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26) Kateřina Tučková: „Das Vermächtnis der Göttinnen“

Kateřina Tučková

Bestseller-Autoren gewinnen nicht zwangsläufig viele Preise. Für die Schriftstellerin, Dramatikerin und Kunsthistorikerin Kateřina Tučková gilt aber beides. Ihr Roman „Das Vermächtnis der Göttinnen. Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten“ ist eines der erfolgreichsten Bücher der tschechischen Gegenwartsliteratur überhaupt. Es wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, bislang in 17 Sprachen übersetzt und auch auf die Theaterbühne gebracht.

Foto: Marián Vojtek,  Tschechischer Rundfunk

Der zweite große Roman der damals 32-jährigen Kateřina Tučková, „Žítkovské bohyně“, erschien 2012. Für die deutschen Leser liegt er in der Übersetzung von Eva Profousová als „Das Vermächtnis der Göttinnen“ seit 2015 vor. Sein Untertitel lautet „Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten“.

Weise Frauen mit magischen Kräften

Foto: DVA

Erzählt wird von Heilpraktikerinnen und Wahrsagerinnen aus abgelegenen Dörfern und Einöden an der Grenze zwischen Mähren und der Slowakei. Diese Frauen reichten ihr Können von Generation zu Generation weiter – bis das kommunistische Regime die geheimnisvolle Tradition unterbrach. Genannt wurden sie Göttinnen. Kateřina Tučková:

„Dies ist eine ungewöhnliche Bezeichnung. Es handelte sich um weise Frauen, die im Dorf Žítková in den Weißen Karpaten an der tschechisch-slowakischen Grenze lebten. Die Menschen glaubten, sie hätten übernatürliche oder magische Fähigkeiten. Die Göttinnen hatten umfassende Kenntnisse über den menschlichen Körper und Heilpflanzen. In den Bergen lebend, verließen sie sich nur auf das, was ihnen die Natur bieten konnte. Sie kannten auch die menschliche Psyche gut und beherrschten das, was wir heute als psychosomatische Behandlung bezeichnen. Einige von ihnen sagten auch die Zukunft voraus oder betrieben sogenannte  Liebesmagie. Kurz gesagt, es waren weise und begabte Frauen, die in den Weißen Karpaten vom 6. Jahrhundert bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts wirkten.“

„Das Vermächtnis der Göttinnen“ ist ein sogenannter „Faktenroman“, ein Buch, das Fiktion und Fakten virtuos verknüpft.

„Žítkovské bohyně“ | Foto: Městské divadlo Zlín

„Die Handlung basiert auf Ereignissen, die tatsächlich passiert sind. Ich habe fast drei Jahre damit verbracht und nach Geschichten rund um die Göttinnen gesucht. Priorität hatte für mich aber die literarische Bearbeitung. Ich habe Elemente, Momente und Ereignisse eingebracht, die ich in Archiven gefunden habe. Oder die ich von Zeugen gehört habe, die sich an die letzten Göttinnen in Kopanice erinnerten und wussten, wie sie arbeiteten und was sie machten.“

Dora Idesová, Jahrgang 1958, ist die fiktive Hauptfigur des Romans. Sie ist eine der letzten aus der Gemeinschaft der Göttinnen von Žítková. Deren Kunst hat sie allerdings nie erlernt. Dora studierte Ethnographie und entscheidet sich, eine umfangreiche wissenschaftliche Studie über die Göttinnen zu verfassen. Als Jugendliche musste Dora miterleben, wie ihre Tante Surmena in die psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Erst Jahrzehnte später, als die Archive der Staatssicherheit geöffnet werden, begreift die Protagonistin, dass Surmena wie auch die anderen Göttinnen als regimefeindlich verfolgt worden waren. Fassungslos deckt Dora bis die dahin unbekannten Schicksale ihrer Familie auf. Eine Spur führt dabei sogar zu der von Heinrich Himmler angelegten Hexenkartothek.

Žítková | Foto: Saskia Mišová,  Tschechischer Rundfunk

„Die Geschichte zeigt, dass jede Generation der Göttinnen Schwierigkeiten hatte beziehungsweise gegen eine Autorität kämpfen musste. Sei es die katholische Kirche, die die Göttinnen als Gefahr ansah, weil ihre Heilkunst auf Kräutern und Ritualen aus altslawischem heidnischem Wissen basierte. Oder seien es die Regime, die sich im 20. Jahrhundert in unser Land einschlichen. Die Göttinnen waren im Fokus nationalsozialistischer Forscher, die für die Organisation Ahnenerbe arbeiteten. Man wollte Überreste von altgermanischen Kulten dokumentieren und meinte, diese in den Göttinnen zu finden. Schließlich wurden die Heilerinnen von der kommunistischen Macht vernichtet, die sie als Feinde betrachtete. Denn ihre Aktivitäten waren nicht umsonst. Die Kunden bezahlten dafür oft mit Sachleistungen, manchmal aber auch mit Geld. Laut den kommunistischen Spitzen haben sie somit medizinische Praxis ohne Lizenz betrieben. Die Göttinnen haben immer jemandem missfallen und wurden verfolgt. Dies wollte ich in dem Buch festhalten: die Tatsache, dass diese ‚Altweiber aus den Bergen‘ dem einen oder anderen Mächtigen immer ein Dorn im Auge waren.“

