Tschechisches Comicbuch des Jahres 2020: Schweres Thema mit Leichtigkeit erzählt
„Bez vlasů“, zu Deutsch „Ohne Haare“, heißt das Buch, das als bester tschechischer Comic des Jahres 2020 mit dem Muriel-Preis ausgezeichnet wurde. Es handelt von einem Mädchen mit Glatze. Auf witzige und informative Weise verarbeitet Tereza Drahoňovská darin ihre persönlichen Erfahrungen mit einer Autoimmunerkrankung. Den richtigen Ton für die Erzählung und auch die passende Farbgebung zu finden, war eine Herausforderung. Gemeistert hat die Autorin diese dank der Zusammenarbeit mit der Zeichnerin Štěpánka Jislová.
Tereza Drahoňovská trägt ihre Glatze unfreiwillig, aber mit einer betonten Selbstverständlichkeit. Seit vier Jahren lebt sie mit der Autoimmunerkrankung Alopezie. Das bedeutet, dass ihr Körper die Haare und Härchen, die jeder von uns täglich verliert, nicht wieder ersetzt. Anfangs hat Drahoňovská deswegen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch getragen. Heute tut sie das nicht mehr. Ihr selbstbewusster Umgang mit der Krankheit führte auch zum Skript für den Comic „Bez vlasů“. Diese literarische Form habe gewisse Vorteile, sagte die Autorin in einem Gespräch für den Tschechischen Rundfunk:
„Ich bin selbst ein großer Fan von autobiografischen Comics. Sie können viele Dinge enttabuisieren und das enthüllen, worüber man nicht zu sprechen gewohnt ist.“
Ähnlich sieht es Pavel Kořínek. Der Experte für Populärliteratur und die Geschichte des Comics hält „Bez vlasů“ für eines der besten gezeichneten Bücher hierzulande überhaupt. Er spricht von einer Art „Offenbarung“ für die tschechische Comic-Welt. Autobiografische Titel gäbe es in diesem Segment auf dem einheimischen Markt so gut wie keine, bemerkt der Publizist. Und das Genre der „Graphic Medicine“, also Bildgeschichten zu Gesundheitsthemen, sei hierzulande nur durch einige wenige Übersetzungen von ausländischen Autoren bekannt. Dabei würde es sich für solche Inhalte geradezu anbieten:
„Ein Comic eignet sich sehr gut dafür, persönliche Erfahrungen weiterzugeben. Er bietet eine Visualisierung dessen, was erlebt wurde. Außerdem lässt sich gut spielen mit dem, was gesagt und was dargestellt wird. Damit kann die nötige Distanz entstehen, um bestimmte Ausdrücke zu präzisieren. Manchmal sagt der Mensch etwas anderes, als er fühlt. Manchmal erlebt er etwas anderes, als (das,) worüber er gerade reden möchte. Diese Kombination aus zwei Medien, die zwei Kanäle aus Text und Bild ermöglichen ein gewisses Spiel mit den einzelnen Bedeutungen.“
Schreiben als Therapieform
Einen Erkenntnisgewinn gibt es dabei nicht nur für den Leser. Tereza Dahoňovská konnte ihre Erfahrungen mit der Krankheit durch ihren Comic besser verarbeiten. Normalerweise sei es nicht ihre Art, allzu expressiv mit Problemen umzugehen, so die Autorin. Oftmals würde sie Situationen eher mit Humor erleichtern. Ihr Buch hätte nun auch die Kommunikation mit ihrem persönlichen Umfeld verbessert:
„Ich kann mich manchmal nicht gut mitteilen oder darüber sprechen, was gerade passiert. Für den Text zu diesem Comic habe ich mich derart geöffnet, wie bisher noch nie in meinem Leben. Möglicherweise gab es für Štěpánka einige Überraschungen, dass bestimmte Situationen für mich schwerer waren, als es nach außen schien.“
Štěpánka Jislová ist nicht nur eine langjährige Freundin der Autorin, sondern hat auch die visuelle Umsetzung des Comics übernommen. Die Zeichnerin erzählt rückblickend, sie habe selbst erst spät begriffen, dass Tereza krank ist. In ihren ersten Skizzen drückte sich noch eine gewisse Befangenheit aus:
„Die allerersten Zeichnungen waren viel realistischer, als der Comic letztlich geworden ist. Ich habe verschiedene Farbvariationen ausprobiert. Als ich Tereza die ersten Versuche gezeigt habe, hat sie sehr vorsichtig gefragt, ob sich die Geschichte etwa in Auschwitz abspielt.“
