Tschechischer Landedelmann und deutscher Bundeskanzler
Irgendwo auf halbem Weg zwischen Prag und der österreichischen Grenze, am Rand der Kreisstadt Tabor, liegt Schloss Mesice, eines unter vielen ähnlich gearteten im Land, mehr an Ausdehnung - immerhin 36 Räumlichkeiten - als an Architekturschönheit imponierend. Auf das eigentlich Sehenswerte macht keine Führung aufmerksam: Das ist vielmehr die Überlappung, die Konfrontierung zwischen alter Pracht, vierzig Jahren kommunistischer Verwahrlosung und sehr lobenswerten Anstrengungen des waltenden Schlossbesitzers um eine Wiederbelebung. Jan Berwid Buqoy ist sein Name. Mit ihm unterhielt sich für Radio Prag Jaroslav Konsal.
Am Pflichtpensum eines anständigen Schlosses auf Mesice nicht. Die Gruselstory wird von der armen Magd Anna vertreten. Des Diebstahls angeklagt, wurde sie bei lebendigem Leib eingemauert. Als ihre Unschuld zutage trat, war es schon zu spät, so geschehen dreißig Jahre später. Ein weiteres Attribut ist ein Möbelstück, das von der Körperberührung einer Zelebrität geadelt wurde. Hier repräsentiert vom Schreibtisch, an dem weiland Sir Winston Churchill, sicherlich Zigarre schmauchend, seine Times las. Die individuelle Note von Schloss Mesice liegt woanders. Während in Frankreich Aristokratenköpfe unter dem Fallbeil rollten, steuerte der damalige Schlossbesitzer unbeirrt technischen Fortschritt an. 1792 ließ er in Mesice mit Verlaub Spülklos einbauen, freilich in Ermangelung einer städtischen Wasserleitung noch auf Eimer-Dienstboten-Basis. Die unter Denkmalschutz stehende unterirdische Entsorgungsanlage entzieht sich leider dem Besucherblick.
Das alles erfährt man während des einstündigen Rundgangs, zu dessen Abschluss der Besucher als bleibendes Souvenir ein Buch erstehen kann, nach dem er in seiner gewohnten Buchhandlung vergebens fragen würde. Verfasser und Schlossbesitzer ist in Personalunion Jan Berwid Buqoy, als besonderer Bonus winkt seine eigenhändige Widmung. Alleiniges Thema: der zweite deutsche Bundeskanzler.
"Mein Weg war ziemlich einfach. Ich bin Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, und mit Erhard habe ich mich schon in den sechziger und siebziger Jahren befaßt, das heißt in den sechziger Jahren in der Tschechoslowakei, wo ich zum ersten Mal seinen Bestseller Wohlstand für alle gelesen habe. Diese Literatur und dieser Titel haben mich fasziniert. Später in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in Westberlin, wo ich an der Freien Universität Berlin studierte, habe ich mich mit Erhard dann tiefer befasst und praktisch alles Gelesen, was er je geschrieben hat. Seitdem habe ich mich mit dem Gedanken getragen, über ihn irgendeine Publikation zu schreiben. Selbstverständlich gab es in der Bundesrepublik genug Publikationen, aber in tschechischer Sprache gar keine. Und dann habe ich angefangen daran zu arbeiten, und dadurch ist das Buch "Der Vater des deutschen Wirtschaftswunders - Ludwig Erhard" entstanden. Inzwischen ist die erste Auflage in der Tschechischen Republik vergriffen und die zweite Auflage ist fertig und wird demnächst geliefert."
Die Faszination von Ludwig Erhard ist Ihnen gleich anzumerken. Haben Sie ihn persönlich treffen können?
"Ich habe mir das gewünscht, und der ehemalige Vorsitzende der CDU in Westberlin Peter Lorenz hat mir das versprochen, dass er mich mal mit nach Bonn nimmt zu ihm. Aber die Antwort war immer die gleiche. Erhard sei sehr krank, und außer den notwendigen Besuchen akzeptiere er keinen weiteren. So konnte ich ihn niemals persönlich sehen und in natura sprechen. Aber auf alle Fälle habe ich mich mit ihm, wie schon gesagt, intensiv befass. Und wo wir beide heute hier im Schloss Meschitz zusammen sitzen, ist ein Gemach, das ich nach ihm benannt. All die Requisitäten aus den fünfziger und sechziger Jahren, die Sie hier sehen, betreffen Ludwig Erhard. Dieses Gemach heißt Ludwig-Erhard-Gemach."
Das Buch "Der Vater des deutschen Wirtschaftswunders" ist, Sie haben es schon angesprochen, zweimal in Tschechisch erschienen, erstmals überhaupt hierzulande, und anschließend auch in deutscher Übersetzung. Wie wurde die Veröffentlichung aufgenommen?
"Da muss ich Ihnen Recht geben. Seit 1948 ist praktisch über Ludwig Erhard niemals ein Buch erschienen. Mein Buch ist praktisch eine absolute Erstausgabe in der Tschechischen Republik und in tschechischer Sprache. Ich will mich nicht loben, aber die erste Auflage lag bei tausend Exemplaren. Sie ist vergriffen, und die zweite Auflage beträgt ebenfalls tausend Exemplare. Sie können sehen: Der tschechische Leser interessiert sich für die Lektüre. Das Buch wurde ins Deutsche übersetzt und ist auf Deutsch 2005 erschienen. In Deutschland ist die Nachfrage mäßig. Das liegt teilweise daran, dass Ludwig Erhard in verschiedenen Richtungen in Deutschland publiziert wurde. Komischerweise und zugleich sozusagen logischerweise besteht die größere Nachfrage nach dem Buch in deutscher Sprache besteht in den neuen Bundesländern, das heißt in der ehemaligen DDR."
Sie haben hier auf Schloss Mesice zum einen noch reichlich zu tun mit Bauarbeiten, mit Wiederinstandsetzungsarbeiten, zum anderen hat sich hier bei Ihnen eine Institution eingemietet. Wessen Kind ist diese Einrichtung, was hat sie zum Ziel und welche Aktivitäten entwickelt sie?
"Es ist das Tschechische Institut für Internationale Begegnung. Das war eine Idee des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Wünsche, aus Bonn. Ich wollte ein Institut gründen und er hat mir den Tipp gegeben, und gleichzeitig ist ein Bestandteil dieses Institutes das Ludwig-Erhard-Forum. Am Anfang hat uns die Ludwig-Erhard-Stiftung in Bonn bei allen Aktivitäten einschließlich der ersten Ausgabe meines Buches "Der Vater des deutschen Wirtschaftswunders Ludwig Erhard" unterstützt. Heutzutage ist es also die Konrad-Adenauer-Stiftung, die uns bei verschiedenen Vorlesungsreihen unterstützt. Auch um die zweite Auflage meines Buches hat sich die Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag verdient gemacht."
Dr. Dr. Jan Berwid Buqouy von Ellgut über seine gesellschaftspolitischen und literarischen Aktivitäten. Irgendwie muss er sich zur Literatur gedrängt gefühlt haben, das liegt in den Genen. Seine Großmutter, eine geborene Grimm, war nachweislich mit den beiden Philologen und Märchendichtern verwandt, und Jakob Grimm sieht Berwid wirklich täuschend ähnlich.