Weiße Karpaten  | Foto: Tomáš Fránek,  Tschechischer Rundfunk

Ein Dorn im Auge den Mächtigen

Žítková | Foto: Saskia Mišová,  Tschechischer Rundfunk

Drei Jahre lang hat Tučková am Buch gearbeitet und die ostmährische Region regelmäßig besucht:

„Ich habe dort wirklich schöne Momente erlebt und mich mit vielen Leuten angefreundet. Bis heute erinnere ich mich gut an den ganzen Forschungs- und Schreibprozess. Ich ging dort zu Festen und verbrachte die Ferien in einem gemieteten Häuschen in Kopanice. Ich besuchte die Einheimischen, um sie nach Erinnerungen und Erfahrungen mit den letzten Göttinnen zu fragen. Es hat mir geholfen, die Atmosphäre aufzusaugen, die Einheimischen kennenzulernen und Geschichten von ihnen aus unmittelbarer Nähe zu hören. Im Buch spürt man auch, dass ich mich in die Region verliebt habe. Es ist ein Ort mit einer schönen Natur und netten Menschen. Man schlägt dort schnell und gerne Wurzeln.“

Kateřina Tučková bezeichnet sich selbst als rationalen Menschen. Wie steht es also mit ihrem eigenen Glauben an die magische Kraft der Göttinnen?

Kateřina Tučková | Foto:  (c) Lenka Hatašová

„Ich stehe der Hauptfigur Dora Idesová nahe. Sie ist eine Skeptikerin und Forscherin, die nur an das glaubt, was sie Schwarz auf Weiß sieht oder selbst ausprobiert. Als ich die Zeitzeugen traf, die die Heilmethoden der Göttinnen beschrieben, habe ich begriffen, dass es funktionierte: Es ging den Menschen besser, weil sie an die Macht der Göttinnen geglaubt haben. Ob dies nun an der Behandlung mit den Heilpflanzen lag oder an den Kenntnissen über Körper und Psyche – diese Zeitzeugen sind ein lebendiger Beweis dafür, dass es funktionierte. Für mich war es dann nicht mehr wichtig, ob die gewünschte Wirkung durch magische Rituale, die persönliche Ausstrahlung oder durch das Wissen der Göttinnen hervorgerufen wurde. Während der Beschäftigung mit diesem Thema musste ich meine Grenzen von Rationalität und Skepsis verschieben. Ich blieb aber trotzdem auf meinen rationalen Positionen stehen.“

Kateřina Tučková gewann für ihren Roman „Žítkovské bohyně“ den Leserpreis Magnesia Litera, den tschechischen Bestseller des Jahres 2012 sowie den Josef Škvorecký-Preis. Mit mehr als 100.000 Exemplaren ist der Roman eines der meistverkauften Bücher in Tschechien überhaupt. Die Gemeinde Žítková erlebt seit dem Erscheinen des Romans 2012 einen gewaltigen Besucherandrang.

Mähren als Thema

Foto: KLAK Verlag

Die mährischen Wurzeln der Autorin spiegeln sich auch in ihren weiteren Werken wider. Diese handeln von der Geschichte und von bedeutenden Persönlichkeiten Mährens, aber auch von der Stadt Brno / Brünn mit ihrer multiethnischen und multikulturellen Vergangenheit.

Großes Aufsehen erregte Tučková schon mit ihrem Debütroman „Vyhnání Gerty Schnirch“ 2009. In der deutschen Übersetzung von Iris Milde erschien das Buch 2018 unter dem Titel „Gerta. Das deutsche Mädchen“. Kateřina Tučková thematisiert darin die Umstände rund um die Vertreibung der Brünner Deutschen am 31. Mai 1945 und beleuchtet ein dunkles Kapitel der Stadt: den „Brünner Todesmarsch“.

„Es ist die Geschichte von Gerta Schnirch, einer 21-jährigen Frau aus einer tschechisch-deutschen Familie. 1945 musste sie Brünn verlassen und wurde dann auf dem mährischen Land mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie durfte zwar nach Brünn zurückkehren, ihr schwieriger Weg war damit aber keinesfalls zu Ende. Die Grauen, die sie am Ende des Krieges erleben musste, der Verlust der Staatsbürgerschaft und ihrer Würde haben sowohl ihre Tochter als auch noch ihre Enkelin schwer betroffen.“

Vor wenigen Wochen gab Tučková bekannt, dass sie ihren lang erwarteten Faktenroman „Bílá Voda“ („Weißes Wasser“) fertiggestellt hat. Darin beschäftigt sich die 41-jährige Brünnerin mit dem leidvollen Schicksal von Ordensschwestern in der Tschechoslowakei Anfang der 1950er Jahre. Das Buch kommt im Frühjahr 2022 heraus.

Kateřina Tučková | Foto:  (c) Jaroslav Kocián
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Autoren: Markéta Kachlíková , Tomáš Pancíř
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