Gemeinsam haben die beiden Frauen dann einen einfachen, aber ausdrucksstarken Stil für ihre Bilder gefunden. Drahoňovská berichtet, dass sie unbedingt den Eindruck einer Karikatur vermeiden wollte. Andererseits sollte auch keine düstere Atmosphäre entstehen:
„Ich hatte große Bedenken, dass das Ergebnis depressiv wirken könnte. Denn das Buch beschreibt eine schwierige Situation. Ein Mensch mit dieser Krankheit macht etwas Schweres durch, vor allem psychisch. Dabei gibt es sowohl anstrengende und traurige Episoden als auch viele lustige Erlebnisse. Ich wollte zeigen, dass die Welt nicht untergeht, selbst wenn man so etwas durchlebt. Man muss sich damit arrangieren und auch das Schöne und Witzige daran sehen.“
Stilisierte Darstellung
Ein ernstes Thema sollte also mit einer gewissen Leichtigkeit vermittelt werden. Dafür wählte Jislová eine stilisierte Darstellung, die sich auf die Hauptfigur konzentriert. Die Zeichnerin erläutert:
„Für Tereza, ihr Gesicht und ihre Kopfform, wollte ich eine eindeutige Darstellung finden. Denn ich wusste, dass ich sie sehr häufig zeichnen würde. Es musste etwas sein, das auf den ersten Blick wiedererkannt wird und das der Leser sofort mit diesem verbindet. Letztlich ist es sehr minimalistisch geworden: runde Kopfform, Nase, zwei Punkte, Mund. Das ist alles, was man braucht, um Tereza zu zeichnen.“
Experte Kořínek ist voll des Lobes für das Ergebnis. Er würdigt Jislová als eine erfahrene Comiczeichnerin und „Bez vlasů“ als ihre bisher beste Arbeit. Weiter führt er aus:
„Bei autobiografischen und medizinischen Comics agiert der Autor meist selbst als Zeichner. Schließlich berichtet er über sein eigenes Schicksal. Štěpánka Jislová musste hier aber die autobiografischen Erzählungen von jemand anderem, nämlich ihrer Freundin zeichnen. Sie hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert. Die Art und Weise, wie sie die Farben kombiniert und die einzelnen Buchseiten aufteilt, um dem Leser Orientierung zu verschaffen, ist in der tschechischen Comic-Welt beispiellos.“
Das ganze Buch ist in Blautönen und hauptsächlich in Rosa gehalten. Dank der Zweifarbigkeit konnte der Comic im Duplexdruck hergestellt werden, was nicht zuletzt finanzielle Vorteile hat. Die Hauptfarbe Rosa unterstreiche laut Drahoňovská vor allem die weibliche Ebene ihrer Geschichte:
„Es stellt sich aber auch die Frage, was mit der Sanftheit, Zerbrechlichkeit und Weiblichkeit passiert, wenn die Figur auf eine Krankheit trifft, die das alles herausfordert. Ich selbst hatte meine eigene Weiblichkeit für eine Weile verloren und mich eher geschlechtslos gefühlt. Denn Haare sind ein überraschend starkes Symbol für Frauen. Die Farbe Rosa, die in unserer Gesellschaft als weiteres Symbol für Weiblichkeit steht, unterstreicht diese Geschichte.“
Autobiografien als der neue Comic-Mainstream
Diese Authentizität hat eine wesentliche Rolle gespielt für die Juryentscheidung, mit der „Bez vlasů“ zum besten tschechischen Comicbuch des vergangenen Jahres erklärt wurde. Drahoňovská bestätigt, dass die Zusammenarbeit mit Jislová eine sehr intime Angelegenheit war, die sie sich mit keiner fremden Person hätte vorstellen können. Der Mut, den sich die beiden Freundinnen gegenseitig gemacht haben, fehle vielen anderen einheimischen Autoren noch, findet Publizist Kořínek:
„Im tschechischen Raum gibt es generell wenige Autobiografien. Es scheint, als ob sich Comicautoren davor fürchten, etwas über sich selbst zu erzählen. Anscheinend ist es für sie einfacher, sicherer und auch interessanter, eine fiktive Handlung und genrebezogene Fantasiegeschichten zu präsentieren.“
Dabei seien Autobiografien weltweit in den letzten drei Jahrzehnten zum neuen Mainstream im Comicbereich geworden. Kořínek wünscht sich, dass davon nun auch etwas nach Tschechien hinüberschwappen könnte, gerade was Erzählungen über Krankheiten und andere persönliche Traumata angeht:
„Vielleicht haben die tschechischen Comicautoren bisher nicht den Mut, die Lust oder die Kraft gefunden, solche Geschichten zu erzählen. Möglicherweise kann der verdiente Erfolg von ‚Bez vlasů‘ daran etwas ändern.“