Tschechische Firmen treten vermehrt als Investor auf / Neuer Geist für alte Industriebauten

industrialni_stopy3.jpg

Die positive Entwicklung der tschechischen Wirtschaft stärkt auch die Finanzkraft ihrer erfolgreichen Unternehmen. Diese sind daher mittlerweile in der Lage, auch im Ausland zu investieren. Eine etwas außergewöhnliche Biennale wiederum soll dazu beitragen, alten Industriebauten neues Leben einzuhauchen.

Ups and downs in der tschechischen Wirtschaft

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Tschechische Unternehmen gehören auf dem europäischen Wirtschaftsmarkt schon längst nicht mehr nur zu den Nobodys, die sich des Kapitals von Firmen der großen westeuropäischen Industrieländer nicht erwehren können und daher aufgekauft werden. Im Gegenteil! Der wirtschaftliche Boom in Tschechien und die gute Auftragslage ermöglichen es mehreren Unternehmen bereits, in anderen EU-Ländern zu investieren und die Geschicke ausländischer Firmen mitunter selbst in die Hände zu nehmen. So hat zum Beispiel die tschechische Holding Agrofert ihre Geschäftstätigkeit inzwischen auf den deutschen Getreide- und Rübenmarkt ausgedehnt und dabei in Sachsen die Firmen Dreha Dresdner Handelsgesellschaft und Getreide GmbH Pirna aufgekauft. "Wir können jetzt auch in Deutschland Rüben für unsere in Lovosice geplante Herstellung von Biodiesel beziehen", nannte Unternehmenschef Andrej Babis der tschechischen Tageszeitung "Hospodarske noviny" einen der Vorteile, die Agrofert aus der Investition ziehen wird.

Einen nicht minder lukrativen Auftrag hat sich die Maschinenbaufirma CKD Praha in Russland an Land gezogen. Für das Gemeinschaftsunternehmen Lukoil und Conoco-Philips wird sie einen Großteil der Ausrüstung zur Förderung von Erdgas in einem Gesamtwert von 47 Millionen Euro liefern. Zu dieser Ausrüstung gehört zum Beispiel ein Kompressoren-Aggregat mit einer Leistung von zweimal 4,5 Megawatt. Zur Bedeutung des Großauftrags für die traditionsreiche Firma erklärte CKD-Generaldirektor Jiri Rosicky:

"Der Auftrag ist für uns wichtig, denn wir stoßen damit erneut das Tor zu groß angelegten Arbeiten auf dem Gassektor auf. Das ist ein Bereich, der sehr viel Perspektive hat. Zudem bietet der lukrative Auftrag auch weiteren Partnern der CKD-Gruppe die Möglichkeit, an ihm zu partizipieren. Das sind die Firmen CKD Nove Energo und CKD Elektrotechnika."

In nahezu ganz Ost- und Südosteuropa hat mittlerweile die tschechische Energiegesellschaft CEZ ihre Investitionstätigkeit ausgebreitet. Der jüngste Coup, den CEZ dabei landen will, ist der Bau eines Wasserkraftwerks in Mazedonien, für den der Konzern ein Angebot abgegeben hat.

Bereits einen Schritt weiter ist die westböhmische Aktiengesellschaft Karlovarske mineralni vody, die seit kurzem mit 25 Prozent am renommierten österreichischen Mineralwasserproduzenten Waldquelle beteiligt ist. Die Vertragsunterzeichnung Mitte August in Wien kommentierte die Österreich-Korrespondentin des Tschechischern Rundfunks, Marie Woodhams, unter anderem mit diesen Worten:

"Die Verzahnung der tschechischen Topfirma auf dem Gebiet der Mineralwasserproduktion mit dem österreichischen Unternehmen Waldquelle lässt sich mit einem Augenzwinkern als eine Annäherung der ursprünglichen Partner aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bezeichnen."

Hinter die Fassade geschaut

Erst in den zurückliegenden Jahren hat man auch in Tschechien begriffen, dass ehemalige ausgediente Industriekomplexe nicht nur musealen Charakter haben oder nur für die Abrissbirne bestimmt sind. Wie Eva Dvorakova vom nationalen Institut für Denkmalspflege anmerkt, zeugt davon auch die gestiegene Anzahl von alten Industriebauten im Verzeichnis der Kulturdenkmäler:

"Die Entwicklung der Gesellschaft ist abhängig vom Stand der Technik bzw. der technischen Entwicklung. Daher sind die historischen Industrieobjekte, die uns als exemplarische Beispiele verschiedener Epochen erhalten blieben, ein untrennbarer Bestandteil des kulturellen Reichtums der ganzen Welt."

