Er ist wohl der erfolgreichste lebende tschechische Autor: Michal Viewegh hat über 30 Bücher in den vergangenen 30 Jahren veröffentlicht. Manches wurde von den Kritikern als zu leicht befunden, aber zum Beispiel „Baječná léta pod psa“ oder auf Deutsch „Blendende Jahre für Hunde“ gilt als sehr gelungener Wurf. Deswegen stellen wir Ihnen den Autor in unserer Literaturserie vor.
„Weine nicht“, sagte Großmutter gerührt. „Wirst mit Opa Suchanzeigen ankleben.“ Großvater riß sich die Zigarette aus dem Mund: „Was denn für Anzeigen?!“ „Na, was denn wohl“, entgegnete die Großmutter unwirsch. „Daß sie uns entflogen sind!“ „Jetzt?!“, schrie Großvater. „Ausgerechnet jetzt werde ich mich um Wellensittiche kümmern!“ „Wann denn sonst? Kann ich was dafür, daß sie jetzt weggeflogen sind?“ „Ich kann sie kleben“, sagte Quido. „Wenn ich darf...“
Das Zitat stammt aus Michal Vieweghs Erfolgsroman „Blendende Jahre für Hunde“. Das Buch kam 1992 heraus und schaffte es auf Anhieb in die Bestsellerlisten. „Báječná léta pod psa“, so der tschechische Originaltitel, avancierte sogar zum erfolgreichsten tschechischen Roman der 1990er Jahre. Für Viewegh war es die Initialzündung zu einer sehr erfolgreichen Karriere. Im Interview für Radio Prag International bestätigt der Autor, dass dies der Wendepunkt war:
„Vorher habe ich zwar ‚Názory na vraždu‘ (Auf Deutsch in etwa: Ansichten über einen Mord, Anm. d. Red.) veröffentlicht, das war aber eine Novelle, ein Kammerspiel aus einer Kleinstadt über den Mord an einer Lehrerin. Und es zielte nicht auf die breite Leserschaft wie ‚Blendende Jahre für Hunde‘, wo es um das Leben zu kommunistischen Zeiten geht, um eine gute Familie, die in schlechten Zeiten lebt.“
Wahrheit und Fiktion
Der damals 30-jährige Michal Viewegh erhielt für den autobiographisch gefärbten Roman den Jiří-Orten-Preis für junge Schriftsteller. Und die Leser waren vor allem davon begeistert, wie der Autor die Zeit der sogenannten Normalisierung in der Tschechoslowakei darstellt. Schließlich war das neu so kurz nach der Wende: dass der Kommunismus auch in der Belletristik aufgearbeitet wurde. Was aber in dem Buch ist Wahrheit und was Fiktion?
„Es wäre absurd, dies in Prozentzahlen ausdrücken zu wollen. Aber metaphorisch betrachtet ist es halbe-halbe. Personen wie Pavel Kohout existieren natürlich, ich war auch zusammen mit meinen Eltern bei ihm zu Besuch. Ebenso stimmt, dass meine Eltern in Glasbläsereien gearbeitet haben, meine Mutter als Juristin und mein Vater als Ingenieur. Ich war wie der kleine Kvído als Kind dick. Aber viele Dinge sind auch erfunden. Denn ein Roman, der auf Fakten basiert, wäre langweilig. Der Autor muss also die Realität aufhübschen, die Figuren vereinfachen und aus fünfen zwei machen, damit der Leser nicht den Überblick verliert“, erläutert Viewegh.
Nach der Samtenen Revolution von 1989 wurde der tschechoslowakische Buchmarkt regelrecht überschwemmt – mit Titeln, die früher verboten waren, und Büchern, die sich mit den Verbrechen des kommunistischen Regimes auseinandersetzten. Doch bei Michal Viewegh standen weder antikommunistische Widerstandskämpfer im Mittelpunkt, noch die typischen Protagonisten aus der Zeit des Sozialistischen Realismus – sondern ganz normale Menschen. Und denen begegnet man seitdem auch in weiteren Büchern von ihm – zum Beispiel in „Erziehung von Mädchen in Böhmen“, „Völkerball“, „Geschichten über Sex und Ehe“, „Roman für Frauen“ oder „Die Liebe eines Vaters“. Die Protagonisten leben einfach ihr Leben, so gut sie es eben können. Doch nicht immer gelingt es ihnen – wie jedem von uns. Deswegen sagt der Autor:
„Eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Text ist meiner Meinung nach, dass er für die meisten Leser verständlich ist. Er sollte gut und leicht zu lesen sein. Was aber am Wichtigsten ist: Der Leser sollte dort eine Parallele zu seinem eigenen Leben finden. Denn wir lesen doch, um unser Leben irgendwie zu verstehen. In manchen Büchern finden wir dann Parallelen zu dem, was uns betrifft. Auch dort sind Menschen, die sich scheiden lassen, die untreu sind oder etwa traurig, die altern. Da wir in der Realität mit diesen Dingen zurechtkommen müssen, hilft es manchmal, dies im Buch zu durchleben.“
Wie seine Protagonisten ihre Alltagsprobleme angehen, beschreibt Michal Viewegh häufig mit einer guten Portion Humor. Diese Art von Leichtigkeit in den Text zu bringen, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen…
„Humoristisch zu schreiben erfordert große handwerkliche Fähigkeiten. Außerdem muss man auch selbst ein bisschen über den Dingen stehen. Ein Schriftsteller, der als Mensch langweilig ist, wird nicht einfach so ein unterhaltsamer Schreiber. Ich weiß allerdings nicht, was zum Beispiel die Verwandten von Zdeněk Jirotka über ihn und sein Buch ‚Saturnin‘ gesagt haben. Meine Erfahrung ist, dass man in der Lage sein sollte, seine Partnerin und seine Freunde mit seinen Geschichten zum Lachen zu bringen. Man muss sich den Humor irgendwie zurechtschleifen.“
Die besten Momente seien, wenn er selbst über die Szene lachen müsse, die er schreibe, bekennt Michal Viewegh. Das garantiere auch die richtige Wirkung bei seinen Lesern, glaubt er:
„Wenn selbst ich laut lachen muss, obwohl ich von der Arbeit müde bin, dann dürfte das wohl klappen. Am meisten erfährt der Autor aber bei den öffentlichen Lesungen. Das ist der beste Test nicht nur für die Wirkung des Humors, sondern für die Textqualität an sich. Jeder, der schon vor einem Publikum gelesen hat, weiß, wie 60 genervte Menschen aussehen und wie 60 gut unterhaltene.“
Lebens- und Schaffenskrise
Vor etwa acht Jahren ist Michal Viewegh jedoch das Lachen plötzlich vergangen. Der Autor war eigentlich fit, trainierte für einen Marathon, trank ab und zu ein Gläschen Rotwein. Doch an einem Samstagabend im Dezember 2012 riss ohne Vorwarnung seine Aorta. Der Rettungswagen brachte Viewegh ins Krankenhaus, wo er sofort operiert wurde. Danach war alles anders, sein ganzes Leben war ins Schwanken geraten – und als Autor schlitterte er in eine Schaffenskrise.
