Umgang mit Corona-Leugnern in Tschechien: Respekt und klares Bekenntnis zu Gewaltfreiheit gefordert
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Tschechien eine aktive Szene von Corona-Leugnern. Sie treffen sich bei Demonstrationen gegen die Regierungsmaßnahmen ebenso wie virtuell in den sozialen Netzwerken. Auf all diesen Ebenen hat im Verlaufe des vergangenen Jahres das Aggressionspotential zugenommen. Nicht nur in den Debatten zum Thema Impfen wird deutlich, dass die Kommunikationskampagne der tschechischen Regierung bestimmte Personengruppen nicht erreicht. Experten raten den politisch Verantwortlichen nun mitunter dazu, sich weniger auf die Diskussion mit den radikalen Corona-Kritikern zu konzentrieren, als vielmehr an den praktischen Lösungen der epidemiologischen Lage zu arbeiten.
Fast zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie ist die tschechische Gesellschaft tief gespalten. Psychische Erkrankungen nehmen zu, und auch aggressive Verhaltensweisen treten vermehrt auf. Der Stress, den die Virusgefahr und die einschränkenden Maßnahmen dagegen auslösen, betreffe durchgehend alle Bevölkerungsgruppen, sagt Jan Krajhanzl. Er ist Sozialpsychologe am Institut für Umweltstudien an der Masaryk-Universität in Brno / Brünn und führt die angespannte Stimmung im Lande auf eine eingefahrene Denkweise zurück:
„Wir denken in Lagern. Dabei werden Leugner unterschieden von Maskenträgern, die manche auch als Schafe bezeichnen. Außerdem gibt es eine gewisse Vorstellung davon, welche Rolle die Regierung spielt. Dabei findet sich eine ganze Reihe von Stereotypen, die das Rad der Konflikte erst in Bewegung setzt. Einige Menschen denken, dass die Regierung in böser Absicht handelt und deswegen nicht vertrauenswürdig ist. Dabei ist es ganz egal, ob es um die alte oder die neue Regierung geht.“
Oft werde als Grund für eine ablehnende Haltung zur Corona-Politik ein Mangel an Information angeführt, so Krajhanzl weiter. Tatsächlich sei ein gewisser Teil der Bevölkerung durch das Nachrichtennetz gefallen, das Regierung und berichterstattende Medien bereitstellen. Das liege nicht nur daran, dass andere Informationsquellen und sogenannte „alternative Nachrichten“ genutzt würden, sondern mitunter auch an den Fähigkeiten der Menschen, Meldungen und Anweisungen zu deuten oder zu verarbeiten, meint der Psychologe. Auch die öffentliche Kommunikation liefe zu einseitig ab, findet Krajhanzl:
„Wir müssen erkennen, dass wir einen starken rationalen Mythos pflegen. Dieser besagt, dass wir die Menschen nur mit den richtigen Informationen versorgen müssen und sie sich dann schon richtig entscheiden und verhalten. Unser Verhalten und unsere Motivation, unsere Sicht auf die Probleme und ihre Einschätzung sind aber viel komplizierter.“
Breitgefächerte Szene
Und entsprechend breitgefächert sei demzufolge auch die Szene der Impfgegner und Corona-Leugner in Tschechien:
„Zu ihnen gehören auch solche Leute, die sich zwar nicht impfen lassen wollen, aber alle weiteren Maßnahmen einhalten. Sie wollen das Verbreitungsrisiko für andere eindämmen. Auf der anderen Seite gibt es eine große Zahl an Menschen, die zwar geimpft sind. Häufig übertragen aber gerade sie unter dem falschen Eindruck einer Unverwundbarkeit und einer Sicherheit für ihre Umgebung die Infektion.“
Hinzu kommen New-Age-Anhänger mit esoterischen Ansichten sowie politisch motivierte Regierungskritiker, deren Spektrum von überzeugten Liberalen und Verteidigern der persönlichen Freiheit reicht bis hin zu Blut- und Boden-Nazis. Dies ist nicht anders als in Deutschland. Krajhanzl weist aber noch auf ein spezifisches Moment der hiesigen Leugner-Szene hin:
„Darüber hinaus gibt es ein großes strukturelles Problem. Die tschechische Wirtschaft ist mehr als die westlicher Staaten auf die Industrie ausgerichtet. Es gibt wesentlich weniger Berufsgruppen, für die Homeoffice in Frage kommt. Dadurch ist eine große Zahl von Menschen in der Pandemie bedroht. Und wer langfristig eine Bedrohung empfindet, versucht, sich an sie anzupassen. Dies führt dazu, dass das Risiko einer Infektion geleugnet, unterdrückt und bagatellisiert wird. Auf diese Art weicht man einer drohenden Stresssituation aus. Diese Menschen driften oft in die sogenannte Leugner-Szene ab.“
Persönliche Erfahrungen damit hat Ondřej Černý gemacht. Der als Kardiologe ausgebildete Klinikarzt aus Jablonec nad Nisou / Gablonz führt seit den Lockdown-Zeiten vor einem Jahr tiefgreifende Auseinandersetzungen mit seiner Schwiegermutter. Seinen Ausführungen zufolge erkennt sie die medizinischen Erkenntnisse zum Coronavirus nicht an und tritt in familieninternen Debatten als Impfgegnerin auf. Für Haltungen wie diese macht Černý ein Versagen der medizinischen Elite im Land verantwortlich:
„Eben weil die Kommunikation höchst schwierig ist, würde ich meiner Familie zuliebe eine rationale Hilfestellung von gewissen Autoritäten und anderen Gesellschaftsschichten begrüßen. Die Menschen haben bei dem Thema keine Orientierung, weil die Führung durch die Ärzte, die sogenannten Götter in Weiß, bisher nicht gut war. In die Debatte haben sich zahlreiche Professoren und akademische Würdenträger eingemischt, deren Qualifikation auf einem ganz anderen Feld liegt. Jeder hat seine Meinung zum Thema wie über einen Joghurt abgegeben, was zu einem großen Durcheinander in der Kommunikation geführt hat.“
Mangel an Empathie
Bei der Verbreitung von unkonventionellen und pseudoprofessionellen Meinungen spielen in Tschechien – wie in anderen Ländern auch – viele Medien eine unrühmliche Rolle. Für die Kritiker- und Leugner-Szene sind aber die sozialen Netzwerke von hoher Wichtigkeit. Der Analyse von Jan Krajhanzl zufolge gehen durch die Verbreitung von bizarren Meldungen, Falschinformationen und aggressiven Ausfällen die Ansichten der gemäßigteren und zahlenmäßig weit überlegenen Bevölkerungsteile verloren:
„Ich muss aber darauf hinweisen, dass es dazu hierzulande noch keine konkreten Daten gibt. Die Realität entwickelt sich schneller, als sie von wissenschaftlichen Publikationen aufgearbeitet werden kann. Auch wenn es schon Veröffentlichungen in England oder den USA gibt, unterscheidet sich die tschechische Kultur davon doch recht deutlich. Wenn man die Debatten in den sozialen Netzwerken verfolgt, dann ist eine zunehmende Aggression deutlich zu erkennen. Und in den Medien finden sich exzessive Anfeindungen gegenüber konkreter Personen wie Vertretern der Ärztekammer.“
Obwohl der allergrößte Teil der tschechischen Gesellschaft, einschließlich vieler Corona-Leugner, Gewalt als Ausdrucksmittel ablehne, sei doch in der öffentlichen Debatte ein klarer Mangel an Empathie zu beobachten, konstatiert der Psychologe:
„Wir müssen ehrlicherweise anerkennen, dass eine große Zahl an Menschen hierzulande depressiv und traumatisiert ist, weil die Gesellschaft so viele Menschen hat sterben lassen. Weil die Gesellschaft ignorant ist gegenüber der Lage der Ärzte oder völlig vergisst, wie viele Lehrer jeden Tag ihr Leben riskieren. Selbst wenn viele von ihnen geimpft sind, sind sie doch nicht zu einhundert Prozent geschützt, vor allem im Alter kurz vor der Rente. Auf allen Ebenen des Meinungsspektrums spielen sich Tragödien ab.“
