Tschechisch-deutscher Schüleraustausch auf italienischer Basis
Recht herzlich willkommen nun bei Radio Prag zur Sendereihe Begegnungen, am Mikrophon begrüßt Sie dazu diesmal Silja Schultheis. Für die meisten Schüler der Klassen 6b und 7a des Gymnasiums in der Ustavni-Straße in Prag-Bohnice, die bereits seit drei bzw. vier Jahren deutsch lernen, war es der erste Kontakt mit Deutschen. Umgekehrt hatten die Schüler des Berliner Albert-Einstein-Gymnasiums vor dem Austausch mit den Pragern kaum eine Vorstellung von Tschechien und den Tschechen. Zueinander gefunden haben beide Schulen über den gemeinsamen Fremdsprachenschwerpunkt. Das Albert-Einstein-Gymnasium ist Europa-Schule mit einer bilingualen deutsch-italienischen Klasse, einen ebensolchen Zweig gibt es an dem Prager Gymnasium. Im November waren die Berliner Schüler für mehrere Wochen zu Besuch in Prag und nahmen dort gemeinsam mit ihren tschechischen Gastgebern v.a. am Italienisch-Unterricht teil. Zuvor waren die Prager in Berlin gewesen, um dort nicht zuletzt ihr deutsch praktizieren zu können. Untergebracht waren die Schüler in beiden Fällen in tschechischen bzw. deutschen Gastfamilien. Ein vergleichsweise normaler Schüleraustausch also? Am besten, Sie bilden sich selber eine Meinung anhand der Stimmen, die wir Mitte November im Klassenzimmer der 7a - das entspricht in Deutschland der 10. Klasse - des Prager Gymnasiums eingefangen haben, als die Prager Schüler mit ihren Berliner Gästen zum Deutschunterricht eintrafen:
"Also, mir kam das hier alles sehr freundlich vor. Die Leute sprechen einen an und helfen einem. Ich habe einen guten Eindruck von Tschechien jetzt."
"Ich eigentlich auch. Sind alle sehr freundlich. Und vieles steht hier in deutsch, was mich aber teilweise eher genervt hat. Ich finde es eigentlich schon ganz lustig, dass wenn man in einem fremden Land ist, dass man sich dann auch bemüht herauszufinden, was einzelne Worte in der anderen Sprache heißen. Und wenn das überall auf deutsch steht, dann kann man das nicht. Klar, durch die Vergangenheit ist das schon klar mit dem Deutschen, aber ich finde, wenn das Deutsch vor dem Englischen steht, ist das schon etwas merkwürdig. Englisch ist schon die wichtigere Sprache, finde ich."
"Naja, die Altstadt ist sehr schön, aber es gibt auch viel Armut hier. An den Häusern, außerhalb Prags, die sind nicht sehr gut erhalten."
"Also, von meinen Bekannten wurden ziemlich viele Vorurteile geäußert: die klauen alle, man muss seine Tasche immer vorm Körper tragen, die sind alle so kalt, rassistisch gegenüber Deutschen - das stimmt doch überhaupt nicht. Das hat man mir erzählt, und da hab ich mir gesagt, machst Du den mal mit den Austausch. Und es ist ganz okay. Also, Vorurteile gegenüber Prag hatte ich schon gehabt. Aber die verschwinden auch nur, wenn man die Augen aufmacht und mal in so ein Land hereinfährt. Ich meine, Vorurteile gibt es überall..."
Eindrücke Berliner Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums von ihrem Aufenthalt in Prag. Ähnlich sei es den Tschechen zuvor in Berlin gegangen, schildert eine Prager Schülerin ihre eigenen Erfahrungen:
"Also, ich glaube, in Deutschland herrscht keine Diskriminierung gegenüber Tschechen, bei mir war das jedenfalls so. Die Schüler waren sehr nett und freundlich, das hatte ich nicht erwartet."
Grundsätzliche Differenzen oder gar Probleme mit ihren Austauschschülern konnten weder die deutschen noch die tschechischen Schüler feststellen:
"Nö, eigentlich nicht. Das läuft eigentlich bei mir in der Familie ähnlich. Also, überhaupt keine großen Unterschiede."
