Tschechische Frauen im Zweiten Weltkrieg
Vor 75 Jahren gelang der Roten Armee der Durchbruch am Dukla-Pass. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, die deutschen Besatzer aus der Tschechoslowakei zu vertreiben sowie in Richtung Wien und Budapest vorzudringen. An der Seite der Sowjets kämpften auch viele Tschechen und Slowaken. Es waren zwar meist Männer, aber auch viele Frauen gingen an die Front. Der Tschechische Rundfunk und das Projekt Paměť národa (Volksgedächtnis) haben drei frühere Soldatinnen über ihr Leben in der damaligen Zeit erzählen lassen. Wir haben die interessantesten Passagen zusammengestellt.
Mit 16 Jahren in die Armee
Ab 1941 lebt sie im heute ukrainischen Luhansk. Dort arbeitet der Vater in der Felix-Dserschinki-Lokfabrik. Dann beginnt im Juni des Jahres der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Božena Ivanová:
„Innerhalb von einer Woche wurde die Produktion in der Fabrik auf Panzer umgestellt. Das haben natürlich auch die Deutschen mitbekommen, und es gab schwere Bombenangriffe auf Luhansk. Zwei- bis dreimal in der Woche wurden diese Attacken geflogen. Allerdings war die Fabrik so stark von Luftabwehrgeschützen umringt, dass die deutschen Flieger nicht ein einziges Mal durchkamen. Stattdessen warfen sie ihre Bomben über der Stadt ab. Wir wussten nie, wann das kommt. Luhansk wurde ziemlich zerstört.“
Die Sowjets entschließen sich letztlich, die Fabrik zu evakuieren und die Produktion weit in den Osten zu verlagern. Ein Teil soll damals im sibirischen Omsk angesiedelt werden. Das heißt, die Familie von Božena Ivanová bricht mitten im Krieg zu einer weiten Zugfahrt auf. Sie dauert einen Monat lang. Immer wieder müssen sie wichtigere Transporte vorbeilassen, die verwundete Soldaten oder besonders Gefährdete in Sicherheit bringen. Dies geschieht auch an einem Eisenbahnknotenpunkt bei Woronesch.„Uns wurde gesagt, dass wir warten müssten, weil hinter uns ein Transport mit Kindern sei, die aus Leningrad evakuiert würden. In der Nacht wurde der Zug dann an uns vorbeigelassen. Als wir am Morgen weiterfuhren, trafen wir auf den völlig zerbombten Zug. 500 Kinder und 200 Betreuer, keiner lebte mehr… Wir mussten alles beseitigen. Wir waren nur ein paar Familien mit Söhnen und Töchtern wie ich, im Alter von 14 Jahren oder älter. Wir haben große Handschuhe bekommen, die uns von den Händen rutschten, weshalb wir sie mit Fäden festzurrten. Auch wir mussten die toten Kinder wegschaffen“, so Božena Ivanová.
Die Familie erreicht dann Omsk. Schon bald aber folgen weitere Umzüge.
