Tschechisch-österreichischer Zwist wegen Temelin spitzt sich zu

AWK Temelin

In Ceské Budejovice/Budweis stand am Mittwoch die erste öffentliche Anhörung zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) des Atomkraftwerks Temelin an. Doch bereits in ihrem Vorfeld haben die Temelin-Gegner keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Anhörung nicht ihren Vorstellungen entspricht. Warum man im Dauerzwist zwischen Österreich und Tschechien um den Zankapfel Temelin vermutlich auch nach der Anhörung von Budweis kaum einen Schritt bei der Lösung des Problems voran kommen wird, darüber informiert Sie Lothar Martin.

Die öffentliche Anhörung wurde einberufen von der internationalen Kommission, die das Gutachten über Temelin auf der Grundlage der tschechisch-österreichischen Vereinbarung von Melk erstellt hat. Neben den Mitgliedern des Expertenteams, das an der Ausarbeitung des Gutachtens mitwirkte, wurde zur Anhörung mit Henning Ehrenstein auch ein Vertreter der Europäischen Kommission als Gast erwartet. Das Mitglied des Expertenteams, Jan Pokorny vom Botanischen Institut der Wissenschaftlichen Akademie in Trebon, sagte vor der Anhörung über das Gutachten: "Mich überrascht, dass ein solch kompliziertes Problem, vor dem wir uns fürchten, in der Bewertung hinsichtlich seiner Umweltverträglichkeit insgesamt sehr positiv ausgefallen ist. Ich bin der Auffassung, wenn wir zum Beispiel die UVP an einer in einer bestimmten Lokalität angesiedelten Geflügelfarm vorgenommen hätten, dann wäre diese unter Umständen schlechter ausgefallen als das komplizierte und unvorhersehbare Problem beim Bau und Betrieb eines solchen Kraftwerks."

Eine Einschätzung, mit der sich die Vertreter der tschechischen Umweltorganisationen nicht identifizieren können. Daher wollten sie der Anhörung auch fernbleiben. Dana Kuchtova von der Vereinigung "Südböhmische Mütter" gab zur Begründung für die ihrer Meinung nach schlecht ausgearbeitete UVP folgendes an: "Es fehlt die Beurteilung des Risikos im Falle einer ernsthaften Havarie. Die Dokumentation bewertet nicht den gesamten nuklearen Verbrennungszyklus, sie bewertet lediglich eine Variante, und das ist die Inbetriebnahme von Temelin. Die Ausarbeitung des UVP-Berichts erfolgte in einem Zeitraum von rund drei Monaten. Das ist eine sehr kurze Zeit für eine seriöse wissenschaftliche Arbeit." Dana Kuchtova erklärte zudem, dass die Teilnahme ihrer Organisation an der öffentlichen Anhörung nur das schlechte und gefährliche Projekt des AKW´s Temelin vor der internationalen Öffentlichkeit legitimieren würde.

Ebenso konträr wie die Meinungen von Temelin-Befürwortern und Temelin-Gegnern stehen sich dieser Tage auch die Auffassungen der tschechischen und österreichischen Regierung zur durchgeführten UVP gegenüber. Aus der Sicht der österreichischen Regierung seien bisher keine Voraussetzungen für den Beginn des kommerziellen Betriebs des AKW´s Temelin geschaffen worden, behauptete der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am Dienstag. Überdies erklärte er, dass vor der Inbetriebnahme die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung ebenso notwendig sei wie die Vorlage einer "seriösen und vollständigen" UVP-Dokumentation. Da dies bisher nicht der Fall sei, sehe er die Bewertung des Kraftwerks hinsichtlich seiner Umweltverträglichkeit als unterbrochen an und die für den 9. Mai in Linz geplante öffentliche Anhörung als vorerst nicht notwendig.

Als "glatten Unsinn" hatte der tschechische Wirtschaftsminister Miroslav Gregr daraufhin das Ansinnen Schüssels nach einer neuerlichen Sicherheitsüberprüfung von Temelin bezeichnet. Tschechiens Umweltminister Milos Kuzvart äußerte sich moderater, indem er gegenüber der Nachrichtenagentur CTK erklärte, dass man zunächst einmal in Erfahrung bringen müsse, um welche Art Überprüfung es den Österreichern eigentlich gehe. Außenminister Jan Kavan wiederum verwies darauf, dass die Ausarbeitung einer sog. Nullvariante ebenso wie die Variante einer großen Havarie in der in Melk getroffenen Vereinbarung nicht vorgesehen ist und dass trotz der jetzt auftretenden Unstimmigkeiten zwischen Tschechien und Österreich über den vorgelegten UVP-Bericht, der Beendigung des seit Melk eingeleiteten Prozesses nichts im Weg stehen dürfte. Doch die österreichischen Temelingegner haben bereits buchstäblich mit Wegsperren, sprich: neuen Grenzblockaden gedroht. Es scheint, dass der wegen Temelin aufgerissene Graben zwischen Tschechien und Österreich eher immer breiter werde als dass er in absehbarer Zeit zugeschüttet werden könnte. Temelin ist längst zur Zerreißprobe für eine erweiterte EU geworden, in der es gilt, Meinungsverschiedenheiten nach klar vorgegebenen und von allen Mitgliedsstaaten akzeptierten Regeln auszutragen.