Tschechischer Holocaust-Zeitzeuge stellt bewegte Autobiographie vor
Was geht in einem vierjährigen Kind vor, das die traute Heimat hinter sich lassen muss, um dem Tod zu entgehen? Genau dieses Gefühl musste Detlev Landgrebe am eigenen Leib erfahren. In seinem Buch: „Kückallee 37 – Eine Kindheit am Rande des Holocaust“, erzählt Detlev Landgrebe, wie er die damalige Flucht vor den Nazis erlebt hat. Bei der Buchvorstellung im österreichischen Kulturforum in Prag schilderte er seine Erinnerungen.
Das Publikum lauscht gebannt, während Detlev Landgrebe sein Werk präsentiert. Es handelt von der Geschichte um die Verfolgung der jüdischen Familie durch die Nationalsozialisten. Sein Vater Ludwig Landgrebe habilitiert 1933 an der deutschen Prager Universität und lehrt Philosophie. Sechs Jahre später flüchtet die Familie von Prag nach Belgien, um der Deportation der jüdischen Mutter zu entgehen. Da die Deutschen auch dort schnell auf dem Vormarsch sind, können sie nicht bleiben. An diese Zeit erinnert sich Detlef Landgrebe genau:
„Wir haben den Sommer 1940 noch in Belgien verbracht und sind dann mit dem Zug aus Belgien über die deutsche Grenze gefahren. In der Nähe von Aachen sind wir aber von der Gestapo aus dem Zug geholt worden. Mein Vater musste in eine Baracke kommen und wurde da von der Gestapo verhört. Und da hat er sich der Gestapo gegenüber erklärt, dass er kein Vaterlandverräter sei. Es war seine große Angst, als solcher bezeichnet zu werden, weil er ja jetzt nach Deutschland zurückkehre.“
Zurück in Deutschland sucht die Familie Zuflucht im schwiegerelterlichen Haus in Reinbek bei Hamburg. Dort verbringen sie Jahre der Angst und leiden unter dem zunehmenden Terror der Nazis. In seinem Buch verarbeitet der Autor seine traumatischen Erlebnisse:
„Als meine Großeltern im Oktober 1941 die Nachricht erhielten, dass sie deportiert werden sollten, wurden schnell die Koffer gepackt. Auch die reichen Freunde von nebenan haben ganz viele Sachen rübergebracht, weil die Juden ja alle dachten, sie würden nur umgesiedelt. Am Tag vor der Deportation kam der Dorfpolizist. Die Tür zu meinem Kinderzimmer lag so, dass ich auf die Wohnungstür schauen konnte. Der Polizist erklärte meiner Großmutter, dass sie nicht deportiert werden würden. Sie ist dann vor ihm zusammengebrochen und hat seine Knie weinend umfasst. Das war das blödeste, das schrecklichste Ereignis, was ich eigentlich hatte, weil es so ungeheuerlich erniedrigend ist, wenn man seine Großmutter so gedemütigt sieht.“
Über Jahre hinweg verdrängt Detlev Langrebe die traumatischen Erinnerungen. Erst im Alter von 82 Jahren schreibt er seine Erlebnisse nieder. Dabei wird ihm klar, dass ein Leben in seiner böhmischen Heimat zu Zeiten des Nationalsozialismus nie möglich gewesen wäre:
„Ich vermute, dass dann die Familie ausgelöscht worden wäre. Denn in den besetzten Gebieten wurde auf so komplizierte Geschichten wie Halbjude oder Mischling keine Rücksicht genommen. Ich glaube, das wäre schrecklich geworden.“