Als man 1944 in Alma Ata ist, hört der Vater im Radio, dass eine tschechoslowakische Einheit aufgebaut würde. Und dass das zentrale Lager in Busuluk in der Oblast Orenburg liege:„Mein Vater hat keinen Moment gezögert. Zwei Tage später unterbrach er seine Arbeit und fuhr nach Busuluk. Wir sind erst Anfang August nachgekommen, weil mein Vater das Geld für uns ansparen musste. Auch ich habe mich dort zur Armee gemeldet. Da ich bereits 15 Jahre war, haben sie mich zur Ausbildung angenommen. Mein Vater sagte aber nein, ich sollte noch in die Schule gehen. Am Ende der zehnten Klasse machte man das Abitur. Ich habe dann in Busuluk noch die achte Klasse abgeschlossen.“
Flucht in die Sowjetunion
Jiřina Tvrdíková stammt aus der Karpatenukraine, die vor dem Krieg zur Tschechoslowakei gehört. Ihr Vater ist Tscheche, ihre Mutter aus der Ukraine. 1939 besetzen die Ungarn ihre Heimat, es sind Verbündete von Hitler-Deutschland. Im Alter von 16 Jahren entschließt sie sich zusammen mit fünf weiteren Freunden, in die Sowjetunion zu fliehen. Sie glauben der Propaganda aus Moskau von einem gerechteren Leben jenseits der Grenze. Eigentlich will Tvrdíková damals Ärztin werden, denn sie geht in Užhorod auf die Oberschule für Medizin. Im Tschechischen Rundfunk sagte sie über ihre Fehlentscheidung:„Irgendein Arsch, das muss ich so sagen, hatte verkündet: ‚Kommt in die Sowjetunion! Dort könnt Ihr weiter in die Schule gehen und Euer Abitur machen. Man wird Euch wie Menschen behandeln‘.“
Die Realität jedoch: Sie wird von einer sowjetischen Grenzwache verhaftet, und ihr Bewacher versucht sie zu vergewaltigen. Sie kann zwar entkommen, trotzdem landet sie im Gefängnis. Anderthalb Jahre lang wird sie in Iwanowo inhaftiert und immer wieder verhört. Letztlich verurteilt man sie wegen illegalen Grenzübertritts zu drei Jahren Gulag. Sie kommt nach Uchta am gleichnamigen Fluss im Nordwesten Russlands. Drumherum ein Riesenlager mit fast 20.000 Menschen. Auf dem Wasser wird Holz geflößt, und Jiřina Tvrdíková muss im Sägewerk arbeiten. Doch sie ist mittlerweile extrem abgemagert…
„Ich habe eines der Bretter genommen, und schon lag ich auf dem Boden. Ich wog ja nur noch vielleicht 35 Kilogramm. Der Aufseher trat mir in den Rücken und rief: ‚Du Tschechin, willst wohl nicht arbeiten.‘ Ich sagte: ‚Fahr zur Hölle, du Schwein!“Jiřina Tvrdíková muss Misshandlungen erdulden, den Hunger und die Erniedrigungen. Das geht so weit, dass sie Selbstmord begehen will. Sie legt sich einfach in den Schnee und wartet auf den Tod. Doch eine russische Frau rettet sie. Tvrdíková überlebt Uchta und wird zum Schluss ihrer Haft nach Kasachstan gebracht, um auf einer Kolchose zu arbeiten. Das ist 1942. Wie die Familie von Božena Ivanová erfährt sie, dass in Busuluk das tschechische Korps der Roten Armee formiert wird. Sie schließt sich den Truppen an – das machen im Übrigen auch viele andere Tschechen und Slowaken, die im Gulag gelandet sind.
Die ganze Nacht deutsche MGs
Die junge Frau ist allerdings so ausgehungert, dass sie zunächst wegen der Ruhr behandelt werden muss. Danach wird sie aufgrund ihrer Vorbildung zur Sanitäterin ausgebildet. Anfang 1943 kommt sie hinter Kiew an die Front. Ihr fünfköpfiges Sanitäter-Team folgt der vorrückenden Armee immer dicht auf den Fersen.„Ich habe draußen gearbeitet, wir haben die Verletzten aufgesammelt. Manchmal schrie solch ein armer Kerl, aber wir konnten nicht hin, weil die Deutschen uns beobachtet haben. Die schossen aus den MG, sodass die Nacht zum Tag wurde. Immer in der Dunkelheit wurde angegriffen. Ich hatte keine Ahnung vom Krieg. Wir hatten sogar Kopfkissen mitgebracht. Der Offizier fragte: ‚Wozu braucht ihr die denn?‘ Wir: ‚Damit wir auf etwas schlafen können.‘ Und der Offizier lachte: ‚Ihr denkt, dass ihr an der Front schlafen werdet?‘ Wir haben drei Wochen lang keine Nachtruhe gehabt“, so die Veteranin.
Jiřina Tvrdíková macht den ganzen Vormarsch der Roten Armee bis über den Dukla-Pass mit. Sie sieht Kriegsgräuel und muss selbst töten. Im Jahr 1944 wird sie bei Liptovský Mikuláš in der Slowakei schwer verwundet.