"Ich glaube, die deutschen Eigenschaften sind fast wie die tschechischen. Es gibt zwar Unterschiede, aber sie sind so klein, dass man es fast gar nicht beschreiben kann. Zum Thema Benes-Dekrete: Ich glaube, die Tschechen haben meistens genau dieselbe Meinung wie die Deutschen. Also, es gibt fast nichts zu diskutieren."
"Habt ihr auch über Politik gesprochen?" - "Nein!"
"Ich finde das ganz einfach Schwachsinn. Ich finde, Politik ist hier so und da so. Das kann man eigentlich gar nicht vergleichen. Jeder hat seine Angelegenheiten, und das ist okay. Wenn man in ein anderes Land fährt, dann ist da halt eine andere Politik. Man sollte sich lieber selber seinen Teil dazu denken. Aber ich glaube, man sollte das nicht so öffentlich sagen, weil man sich sonst ziemlich unbeliebt machen kann."
Wie die deutschen Schüler den Unterricht am Prager Gymnasium in der Ustavni Straße wahrnahmen, widersprach nahezu durchweg der allgemein verbreiteten Auffassung, dass es an tschechischen Schulen strenger zugeht als an deutschen.
"Der Unterricht läuft hier im Gegensatz zu Berlin eigentlich sehr locker. Meiner Ansicht nach wird sehr viel Quatsch gemacht. Viele Lehrer ziehen den Unterricht einfach durch, egal ob Krach gemacht wird oder nicht. Also, mir kommt das sehr albern vor."
"Die Lehrer sind ziemlich anders als bei uns. Die stört das scheinbar auch gar nicht, was die Schüler machen. Der Unterricht vom Lernstoff ist vielleicht schon streng, aber die Lehrer selbst nicht."
Robert Prochazka, Lehrer für Deutsch und Geschichte und treibende Kraft des Austausches auf Prager Seite erhofft sich vom gegenseitigen Kennenlernen der verschiedenen Unterrichtsformen im Endeffekt eine ideale Vermischung beider Schulsysteme:
"Die Schüler haben erzählt, in Deutschland kann man im Unterricht mehr diskutieren. Das tschechische Schulsystem ist eher auf Faktografie ausgerichtet und das Training zur Diskussion steht ein bisschen im Hintergrund. Man ist bemüht, dass sich diese Lage verbessert, auch wenn wir auf die positiven Seiten unseres Schulwesens nicht verzichten wollen. Das heißt, dass die Schüler nicht nur zur Diskussion fähig sind, sondern sich auch ein bisschen mehr mit den Fakten vertraut machen und lernen, damit fachlich und objektiv umzugehen."
Doch bereits jetzt fällt die Bilanz des bisherigen Austauschs für Robert Prochazka eindeutig positiv aus. Mit einer winzigen Einschränkung:
"Was ich vielleicht als ein bisschen negativ beurteilen würde: die Schüler im Alter von 14-18 Jahren verhalten sich manchmal ein wenig egoistisch. D.h. sie sind nicht bereit - oder es wurde ihnen vielleicht nicht beigebracht oder sie sind nicht daran gewöhnt - dass sie vielleicht unter bestimmten Bedingungen auf ihre persönliche Freiheit für einen bestimmten Zeitraum verzichten sollen. Das heißt, wenn sie einen Gastschüler haben, sollten sie sich um ihn kümmern, mit ihm selbstverständlich die Zeit verbringen und nicht sagen, dass ich mich jetzt mit meinen persönlichen Dingen beschäftigen muss und der Partner jetzt selber etwas unternehmen sollte."
Einschränkend fügt Herr Prochazka jedoch sofort hinzu, dass es sich hierbei um Einzelfälle gehandelt habe.
Für die Zukunft planen beide Partnerschulen neben über die gegenseitigen Besuche hinaus ein gemeinsames Theaterprojekt und eine Diskussionsveranstaltung zur geschichtlichen Entwicklung Deutschlands und Tschechiens - auffällig, so bliebe abschließend zu bemerken, waren übrigens im Gespräch mit den Schülern die nahezu fehlende Vorbereitung der Berliner Gymnasiasten auf ihren Prag-Besuch in der Schule und die entsprechend geringen Kenntnisse über Tschechien.