Umfrage: Tschechen stufen die Wende 89 hoch ein – Slowaken verdrießt hohe Arbeitslosigkeit

November 1989 (Foto: ČT24)

Der im November und Dezember 1989 in der Tschechoslowakei vollzogene politische Systemwechsel wird hierzulande auch als Samtene Revolution bezeichnet. Seit dieser Revolution ist mittlerweile ein Vierteljahrhundert vergangen. Wie aber sehen die Tschechen und Slowaken die politische Wende heute? Und wie sind sie mit der Entwicklung seither zufrieden? Antworten auf diese Fragen gibt eine am Dienstag veröffentlichte Studie von Meinungsforschungsinstituten in Prag und Bratislava sowie des Soziologischen Instituts der tschechischen Akademie der Wissenschaften.

November 1989  (Foto: ČT24)
Zwei Drittel der Tschechen bewerten den gesellschaftlichen Wandel seit dem Sturz des kommunistischen Regimes vor 25 Jahren positiv. In der Slowakei sind es hingegen nur 58 Prozent der Menschen. In Tschechien wird auch die historische Bedeutung der Revolution höher eingestuft als in der Slowakei, sagt einer der Autorinnen der Umfrage, Paulína Tabery:

„In der Tschechischen Republik wird die politische Wende von 1989 in etwa mit der Entstehung der Ersten Republik gleichgestellt. Rund 61 Prozent der Tschechen bewerten sie als ein positives Ereignis, nur ein Prozent mehr halten die Erste Republik für noch bedeutender. Drei Fünftel der Bevölkerung sehen beide Ereignisse als die historisch wichtigsten an.“

Zora Bútorová  (Foto: Archiv TA3)
Die Slowaken hingegen stufen die Gründung ihres eigenen Staates im Jahr 1993 und den Slowakischen Nationalaufstand von 1944 noch höher ein. Ein Grund dafür ist vermutlich darin zu suchen, dass die Slowaken mit so mancher Entwicklung seit der Wende weniger zufrieden sind als die Tschechen, sagt Zora Bútorová vom slowakischen Meinungsforschungsinstitut:

„Es gibt dafür auch einige objektive Unterschiede und Gründe. Die betreffen vor allem die Situation auf dem slowakischen Arbeitsmarkt, der von einer hohen Arbeitslosigkeit geprägt ist.“

Paulína Tabery  (Foto: Archiv CVVM)
Über die Bereiche, deren Entwicklung seit 1989 als negativ empfunden wird, sind sich die Tschechen und Slowaken indes einig, sagt Paulína Tabery:

„Zu diesen Bereichen gehören die soziale Sicherheit, der Schutz der Bürger und die Arbeitsmöglichkeiten. Diese Dinge werden sehr kritisch gesehen. Man kann sagen, dass von den Bürgern die Gesamtheit der sozialen Sicherungssysteme in der demokratischen Gesellschaft als sehr problematisch angesehen wird.“

Demgegenüber gibt es aber auch eine ganze Reihe von Errungenschaften, die man heute nicht mehr missen möchte, betont Tabery:

„Dazu gehören die Freiheit, die Informationsbeschaffung oder der Zugang zur Bildung. Diese Bereiche bewerten über drei Viertel der Befragten gegenwärtig als besser im Vergleich zu früher.“

Foto: Štěpánka Budková
Allerdings hält nur etwas mehr als die Hälfte der Tschechen (55 Prozent) ihren heutigen Lebensstandard für besser als vor der politischen Wende im November 1989. Der Umfrage zufolge halten die Bürger beider Staaten bestimmte Bevölkerungsgruppen für Sieger beziehungsweise Verlierer der Samtenen Revolution. Zu den Nutznießern werden Unternehmer, Gegner des kommunistischen Regimes, die Intelligenz, Fachleute, Gläubige und die Jugend gezählt. Zu den Verlierern gehören indes Landwirte, kommunistische Funktionäre, Arbeiter und alte Leute. Und nachdenklich stimmt vor allem eine Einschätzung, die ebenfalls die Mehrheit aller Bürger teilt: Danach hätten arbeitsame, anständige und redliche Menschen in der demokratischen Gesellschaft den Kürzeren gezogen.