„Ich habe einen Verletzten behandelt. Als ich ihn aus dem Matsch ziehen wollte, bekam ich einen Schuss in die Wirbelsäule. Ich war gebückt. Ein deutscher Soldat war am Sterben und zog wohl aus Angst seine Pistole. Ich habe ihn dann noch erschießen können.“
Tvrdíková hat Glück im Unglück. Die Kugel verfehlt knapp ihr Rückenmark. Erst einen halben Tag später wird sie gefunden, weil sie nach einer Minenexplosion auch noch zum Teil verschüttet ist. 25 Tage lang liegt sie danach ohnmächtig in einem russischen Lazarett. Als sie langsam wieder auf die Beine kommt, wird sie per Hubschrauber von Poprad nach Prag gebracht, wo sie das Kriegsende erlebt.Patriotisch erzogen
Slávka Altmanová stammt aus der tschechischen Gemeinde Sedmiduby in Wolhynien. Sie sagt, sie habe bis zu ihrem 16. Lebensjahr ein schönes Leben gehabt in der Gegend, die damals zu Polen gehört. Dann kommen die sowjetische und die nationalsozialistische Besatzung, mit Pogromen und Massenmorden an praktisch allen Bevölkerungsteilen. Man habe in ständiger Angst gelebt, erzählt Slávka Altmanová. Am schlimmsten habe sie aber das Jahr 1944 in Erinnerung. Da erobert die Rote Armee gerade Wolhynien zurück, und die Wehrmacht stoppt in der Nähe ihres Dorfes ihren Rückzug:
„Sie haben dann auch die tschechischen Dörfer unter Beschuss genommen. Fünf Wochen lang haben wir nur im Keller geschlafen. Von unserem Hof wurde ein Drittel des Hauptgebäudes zerstört und noch ein weiterer Bau. Granaten flogen, Flugzeuge warfen ihre Bomben ab. Damals war es äußerst gefährlich, und dann kamen die Sowjets.“
Slávka Altmanová weiß aber was sie will: Sie meldet sich freiwillig zur Armee, zum tschechoslowakischen Korps unter der Leitung des späteren tschechoslowakischen Präsidenten Ludvík Svoboda. Es ist der 15. Februar 1944.„Im Jahr 1944 ist auch die Svoboda-Armee, wie wir sie genannt haben, bis nach Wolhynien vorgerückt. Das war das 1. Tschechoslowakische Armeekorps. Wir waren rund 45.000 Tschechen in diesem westlichen Teil der Ukraine, und alle haben sich spontan an die Front gemeldet. Uns wurde gesagt, jede helfende Hand sei willkommen. Die Mädchen waren dann Funkerinnen, Funktechnikerinnen oder Sanitäterinnen. Auch ich habe mitgemacht. Mein Vater willigte ein. Er sagte, da er keinen Sohn habe, solle die Tochter gehen. Wir waren sehr patriotisch erzogen“, so Altmanová.
Die Wolhynien-Tschechin wird zur Funkerin geschult. Am 6. September kommt sie an die Front, ihre Einheit muss Drähte legen, um eine Verständigung zwischen den Armeeteilen herzustellen. Aber auch Slávka Altmanová gerät irgendwann direkt in den Kugelhagel:„Als uns die Deutschen unter Beschuss nahmen, wurde direkt neben mir ein Soldat erschossen. Er war Vater zweier Kinder, und ich habe gedacht: Besser, es hätte mich getroffen. So war es mitten im Kampf.“
Wie durch ein Wunder wird Slávka Altmanová nicht ein einziges Mal ernst verwundet. Sie erreicht mit dem tschechoslowakischen Armeekorps sogar Prag. Nach dem Krieg siedelt sie sich wie die anderen Wolhynien-Tschechen in der Tschechoslowakei an. Sie findet in Chomutov / Komotau eine Arbeit als Zahntechnikerin, heiratet und zieht nach Plzeň / Pilsen um – doch ihre Seele kann sich nicht vom Krieg befreien. Schwere Depressionen machen sie später zur Frührentnerin…