Unterschätzte Gefahr? Tschechische Wissenschaftler warnen vor Suchtpotential von Rubbellosen
Rubbellose sind in Tschechien das meistverbreitete Glücksspiel. Viele Menschen würden aber das Suchtpotential der glänzenden Scheine unterschätzen, warnen nun Wissenschaftler aus Olomouc / Olmütz.
„Darf es noch ein Los sein?“ Wer in Tschechien schon einmal einen Brief oder ein Paket bei der Post aufgegeben hat, hat diese Frage bereits gehört. Rubbellose sind hierzulande aus den Postfilialen nicht wegzudenken, aber auch an Tankstellen und in Zeitungskiosken sind sie erhältlich.
Während sich manch einer spontan an der Kasse entscheidet, sein Glück zu versuchen, geht manch anderer gezielt in ein Geschäft, um ein Los zu erwerben. So sagte diese Kundin eines Kiosks in Brno / Brünn den Reportern des Tschechischen Rundfunks:
„Ich kaufe bei jedem Ausflug, den ich mache, mindestens zwei Lose. Die Lose hebe ich von Januar bis November auf, und dann löse ich sie alle auf einmal ein und kaufe von dem Geld Weihnachtsgeschenke für meine 15 Enkel.“
Der Verkäuferin in dem Laden zufolge handelten aber nicht alle Kunden derart kontrolliert:
„Es gibt Leute, die gerade ihren Lohn bekommen haben, und den geben sie dann komplett für Lose aus. Sie hoffen, das Geld wieder hereinzubekommen oder sogar noch Plus zu machen.“
Wissenschaftler aus Olomouc haben nun zu diesem weit verbreiteten Glücksspiel geforscht und festgestellt: Die Teilnehmenden weisen in Tschechien oft ein Risikoverhalten auf.
„Die Spieler haben uns bestätigt, dass sie oft mehr Geld ausgeben würden, als sie eigentlich vorhatten“, sagt die Psychologin Eva Aigelová von der Palacký-Universität.
Der tschechischen Finanzverwaltung zufolge haben die Menschen hierzulande allein in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres rund 4,75 Milliarden Kronen (190 Millionen Euro) für die Teilnahmescheine an der Sofortlotterie ausgegeben. Das ist das Zehnfache des gesamten Umsatzes von 2012. Der Gefahr, abhängig von diesem Glücksspiel zu werden, sei sich aber kaum jemand bewusst, sagt David Fiedor, der ebenfalls an der Palacký-Universität forscht:
„Die Rubbellose gelten in der Gesellschaft als anerkannte Form des Vergnügens. 61 Prozent unserer Befragten sagen, dass das ein Spiel mit geringem Risiko sei. In der Studie sind wir zudem auf ein Paradox gestoßen: Wir haben festgestellt, dass die Lose sehr häufig von Menschen gekauft werden, die ansonsten für eine strengere Regulierung von Glücksspiel sind. Das zeigt, dass sie Rubbellose vermutlich nicht als solches wahrnehmen.“
Laut den Forschern haben 84 Prozent der Menschen schon einmal ein Rubbellos verschenkt. Für besonders kritisch hält Eva Aigelová, wenn ein Los in die Hände von Kindern gelangt. Das muss nicht nur durch ein Geschenk passieren. Mitunter rubbelt der Nachwuchs die Felder auch für die Eltern oder andere Familienangehörige frei:
„Die Kinder nehmen davon dann mit, dass es normal ist, so zu spielen“, meint Aigelová.
Gemeinsam mit ihren Kollegen konnte sie auch feststellen, dass das Rubbellos die einzige Form von Glücksspiel ist, bei der es mehr weibliche als männliche Spieler gibt. Regionale Unterschiede konnten im Übrigen nicht registriert werden. Ganz gleich ob Dorf, Kleinstadt oder die Millionenmetropole Prag – von Aš bis Zlín wird in Tschechien ungefähr gleich viel gerubbelt.
Worin liegt aber das große Suchtpotential begründet? Warum kann manch einer der Versuchung nicht widerstehen und kauft immer mehr Rubbellose?
„Die bunten Farben und die glitzernden Elemente spielen sicherlich eine Rolle – ebenso wie die Slogans oder die Abbildungen etwa von Tieren. Es werden auch Lose mit besonderen Gerüchen angeboten“, schildert Psychologin Aigelová.
Und David Fiedor ergänzt, die Lose seien bewusst so gestaltet, dass die Glücksritter nur knapp verlieren:
„Man muss etwa eine Reihe freirubbeln und soll dort vier identische Ziffern entdecken. Dann entdeckt man dreimal die gleiche Zahl, und nur eine einzige ist falsch. Man hat den Sieg also nur knapp verpasst und sagt sich, dass es beim nächsten Versuch klappen muss. Also kauft man sich noch ein Los.“
Hinzu komme, so Fiedor, dass Rubbellose quasi überall erhältlich sind und die Glücksjäger innerhalb weniger Sekunden erfahren, ob sie verloren haben oder nicht.
Die zunehmende Verlagerung des Lotteriewesens ins Internet ist allerdings auch bei den Rubbellosen festzustellen. Laut der tschechischen Finanzverwaltung wird bereits ein Drittel der entsprechenden Lose online verkauft. Statt mit einer Münze die silberne Beschichtung von einem Papier abzukratzen, rubbeln sich die Onlineuser zum Beispiel am Smartphone-Display die Finger wund.