„Lange Jahre hatte ich das Glück gehabt, dass ich nicht wusste, was eine Schaffenskrise bedeutet. Ich habe meine Bücher auf der halben Pobacke runtergeschrieben. Nachdem meine Aorta geplatzt war, hatte ich schwere körperliche und psychische Probleme. Und da ging auch an mir der Kelch der Schaffenskrise nicht vorüber. Beim Roman ‚Biomanžel‘ (auf Deutsch in etwa: Der Bio-Ehegatte, Anm. d. Red.) und bei einigen der Erzählungen aus dem Hörbuch ‚Zpátky ve hře‘ (auf Deutsch in etwa: Zurück im Spiel, Anm. d. Red.) habe ich dies mit allen Facetten durchgemacht“, so der 58-jährige Schriftsteller.
Noch schlimmer war es aber im ersten Jahr nach Vieweghs Beinahe-Tod. Er habe praktisch keine fiktiven Texte mehr verfassen können und unter einer schweren Depression gelitten, sagt er. In dieser Zeit schrieb der Erfolgsautor ein Tagebuch, das ein Kritiker als „verheult“ bezeichnet hat. Aber er schäme sich nicht dafür, sagt Michal Viewegh im Interview. Genauso stehe er auch hinter jenen Büchern, in denen er seine politische Meinung deutlich gemacht hat. Dazu gehört unter anderem „Báječná léta s Klausem“ (auf Deutsch in etwa: Blendende Jahre mit Klaus), eigentlich eine Fortsetzung von „Blendende Jahre für Hunde“ und zugleich eine Auseinandersetzung mit dem ultraliberalen Vordenker, ehemaligen tschechischen Premier und Staatspräsidenten Václav Klaus. Vor allem sind es aber „Mafie v Praze“ (Die Mafia in Prag, Anm. d. Red.) und „Mráz přichází z Hradu“ (auf Deutsch in etwa: Der Frost kommt von der Burg) über die Korruption in den Kreisen aus Politik und Polizei in Prag.
„Ich habe das Gefühl, dass ein Schriftsteller nicht völlig gleichgültig sein und seine staatbürgerliche Meinung kundtun sollte, also auch zur Politik“, meint Viewegh.
Seine Leser scheinen jedenfalls auch das zu akzeptieren. Denn kaum ein Autor verkauft in Tschechien mehr Bücher als er. Außerdem wurden viele seiner Werke verfilmt und auch in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Das klinge so imposant, sagt der Schriftsteller über seine Präsenz im Ausland, und versucht dies etwas zurechtzurücken:
„In den meisten Ländern bin ich eigentlich ein unbekannter Autor. Nur in Deutschland, Slowenien, Kroatien und Polen sind mehrere meiner Bücher herausgekommen. Dort erschienen dann auch Rezensionen, oder ich habe Interviews für die Medien gegeben. In diesen Ländern wissen vielleicht einige Hundert oder sogar einige Tausend Menschen von mir. Aber anderswo, wie in den USA, gehöre ich zu den unbekannten Schriftstellern.“
Ins Deutsche übersetzt sind neben dem Erfolgstitel „Blendende Jahre für Hunde“ noch die Romane „Erziehung von Mädchen in Böhmen“, „Die Liebe eines Vaters“, „Roman für Frauen“, „Der Fall untreue Klára“, „Völkerball“, „Engel des letzten Tages“ und „Die Mafia in Prag“ sowie die Erzählbände „Geschichten über Sex und Ehe“ und „Zeitweiliger Orientierungsverlust“.
Derzeit arbeitet Viewegh seinen Aussagen nach an einem weiteren Tagebuch-Band. Über 300 Seiten habe er bereits geschrieben, so der Autor. Doch sein Traum sei etwas anderes:
„Ich würde gerne einen komplett humoristischen Roman schreiben. Natürlich ist auch ‚Blendende Jahre für Hunde‘ witzig, aber zugleich sollte es auch ein großer Gesellschaftsroman sein, der sich unter anderem auch mit Politik beschäftigt. Um es aber lapidar zu sagen: Ich möchte gerne meinen ‚Saturnin‘ verfassen. Ein Buch ohne jegliche Verpflichtung, eine Aussage zu treffen oder gesellschaftspolitische Probleme abzuhandeln. Reine Unterhaltung. Aber das ist vielleicht die schwerste Aufgabe, die vor mir steht.“