Dennoch verfallen Hunderte von verlassenen Bergwerken, Eisenhütten, Zuckerfabriken und Werkshallen zusehends weiter. Dabei gehören diese ehemaligen Industrieanlagen nach Meinung von Architekt Benjamin Fragner zu den wertvollen Denkmälern der böhmischen, mährischen und schlesischen Vergangenheit. Schon allein deshalb, weil die Bauten unserer Vorfahren nicht nur zweckdienlich errichtet wurden, sondern auch stilvoll gestaltet waren:

"Das äußert sich mehrheitlich in der einzigartigen Architektur der Gebäude oder darin, wie die Architektur mit den tragenden Elementen der Baukonstruktion kombiniert wurde."

Zu einer ähnlichen Meinung gelangt man, wenn man eine Fotoausstellung im Altstädter Rathaus von Prag besucht, die ein Bestandteil der vierten Biennale "Industrialni stopy" (Industriespuren) ist, die dieser Tage in Prag, Kladno, Liberec / Reichenberg und Ostrava / Ostrau stattfindet. Das jedenfalls findet Kurator Jan Hozak, der ebenso darauf verweist, dass die Aufnahmen aus den Sammlungen des Nationalen Technischen Museums in Prag stammen:

"Auf den Fotos ist unter anderem sehr gut zu sehen, was für eine Faszination von der Architektur der damaligen neuen Industriebauten ausging und dass diese Gebäude nicht nur ihrem Zweck dienten, sondern auch eine Ansicht auf das zeitgemäße Umfeld gewährten. Sie geben auch heute noch einen Einblick in das Milieu der Menschen von damals und zeigen, wie Technik und Industrie das Leben der Menschen stets beeinflusst haben."

Auf diese und weitere Gesichtspunkte will die bereits erwähnte Biennale aufmerksam machen, die noch bis zum Sonntag in den vier genannten tschechischen Städten zu sehen ist. Sie soll die kulturelle Bedeutung der technischen Denkmäler hervorheben und Möglichkeiten zu deren Wiederbelebung aufzeigen. Der Direktor des Forschungszentrums für Industrieerbe an der Technischen Universität für Technik in Prag und Mitbegründer der Biennale, Prof. Benjamin Fragner, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass man anfangs auf der Suche nach einem Lösungsweg fast in einer Sackgasse gelandet sei:

"Am Anfang herrschte die wohl etwas naive Vorstellung, dass man die Mehrzahl dieser Industriebauten lediglich als Museum oder als eine Art Kulturzentrum nutzen könnte. Dieser Gedanke stand jedoch auf tönernen Füßen, denn dafür fehlt einfach das Geld. In den letzten Jahren aber haben sich dann solche Projekte als vorteilhaft herausgestellt, die nach einigen Umbaumaßnahmen zum Wohnen oder als Büro genutzt werden können. Oder aber man setzt in diesen Altbauten eine neue Kleinproduktion in Gang, die das gesamte Objekt zu neuem Leben erweckt."

Um tatsächlich aufzuzeigen, zu welchen Anlässen man ehemalige Industriebauten noch nutzen kann, wird zum Beispiel die Hauptveranstaltung der Biennale, eine internationale Konferenz, am Mittwoch und Donnerstag im Gebäude einer ehemaligen Prager Kläranlage stattfinden, die mittlerweile zu einem Ökotechnischen Museum umgebaut worden ist. Zudem wird die Ausstellung von Studentenprojekten zum Thema "Neue Nutzung von Industrieanlagen" in einer ehemaligen Prager Schinkenfabrik zu sehen sein. Von zirka 40.000 immobilen Kulturdenkmälern in Tschechien werden heute 2863 zu den technischen Denkmälern gezählt. Vor 50 Jahren waren es nur 1500 Technikbauten von rund 30.000 geschützten Liegenschaften. Dem Trend zufolge soll ihre Anzahl also weiter steigen, allerdings mit der klaren Vorgabe, dass diese Industriefossile entweder als Wohnungen, Geschäfte oder Büros genutzt oder anderweitig zu neuem Leben erweckt werden.