeit, die gegenwärtig bei rund 9.5 % verharrt, noch kein Trend zu einer langfristigen Besserung abzusehen. Und auch die öffentliche Schuld Tschechiens hat sich in den letzten vier Jahren praktisch verdoppelt.

Für die seit 1998 amtierende sozialdemokratische Minderheitsregierung sind die überraschend guten Wachstumszahlen der Wirtschaft ein Geschenk für den anlaufenden Wahlkampf. Der sozialdemokratische Vorsitzende Vladimir Spidla meinte denn auch, es handle sich um einen klaren Erfolg der Regierung, und zwar unabhängig davon, dass es aus globaler Sicht einige Probleme gebe. Aussenstehende Kommentatoren sind mit der Einschätzung, was Verdienst der Regierung sei und was nicht, naturgemäss vorsichtiger. Zwei Leistungen werden dem sozialdemokratischen Kabinett allerdings nicht abgesprochen: Dass es die Privatisierung der halbstaatlichen Grossbanken zu Ende gebracht hat und den Zufluss ausländischer Investitionen erheblich zu steigern vermochte. Die Auslandinvestitionen waren, das wurde eingangs schon gesagt, eines der Zugpferde des gegenwärtigen Wachstums, der Binnenkonsum das andere. Und gerade für den Zugang zu Konsumkrediten und erweiterten Modellen von Ratenzahlungen war die Bankenprivatisierung eine wichtige Vorbedingung.

Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, die meinen, die Regierung würde ungebührlich viel Verdienste für die positive Wirtschaftsentwicklung für sich in Anspruch nehmen. Eine dieser Stimmen gehört dem Marktanalytiker Pavel Kohout. Dieser wies in einem Kommentar für die Tageszeitung Mlada Fronta Dnes darauf hin, dass die Zahl des BIP-Wachstums von 3.6% für 2001 nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Das Brutto-Inlandprodukt könne vereinfacht als kumuliertes Volumen von Privatkonsum, öffentlicher Nachfrage, Investitionen und Netto-Ausfuhren betrachtet werden. In dieser Grösse figuriere ein weiterer wichtiger Wirtschaftsindikator, die öffentliche Schuld, allerdings nicht. Allein während des Jahrs 2001 sei aber die öffentliche Schuld um rund 70 Milliarden Kronen, am Brutto-Inlandprodukt gemessen rund 3.1%, angestiegen. Abzüglich des Schuldenzuwachses könne deshalb theoretisch von einer Steigerung der Wirtschaftsleistung nur gerade um ein halbes Prozent gesprochen werden. Weiter sei zu bedenken, dass in die Kategorie der Investitionen, die als Wachstumsmotor bezeichnet worden seien, auch der Zuwachs an Lagerbeständen gehöre, der für 2001 auf etwa 1.1% zu veranschlagen sei. Um Lagerbestände und Verschuldung bereinigt sei die tschechische Wirtschaft deshalb nicht gewachsen, sondern leicht geschrumpft, und von einem Wirtschaftswunder könne keine Rede sein. Und gelinge es nicht, die Verschuldung in den Griff zu bekommen und Ordnung in die öffentlichen Finanzen zu bringen, so warnt Kohout, könnte Tschechien vom Traum einer schnellen Wirtschaftsentwicklung nur allzu bald wieder auf den Boden von schmerzhaften Sparpaketen und konjunktureller Verlangsamung zurückgeholt werden.

Ein Kennzeichen der jüngeren Wirtschaftsentwicklung in Tschechien ist der inzwischen beständig relativ hohe Kurs der Krone. Diese hat gegenüber dem Euro in letzter Zeit kräftig zugelegt und damit frühere Prognosen widerlegt, es handle sich um einen zeitlich begrenzten Höhenflug. Noch vor einigen Monaten wurde der starke Kronenkurs der Erwartung der Finanzmärkte auf grosse Privatisierungen in Tschechien und damit zusammenhängende Zuflüsse ausländischer Devisen zugeschrieben. Denn diese Devisen müssten in Kronen umgetauscht werden, und die Nachfrage nach tschechischer Währung treibe deren Preis - sprich Kurs - in die Höhe. Wichtige Entstaatlichungen im Bereich von Energie und Telekommunikationen sind allerdings noch nicht zustande gekommen, doch der Kronenkurs bleibt dennoch hoch. Jetzt werden als Gründe dafür die guten Wachstumszahlen und die Tendenz zum Ausgleich des Aussenhandelssaldos genannt. Inzwischen gehen die Beobachter davon aus, dass der Kronenkurs gegenüber Euro und Dollar stark bleiben und in Zukunft eher noch weiter zulegen als nachgeben dürfte.

Für die tschechische Exportindustrie, deren Leistung das Land für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum nach Ansicht der meisten Experten benötigt, gilt es deshalb, sich auf einen relativ hohen Kronenkurs einzustellen. Das kann auf verschiedene Weise geschehen. Die Unternehmen können Abstriche bei der Handelsmarge und damit bei ihren Gewinnen in Kauf nehmen oder den Kronenkurs in die Preisgestaltung einfliessen lassen. Höhere Preise bedeuten allerdings einen Verlust an Konkurrenzfähigkeit. Ein anderer, besserer Weg könnte deshalb über Massnahmen zu Rationalisierung und Produktivitätssteigerung führen. Ohnehin ist die Produktivitätsentwicklung im letzten Jahr, wie Kommentatoren anmerkten, hinter der Lohnentwicklung etwas zurückgeblieben. Belebt sich die Konjunktur auf den wichtigsten tschechischen Exportmärkten, die vor allem in der Europäischen Union liegen, in nächster Zeit allerdings wieder, lässt der Druck auf die tschechische Ausfuhrindustrie damit etwas nach. Dafür, dass diese Belebung möglicherweise schon vor der Tür steht, könnten die Aussenhandelszahlen für den Februar ein Indiz sein, die erstmals in diesem Jahr einen positiven Saldo brachten.

Und damit sind wir am Ende der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins, diesmal zu den jüngsten Zahlen zur Konjunkturentwicklung.

Autor: Rudi Hermann
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