Der Umgang mit der Gefahr und den Todesopfern sei umso schwieriger, je weniger sich die Vertreter unterschiedlicher Meinungen gegenseitig zuhören, fährt Krajhanzl fort. Bei Ondřej Černý hat dieser Umstand zu einer tiefen Resignation geführt:
„Ich habe meine Illusionen über die Tschechen und die hiesige Gesellschaft verloren. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir an einem Strang ziehen oder dass wir unseren Komfort für die Bewältigung einer Krise als Team einschränken können. Ich möchte aber nicht als armes Opfer wirken, dessen Leben wegen Covid aus den Fugen geraten ist. Wer echte Helden sehen will, muss sich die Krankenschwestern auf den Intensivstationen anschauen. Die Arbeit von uns Ärzten ist immer noch geringer als die des Pflegepersonals.“
Freundliche Kommunikation gefordert
Die Trennungslinie verläuft tief und quer durch die tschechische Gesellschaft. Sozialpsychologe Krajhanzl sieht aber weiterhin Spielraum, die Auseinandersetzung zumindest in zivilisierten Bahnen zu halten. Denn ein radikal-kritisches Lager, das Fakten nicht anerkenne, gehöre zu jeder Krise dazu:
„Auf der praktischen Ebene ist es nötig, nicht der Faszination der Leugner-Szene zu erliegen. Diese wird es in irgendeiner Form immer geben, und ich kann mir keine gesellschaftliche Maßnahme vorstellen, die dies durchbrechen könnte. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass diese Gruppe nicht größer und stärker wird. Wenn sich jemand gegen eine Impfung entscheidet, sich ansonsten aber rücksichtsvoll gegenüber anderen verhält, sollte dies mit Respekt behandelt werden.“
Die Kommunikation von Seiten der Regierung müsse in Richtung aller Meinungsgruppen geduldig und vor allem freundlich ablaufen, so die Forderung des Experten. Tatsächlich hat der neue Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) bei seinem Amtsantritt angekündigt, in der Bewältigung der Corona-Krise auf eine bessere Verständigung zu setzen. Krajhanzl rät allerdings, Lücken bei der Einhaltung der Maßnahmen zu schließen, bessere Bedingung für das Homeoffice zu schaffen sowie Impf- und Testkapazitäten aufzustocken:
„Auf diese Weise kann das Infektionsgeschehen viel besser bekämpft werden als durch Diskussionen mit verbissenen und hartnäckigen Corona-Leugnern, die an im Kopf eingepflanzte Computerchips glauben. Ich empfehle einen praktischeren und pragmatischeren Ansatz, der sich nicht nur auf eine bessere Kommunikation konzentriert. Denn dies ist die schwächere der beiden Seiten.“
Ihnen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken oder etwa die Schuld für die Corona-Lage im Land zuzuweisen, könnte diese Personengruppe zudem in ihrer Opferrolle bestätigen, in der sie sich sowieso schon sieht und dies auf so geschmacklose Weise wie dem Tragen eines gelben Davidsterns zum Ausdruck bringt. Aber auch vom radikalen Lager selbst verlangt Krajhanzl eine Änderung der Kommunikation:
„Ich erwarte, dass auch jene Menschen, die sogenannte alternative Wahrheiten über das Coronavirus verbreiten, sich klar distanzieren von jeglicher Gewalt und von persönlichen Angriffen auf Vertreter etwa der Ärztekammer und weiterer Einrichtungen. Sie sollten deutlich dazu aufrufen, dass alle Impfgegner sich ebenso entsprechend verhalten müssen, um das Virus nicht in der Bevölkerung weiterzuverbreiten.“
Dazu gehöre etwa der Aufruf, die Atemschutzmaske richtig zu tragen und nicht halbherzig unter der Nase, fügt der Psychologe an. Ansonsten sei er zuversichtlich, dass auch der allergrößte Teil der Regierungskritiker sich auf den Konsens der gewaltlosen Auseinandersetzung einlassen werde, sagt Jan Krajhanzl.